Kafkas ,,Brief an den Vater“ in einer One-Man-Show im Spiegelsaal
Ausgabe Nr. 2900

Gastspiel des Jüdischen Staatstheaters Bukarest: Ein gelungener Versuch, Franz Kafka als Menschen besser zu verstehen, ist die Inszenierung von Kafkas „Brief an den Vater” als One-Man-Show mit dem Schauspieler Mircea Dragoman (unser Bild), die am 17. Oktober 2024 am Jüdischen Staatstheater Bukarest Premiere hatte. Am Dienstag gastierte das Jüdische Staatstheater damit im Spiegelsaal des DFDH. Dramaturgin Edith Negulici hat die Adaption verfasst, Regie führte Cătălin Bocîrnea, das Bühnenbild entwarf Raul Cioabă, den Sounddesign Cosmo Stanciu, Regieassistentin war Rebecca Rauh, die Bühnentechnik verantwortete Paul Stroia. Foto: Laura MICU
„Ich bin Honterianer”, sagt Mircea Dragoman stolz, als er darauf angesprochen wird, wie deutlich und klar er die deutschen Passagen vorgetragen hat in dem als One-Man-Stück „Kafka – Scrisoare către tata” am Jüdischen Staatstheater Bukarest inszenierten „Brief an den Vater” von Franz Kafka. Das Stück war am Dienstag im Spiegelsaal des DFDH zu sehen. Ermöglicht hat die Gastaufführung das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien, nachdem die Leiterin des Samuel-von-Brukenthal-Gymnasiums, Monika Hay, darauf angesprochen worden war, ob das nicht etwas für die Schülerinnen und Schüler dieser Bildungseinrichtung wäre.
In seiner Würdigung von Kafka aus Anlass dessen 100. Todestages in der Hermannstädter Zeitung Nr. 2867 vom 31. Mai 2024 schreibt Konrad Wellmann: „Ist Franz Kafkas ‚Brief an den Vater‘ ein autobiographisches Zeugnis oder literarische Fiktion? Er ist mit Sicherheit ein zentrales Zeugnis der lebenslangen Auseinandersetzung mit seinem Vater Hermann Kafka, die sich auch in zahlreichen anderen Texten des Autors wiederfindet. Verfasst wurde er an drei Tagen im November 1919 nördlich von Prag in dem kleinen Erholungsort Schelesen/Zelizy, wohin sich der an Tuberkulose erkrankte Kafka zeitweise zurückgezogen hatte. Erstmals wurde der Brief 1937 in ausgewählten Passagen von Kafkas Nachlassverwalter Max Brod veröffentlicht. Vollständig erschien er erst nach dem Zweiten Weltkrieg (1952), als Kafkas Werke in der ganzen Welt rezipiert wurden – ausgenommen in den kommunistischen Ländern des damaligen Ostblocks, wo sie erst Ende der 1960er Jahre erscheinen durften.”
Mit ebendiesem Nachlassverwalter führt Kafka, gespielt von Mihai Dragoman, eingangs einen fiktiven Dialog. Max Brod antwortet von einem Fernsehmonitor aus, die Anworten sind perfekt auf die Fragen zugeschnitten. Natürlich geht es auch darum, wieso er, Brod, es sich erlaubt hat, diesen Brief und andere Aufzeichnungen von Kafka zu veröffentlichen, obwohl der Autor ihm einen Zettel hinterlassen hatte, auf dem er ihn darum bat, alles zu vernichten.
In dem TV-Interview aus dem Jahr 1968 aus dem Ausschnitte als Antworten zu sehen und zu hören sind, sagt Max Brod, er habe anhand der vielen Briefe, die er erhalten habe, den Eindruck gewonnen, dass „gerade die Jugend die deutsch spricht, Kafka sehr innig” verstehe und Kafka „für diese jungen Leute in seiner grenzenlosen Wahrheitsliebe eine Art Ratgeber geworden” sei. Ob das auch für die Lyzeanerinnen und Lyzeaner gilt, die bei dem Theaterabend dabei waren?
Beatrice UNGAR