Kafka in Reschitza

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Anton Sterbling und sein Buch ,,Ungewissheiten heimwärts fliehender Krähen“

Ausgabe Nr. 2900

Anton Sterbling: Ungewissheiten heimwärts fliehender Krähen. Neuere Gedichte, Kurzprosa und Erzählungen, Pop Verlag Ludwigsburg 2025, Reihe Epik Band 154 112 Seiten. ISBN 978-3863-56-41-31. 15,50 Euro.

Das Reale mit dem Fiktiven, Imaginären zu verbinden, war schon immer Anton Sterblings Sache. Egal ob längst verstorbene Dichter, schwarze Katzen oder andere Geister in allerlei Gewand plötzlich und unerwartet in den Erzählungen auftauchen und ihnen ungeahnte Wendungen geben. Da ist es kein Wunder, wenn sich der Dichter Franz Kafka aus seinem Prager Grab erhebt und im Studentenwohnheim des Autors in Reschitza erscheint. Sehen kann den finster blickenden und schüchtern wirkenden jungen Mann, der selbst für einen magischen Realismus steht, nur der Autor, denn die Kommilitonen sind dank eines Feiertages nach Hause gefahren.

So beschwört Sterbling einmal mehr die „Sphäre des Imaginären“, der er – ganz Philosoph – Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit zuordnet. Damit hat das Imaginäre etwas Vertrautes, gleichsam eine Art doppelten Boden. Oder wirkt doch besser wie ein Sicherheitsnetz für empfindsame Menschen und feinfühlige Wortakrobaten.

Für Anton Sterbling wiederum öffnet sich ein „dunkler Sinnhintergrund“, der „jenseits aller Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit“ liegt. (S. 50) Dabei kann sowohl das Imaginäre wie auch das Reale als Bedrohung wahrgenommen werden. Dazu reicht schon die simple Frage, die sich dem Autor im Angesicht Kafkas stellt: „Bin ich nicht auch ohne ihn einsam genug?“

Einsamkeit und der auf sich selbst zurückgeworfene Mensch sind zentrale Motive des im Ludwigsburger POP-Verlag herausgegebenen kleinen, aber feinen Bandes mit Lyrik- und Prosatexten. Aber es geht auch immer um ein Stück der Flucht vor der Welt und Wirklichkeit. Ganz im klassischen Schillerschen Sinne, wo die Freiheit „nur in der Welt der Träume“ Platz findet und „das Schöne nur im Gesang“ blüht.

Sterbling wäre nicht Sterbling, verbände er nicht ästhetische mit ethischen, ja sogar politischen und wie eingangs beschrieben philosophischen Ansprüchen. Kein Wunder bei einem Mann, der einst mit Gleichgesinnten um Richard Wagner und die oppositionelle Aktionsgruppe Banat gründete und sich heute noch der Auseinandersetzung mit dem kommunistischen Regime verpflichtet sieht. Wie weit das ins Private, Familiäre geht, zeigt der Text „Das Charisma des Diktators“, eine Kurzgeschichte, die Stoff für einen ganzen Roman bieten würde. Es ist die Geschichte eines von seiner Ehefrau nebst Kind verlassenen Hochschullehrers, die anders erzählt schon einmal in Sterblings Werk auftauchte. Auch diesmal kündigt der Verzweifelte seinen Job in Deutschland, um im Land einer Diktatur neu anzufangen. Doch für Propagandazwecke missbraucht, verliert er bald alle Freiheiten. Schon denkt man an den Faustischen Pakt, denn der dem Schicksal Ausgelieferte, ist sogar bereit mit den Wölfen zu heulen. Er schreibt sogar eine wohlwollende Biographie über den Diktator, eine vermeintliche Gewähr für eine Ausreise. Doch weit gefehlt, seine letzte Reise führt ihn nicht an die Grenze und zurück in die Freiheit, sondern in ein Arbeitslager.

Keine Frage, hier fiebert der Leser mit dem Helden mit, erlebt das Beklemmende, das Verstörende. Es ist ein wunderbarer Stoff, der von den menschlichen Schwächen berichtet und an George Orwell denken lässt.

Doch der 1953 in Großsanktnikolaus im Banat geborene Autor, 1975 ausgereist und inzwischen emeritierter Professor der Soziologie, beglückt den Leser nicht nur mit Prosa, sondern auch mit lesenswerter Lyrik. Dabei gibt das Anfangsgedicht dem Band seinen Namen: Ungewissheiten heimwärts fliehender Krähen. Ein Bild, das eine Leere und Verlorenheit mit wenigen aber starken Worten skizziert: „Wie Rotwein und Tinte/verwischt/sind die Ränder/des Tages”.

Sterbling findet sich mit seinen Krähen in anspruchsvoller literarischer Gesellschaft, denn sofort ist auch Friedrich Nietzsche mit dem Gedicht „Vereinsamt“ gegenwärtig. Dessen Krähen ziehen schwirren Flugs zur Stadt … Wohl dem der jetzt noch Heimat hat. Aber auch bei Georg Trakl, Gertrud Kolmar oder Christian Morgenstern (ein Umfeld in dem sich der Dichter wohlfühlen würde) erscheint das eigensinnige Tier, von dem die deutsche Literatur nicht loskommt. Doch nicht nur in dem Gedicht zeigt sich Sterbling als ein genauer Beobachter, virtuoser Lyriker, Textmacher- und Maler, der sich mit auserlesenen Wörtern, Pinselstrichen gleich, in die Schatten der Dinge schiebt. Sterbling hält die Zeit an um sich ihrem Zeitgeist zu widersetzen. Und schenkt dabei den Lesern manch tiefen Gedanken.

Andreas H. APELT

Veröffentlicht in Literatur, Aktuelle Ausgabe.