Die 31. Auflage des Internationalen Theaterfestivals ging am Sonntag zu Ende
Ausgabe Nr. 2872
Mit einem Madrigal-Konzert und einem mehrteiligen Event, vereint unter dem Namen „Ritualuri” (Rituale), endete die 31. Auflage des Internationalen Theaterfestivals in Hermannstadt am Sonntag, dem 30. Juni im ASTRA-Freilichtmuseum. Die „Freundschaft”, das Motto dieser Auflage, zumindest zwischen dem Festival und seinen Fans, hat sicherlich kein Ende. Während im Stadtzentrum kurz vor Mitternacht die Lasershow und Feuerwerk begannen, waren rund 4.500 Besucher des Freilichtmuseums noch dabei, verschiedene Rituale zu erkunden.
Der Madrigal-Chor, unter der Leitung von Anna Ungureanu, schloss mit seinem zweiten Konzert – das erste war im Rahmen der Eröffnung – das diesjährige Festival ab. Die Bühne des Freilichtmuseums wurde zu einem Schiffsbug umgewandelt, wo der Chor aufgestellt war. Links und rechts im Wasser, waren traditionelle Gestalten aufgestellt, die das Schiff und die musikalischen Rituale begleitete. Einige Zuschauer waren der Meinung, dass das erste Konzert zwar schöner war, doch dieses zweite mit seinen Feuereffekten am Ende besonders gelungen war. Als Event allgemein war das Ganze eine der besten Shows aller Festivalauflagen. Denn nach dem Konzert durften die Besucher das nächtliche Museum erkunden. Eine Lichterkette half dabei und führte sie rund um den See herum und zurück, bis zu der Kirche und weiter, auf der unteren Allee zurück zum See. Dabei ging es nicht nur um einen einfachen Spaziergang, denn von Ort zu Ort wurden verschiedene Rituale präsentiert, an denen sich die Besucher bis gegen 1 Uhr nachts weder sattsehen noch -hören konnten: Traditionelle Hochzeitslieder, Feuer- und Elfentänze, Lieder für die Natur. Die Besucher gingen durch den verzauberten Wald, aus dem man die leisen Rufe der Wildvögel hören konnte, es gab Zaubersprüche und Flüche und rumänische Bräuche.
„Wenn Theater gut ist, kann es eine Waffe sein. Wenn Theater schlecht ist, ist es eine Tortur”, erklärte der US-Schauspieler John Malkovich in einem Interview nach einer Aufführung des Stückes „In the Solitude of Cotton Fields” (In der Einsamkeit der Baumwollfelder) im Vorjahr. In Hermannstadt war das Stück drei Mal in der Kulturfabrik zu sehen. Zusammen mit der preisgekrönten litauischen Schauspielerin Ingeborga Dapkūnaitė bewies Malkovich, dass Theater das Publikum bewegen, aber auch verwirren kann, denn viele gingen mit offenen Fragen nach Hause. Das 1985 veröffentlichte Zweipersonenstück von Bernard-Marie Koltès wurde vom russischen Regisseur Timofey Kulyabin inszeniert. Der dichte und oft metaphorische Text war für des Englischen Unkundige eher schwer zu verfolgen, ohne die beiden Schauspieler aus den Augen zu verlieren. Dabei waren diese sowohl auf der kargen Bühne, als auch auf einem riesigen Bildschirm zu sehen. An sich hat das Stück kaum Handlung: Ein Händler und ein Kunde treffen sich an einem abstrakten Nichtort (in den Baumwollfeldern) und handeln dort die Bedingungen eines Warenaustauschs aus, ohne dass die Ware genannt, legal oder illegal, oder überhaupt erwünscht ist. Der Händler – zum ersten Mal von einer Frau gespielt – ist bereit, alles zu verkaufen: „Sagen Sie mir, was Sie wollen und was ich Ihnen liefern kann, und ich werde es Ihnen liefern”. Die beiden sind mal melancholisch, mal streitlustig. Die sexuelle Spannung und der Machtwechsel zwischen den Beiden, ja sogar der Rollentausch zwischen Händler und Käufer sind nicht zu übersehen und es bleibt offen, ob es am Ende zu einer Transaktion kommt oder nicht. Dabei verläuft das ganze Gespräch zwischen zwei kurzen gefilmten Szenen eines Mannes, erst mit seiner Selbstbefriedigung, dann mit seinem Selbstmord. Die letzte Frage des Händlers ist auch, welche Waffe sie wählen wollen. Fast könnte man interpretieren, dass das Gespräch eigentlich den Abstand zwischen den zwei Filmen überbrückt, vom sexuellen Höhepunkt zum Tod und auch könnte es sein, dass Händler und Kunde ein und dieselbe Person im Unterbewusstsein des Mannes sind.
Wer zum Abschluss des Festivals auf dem Großen Ring war, erlebte das Live-Konzert von „Gypsy Folie“. Die beeindruckende mazedonische Blaskapelle eroberte 1997 mit ihrem Album „L’Orient est rouge“ den Westen im Sturm. Der charakteristische, stürmische Stil der Band erfreut sich seither großer Beliebtheit: Die schlagkräftige Rhythmusgruppe, bestehend aus Schlagzeug und vier Tubas, die einfühlsamen Solisten und die Funk-Elemente der Musik animierten viele zum Tanzen.
Am letzten Festivaltag gab es zahlreiche Theater-, Musik-, Tanz- und Zirkusvorstellungen. In der Kulturfabrik wurde Florian Zellers „Fiul“ (Der Sohn) unter der Regie von Cristi Juncu vom „Toma Caragiu“-Theater in Ploiești aufgeführt. Letztes Jahr konnten die FITS-Gänger das Stück „Tatăl“ (Der Vater) vom selben Autor mit Victor Rebengiuc in der Hauptrolle erleben. Darin behandelte er das Thema Alzheimer, während es in „Sohn“ um Depression und Suizid geht. Ausgerechnet in seinem Abitursjahr fängt Nicolas an, die Schule zu schwänzen und gefährdet damit seinen Abschluss. Alles scheint ihm zu viel. Er fühlt sich vom Leben komplett überfordert. Sein Vater, der neu geheiratet und mit einer jüngeren Frau auch nochmal ein Kind bekommen hat, übernimmt die Erziehung seines Sohnes, um den er sich bisher kaum gekümmert hat. Doch mit dem Umzug in die neue Familie des Vaters wird das Leben für Nicolas nicht einfacher. Im Gegenteil. Es folgt ein Selbstmordversuch, die Einweisung in die Psychiatrie, die zu frühe Entlassung und der Selbstmord, für den sich der Vater noch Jahre später Vorwürfe macht. Die Starbesetzung mit Andi Vasluianu als Pierre, der Vater, Ștefan Iancu als Nicolas, Ana Crețu (Sofia), Oxana Moravec (Anne), Ion Radu Burlan (der Arzt) und Octavian Gheorghe (der Assistant) ließen die 2 Stunden wie im Flug vergehen, trotz des schwierigen Themas.
Gar nicht leicht verging die Zeit beim hochgepriesenen Theaterstück „Angela (a strange loop)“ von Susanne Kennedy der „Ultraworld Productions“ aus Deutschland. Darin geht es um Angela, die Videos erstellt, um sie auf TikTok zu veröffentlichen. Sie filmt sich selbst immer wieder – vielleicht eine der seltsamen (oder nicht so seltsamen) Schleifen (Loops), die der Titel des Stücks beschreibt. Es gibt keine wirkliche Aufregung, keine Krise, keine Erzählung als solche. Die Handlung ist banal, während Angela ihrer täglichen Routine nachgeht – eine Art Schleife, die zu einer anderen Schleife mutiert, als bei ihr eine nicht näher definierte Autoimmunerkrankung diagnostiziert wird, die nie konkret benannt wird, die aber während der gesamten Dauer des Stücks einen deutlichen körperlichen Verfall von Angelas Gesundheit verursacht.
In der Handlung (soweit es „Handlung“ im konventionellen Sinne des Begriffs gibt) wird Angela von ihrem Freund Brad, ihrer Freundin Susie und ihrer Mutter besucht. Sie kommen und gehen – sie treten durch eine Tür ein und verlassen sie durch eine andere, wobei sie sich der Logik der Kausalität widersetzen – während sie immer kranker wird. Wer genau hinsah, erkannte, dass die Schauspieler lippensynchron agierten, wobei der Ton nicht aus dem Mund, sondern von woanders kam. So entstand von Anfang an die Illusion des Realen, die durch die Fremdartigkeit der Handlungen (oder eher Nicht-Handlungen) der Figuren zerstört wurde. Viele Zuschauer langweilten sich bei dem Stück und verließen den Saal und auch der Applaus zum Schluss war eher schüchtern.
Ganz im Gegenteil dazu gab es langen Stehapplaus im „Ion Besoiu“-Kulturzentrum am Freitag, dem 28. Juni, nach der Show von Yamoussa Bangoura „Afrique en cirque“ (Afrikanischer Zirkus). Die Künstler des Kalabanté Zirkus zeigten der Schwerkraft trotzende Bewegungen und führten menschliche Pyramiden aus, begleitet von den zeitgenössischen Klängen von Live-Afro-Jazz, Percussion und Kora. Besonders begeistert waren die Zuschauer von den Verrenkungen eines der zehn Künstler, bei dem man oft nicht mehr wusste „wo hinten und vorne ist“. Die afrikanischen Rhythmen steckten die Zuschauer an und viele standen auf und tanzten mit oder klatschten begeistert den Takt dazu.
Gemischte Begeisterung gab es bei dem Rock-Musical „Hedwig an the Angry Inch“ von John Cameron Mitchell unter der Regie von Răzvan Mazilu, das am Donnerstag, dem 27. Juni, gleich zwei Mal mit verschiedenen Besetzungen gezeigt wurde. Für einige konservative Hermannstädter Zuschauer/innen waren die angesprochenen Themen wie Homosexualität und Geschlechtsumwandlung zu viel und sie verließen den anfangs vollen Saal. Andere wiederum waren begeistert und sangen mit. Die Hauptrolle übernahm am Nachmittag Lucian Ionescu, der 2020 den UNITER-Preis für den besten Schauspieler in einer Hauptrolle erhalten hatte, für die Rolle des Gomez Addams in der Show „The Addams Family“, bei der ebenfalls Răzvan Mazilu Regie führte, die Choreographie übernahm und die Kostüme gestaltete, und die im Rahmen des Theaterfestivals vor drei Jahren gezeigt worden war. Als Hedwig machte Ionescu eine gute Figur und sang sich in die Herzen der Zuschauer.
Cynthia PINTER
Ruxandra STĂNESCU