Virtuos am Rande des deutschen Kulturraums

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Nachruf auf den Übersetzer, Literaturhistoriker und Mentor Gerhardt Csejka

Ausgabe Nr. 2798

Gerhardt Csejka (1945-2022). Foto:  Markus LIEBERENZ

Nur Stunden nach seinem Ableben in Berlin reagierten in Rumänien Hunderte von Menschen in den sozialen Medien mit Trauerbekundungen, darunter bekannte Schriftsteller wie Ioana Pârvulescu und Mircea Cărtărescu. Der Übersetzer, Literaturhistoriker und -kritiker Gerhardt Csejka verstarb 77jährig am 25. November 2022 in der deutschen Hauptstadt. Die Reaktion entspricht dem guten Ruf, den Csejka in weiten Teilen der rumänischen Literaturlandschaft als Übersetzer hatte. Dass Mircea Cărtărescu, der hierzulande alle Jahre wieder als potentieller Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt wird, 2007 mit dem Roman ,,Die Wissenden“ (Orbitor. Aripa stângă) in der Literaturszene des binnendeutschen Sprachraums einen Erfolg verbuchen konnte, verdankt er der Übersetzung Csejkas. Der Übersetzer selbst wurde ein Jahr später mit dem Übersetzerpreis der Kunststiftung des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen geehrt.

Gerhardt Csejka wurde am 11. April 1945 in Guttenbrunn/Zăbrani im Banat geboren und studierte in Temeswar Germanistik und Romanistik. Bevor er 1970 Redakteur der Bukarester Zeitschrift Neue Literatur wurde, arbeitete er für die ebenfalls dort erscheinende Tageszeitung Neuer Weg (heute: Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien). Er debütierte mit Lyrik und kurzer Prosa, profilierte sich jedoch rasch als Kritiker und Essayist. 1999, in einem Gespräch für die den Rundfunksender Free Europe, das der Kritiker und Literaturhistoriker Mircea Iorgulescu mit ihm führte und das später auch in gedruckter Form erschien, zeigte sich Csejka erneut als brillanter Kenner der neueren deutschen Literatur Rumäniens. Dabei blickt Csjeka auf das Jahr 1970 und die im Herbst jenes Jahres durch das Banat unternommene Reise zurück, bei der die vom Rumänischen Schriftstellerverband herausgegebene Neue Literatur auf der Suche nach jungen Schreibtalenten war. An den Gymnasien mit deutscher Muttersprache wurde man fündig, berichtet Csejka, auch, dass es freie, offene Debatten mit Hunderten von Schülern gab, doch bevor die vielversprechenden Texte wenige Monate später veröffentlicht werden sollten, griff die Zensur ein. Am „verstaubten Rand des deutschen Kulturraums“ machte sich eine Generation von Schreibenden bemerkbar, die, so Csejka, zuallererst den Bezug zur Realität und erst danach zur Literatur herzustellen versuchte. Damals sei die neue rumäniendeutsche Literatur entstanden, deren Vertreter über die binnendeutsche Literatur zwar gut informiert waren, die sich jedoch weigerten, Epigonen der angelesenen Moderne zu werden. Ein Jahr später, 1972, wurde der Begriff ,,Aktionsgruppe Banat“ geprägt.

Bald darauf wurden mehrere Mitglieder der Gruppe, auch Gerhardt Csejka, unter einem Vorwand verhaftet und vernommen. William Totok hingegen verbüßte ohne Gerichtsurteil eine Haft von acht Monaten. Wie bekannt, wurde die Gruppe 1975 auf Druck der Behörden schließlich aufgelöst. Einige der Gründungsmitglieder verließen schon damals das Land, doch jene, die bis auf Weiteres blieben, darunter Richard Wagner, der als der Kopf der Gruppe galt, Rolf Bossert, oder Johann Lippet legten trotz der Zensur in den folgenden Jahren Beachtliches vor, vor allem Lyrik. Andere Schreibende folgten diesem Aufbruch, es entstand ein neuer, kritisch gefärbter ,,Sound“, wie es ihn bis dahin in Rumänien und der rumäniendeutschen Literatur noch nicht gegeben hatte. Ein weiteres Merkmal, das diese Generation von allen vorangegangenen unterschied: in ihrem Selbstverständnis waren die damals jungen Leute in erster Linie nicht Angehörige einer sprachlich-kulturellen Minderheit, sondern Bürger Rumäniens. Diese Einstellung sowie der neue Ton sind der Schlüssel zum Verständnis des Erfolgs, den der 1982 erschienene Band ,,Vânt potrivit până la tare“ hatte, der rumänische Übersetzungen der Gedichte von insgesamt zehn Autoren versammelte.

Zwar schrieb der Klausenburger Literaturwissenschaftler Peter Motzan das Vorwort dazu und zeichnete als Herausgeber, doch ohne die beharrliche Arbeit Gerhardt Csejkas, der die Texte der jungen Schriftsteller las und mit ihnen besprach, bevor es zu einer Erstveröffentlichung in der Zeitschrift Neue Literatur kam, hätte ihre Kreativität möglicherweise andere Wege genommen oder wäre vielleicht sogar verpufft. Die Wohnung Csejkas in unmittelbarer Nähe des Bukarester Nordbahnhofs war für viele der Schreibenden die erste Anlaufstelle. Dort wurde debattiert, um den einen oder den anderen Ausdruck gerungen, dort wurden die Argumente gekreuzt, dort konnte man sich Bücher ausleihen, die sonst niemand besaß, dort entstanden Freundschaften, die ein Leben lang hielten. Zur Erinnerung: Die Rede ist von einer Zeit, in der es in den Buchhandlungen nur hin und wieder Bücher aus der DDR gab, wo die Zensur so gut wie gar nicht mehr übertölpelt werden konnte, in der jede Begegnung mit einem ausländischen Bürger den Behörden gemeldet werden musste, und in denen man zwar ein Kissen aufs Telefon legte, aber in den seltensten Fällen wusste, dass die ganze Wohnung verwanzt war.

Als Gerhardt Csejka 1986 von einer aus Vorsicht geheim gehaltenen Reise ins Ausland nicht mehr zurückkehrte, war der Schrecken im Kreis der kleinen, ohnehin bereits geschrumpften rumäniendeutschen Kultur- und Literaturwelt ebenso groß wie das Verständnis für diese Entscheidung. Das heftige Gefühl des Verlusts aber überwog, denn jede Trennung schien in jenen Jahren eine endgültige zu sein, man war entweder drinnen, einer aus dem blinden Heer der Gefangenen der Diktatur, oder draußen – und zumindest relativ frei, doch auf Nimmerwiedersehen gegangen, mit dem Blei der Erinnerungen beschwert. Den Mentor, den Redakteur Csejka, der sich in der Neuen Literatur (neben Helga Reiter, Anemone Latzina, Elisabeth Axmann und sogar Chefredakteur Emmerich Stoffel) für die Veröffentlichung von Fragmenten aus Büchern der internationalen Literatur – von Günter Grass über Autoren der DDR, die dort kaum mehr veröffentlichen konnten, bis hin zu den „Riesen“ Südamerikas – stark gemacht hatte, die man als Ganzes nie zu lesen bekommen würde, gab es nicht mehr. Auch vielen rumänischen Literaten fehlte er, denn als Übersetzer genoss er einen so guten Ruf wie kein Zweiter.

Neben den Lehraufträgen für rumänische Sprache und Landeskunde an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main sowie an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz war Csejka von 1992 bis 1999 Herausgeber einer neuen Folge der Neuen Literatur, deren Erscheinen inzwischen in Rumänien eingestellt worden war. Er konzipierte sie als Plattform für die mittel- und osteuropäischen Literaturen, die bis zum Fall der Mauer, abgesehen von einigen Ausnahmen, im freien Teil Europas kaum wahrgenommen worden waren. Es gab Schwerpunktausgaben zu einzelnen Ländern, etwa zu Russland, Rumänien, Bulgarien oder zur Slowakei.

Die Idee war ausgezeichnet, doch das Projekt scheiterte letztlich, weil es an Geldgebern fehlte und weil kleinere sowie größere deutsche Verlage damit begonnen hatten, die vermeintlichen ,,Nischenliteraturen“ selbst zu erkunden. Mehr und mehr konzentrierte sich Csejka daher auf die Tätigkeit als Übersetzer rumänischer Autoren: Neben Cărtărescu waren es, unter anderen, Mircea Eliade, Norman Manea, Matei Vișniec, Caius Dobrescu, Daniel Vighi und Robert Șerban.

Die neue deutsche Literatur aus Rumänien in den 1970er und 1980er Jahren hätte es ohne Gerhardt Csejka so nicht gegeben, während die rumänische Literatur in ihm einen Vermittler und brillanten Übersetzer fand.

Rudolf HERBERT

Veröffentlicht in Literatur, Aktuelle Ausgabe, Persönlichkeiten.