Trans-leithanisch oder cis-leithanisch?

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Gedankensplitter zum symbolischen Wert der Krautfleckerln

Ausgabe Nr. 2685

Fast alles ist bipolar. Die Erdkugel hat zwei Pole, elektrische Batterien und auch der kleine Mickey-Maus-Magnet auf der Kühlschranktür haben einen Nord- und einen Südpol. Der Antagonismus von zwei Gegensätzen beschränkt sich jedoch nicht nur auf physikalische Dinge. Die belebte Welt ist auch voller Gegensatzpaare, man denke nur an Linkshänder und Rechtshänder, an die beiden biologischen Geschlechter: die einen sind männlich, die anderen intelligent. Und selbst innerhalb eines Individuums öffnen sich weite Gegensätze wie Stimmungsumschwünge zwischen extremer Freude und Trauer, ja es gibt auch Psychen, die man sogar bipolar nennt.

 

Weit weniger dramatisch und einschneidend sind geschmackliche Differenzen. Die einen mögen Schuhe mit hohen Absätzen, die anderen stehen buchstäblich auf flachen Sohlen. Es gibt Weintrinker oder Biertrinker, allerdings gibt es da noch eine kleine Minderheit, die wahllos alles trinkt, aber diese Ausnahme bestätigt nur die Regel. Linksliberale beäugen misstrauisch die Rechtskonservativen, während Rechtsliberale an Linkskonservativen kein gutes Haar lassen. Wozu auch? Und praktisch unfehlbare Fachleute sagen, dass die Opernliebhaber rein gar nichts von Heavy Metall-Enthusiasten halten. Wahrscheinlich ist es vice-versa ebenso. Dabei muss man sich manchmal zwischen zwei Extremen entscheiden, was nicht immer und jedem leichtfällt. Unschlüssigkeit ist keine Option und kann das Leben kosten, wie seinerzeit Herrn Buridans grauhaarigen Gefährten.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einen ganz besonders ausgeprägten Dualismus eingehen, der sich im politisch-kulinarischen Geflecht der alten Donaumonarchie entwickelt hat, und sich mit seinen Bruchlinien bis in meine eigene Familie fortsetzt. Es geht dabei mitnichten um die Bevorzugung von Kaffee oder Tee, oder gar der Anhängerschaft für veganes anstatt wohlschmeckendes Essen. Nein, es geht hier um zwei sich völlig gegenseitig ausschließende Varianten von Krautfleckerln.

Diese klassische österreichisch-ungarische Mehlspeise existiert in zwei völlig gegensätzlichen Zubereitungsformen, nämlich in einer ausgesprochen süßen, gegenüber einer salzigen Ausführung.

Krautfleckerln bestehen laut strengstens umgesetzten, gesetzlichen Vorschriften aus quadratischen Teigschnipseln, die in etwa die Größe und Form von Briefmarken haben und die mit geriebenem Weißkohl versetzt sind. Die beiden regional verschiedenen Zubereitungsarten verteilen sich geographisch in eine cis- und in eine trans-leithanische Variante. Diese Namensgebung leitet sich vom Flüsschen Leitha ab, welches, eine Stunde östlich von Wien, die historische Grenze zwischen der deutschsprachigen (österreichischen), d. h. der cis-leithanischen und auf der anderen Seite der ungarischsprachigen, d. h. der trans-leithanischen Hälfte der mit Tschingderassabum untergegangenen Monarchie markiert. Die cis-Form wird mit Öl, Pfeffer und Salz abgeschmeckt, während die trans-Form mit reichlich Puderzucker bestreut wird. Dieser Dualismus der k. u. k.-Gastronomie ist ein treffendes Abbild der sonstigen Antagonismen innerhalb der alten Monarchie, und kulminierte in seiner Heftigkeit wahrscheinlich während des ungarischen Freiheitskampfes um 1848, als die österreichische Seite mit tatkräftiger Hilfe des Zarenreichs obsiegte. Vae pudris! Vae sucris!

Die tragische Niederlage der Ungarn, eine von unendlich vielen während der konfliktreichen magyarischen Geschichte, dürfte ebenso zur leicht depressiven Stimmung dieses obendrein sprachlich isolierten Volkes beigetragen haben, wie die Demütigung auf dem Lechfeld (955), die Katastrophe von Mohács (1526) und das Diktat von Trianon (1920). Aber immerhin, so wie schlussendlich beim österreichisch-ungarischen Ausgleich im Jahre 1860 ein wackliger Frieden hergestellt wurde, so konnten die zwei analogen kulinarischen Gepflogenheiten ebenfalls friedlich nebeneinander bestehen und finden sich manchmal sogar auf derselben Menükarte einträchtig nebeneinander. Ein jeder Liebhaber der salzigen, namentlich der cis-leithanischen Version der Krautfleckerln kann sich gar nicht vorstellen, die süße Variante auch nur zu kosten, während dem sich nach dem zuckrigen Geschmack sehnenden Transleithaner der Magen umdreht, wenn er nur an die salzig-pfeffrige Version denken soll.

Und hier scheiden sich die Geister auch in meiner Familie: Mein süßmäuliger Vater hatte einen klassischen, trans-leithanischen Geschmack und bekam seine Krautfleckerln separat, mit reichlich Puderzucker serviert, während ich nach der salzigen Variante gierte. Dieser eklatante Unterschied führte mich nolens-volens dazu, meine genetische Herkunft aus der Familie meines Vaters zu hinterfragen. Es war für mich unvorstellbar, der leibliche Sohn eines derart geschmacksverirrten Krautfleckerln-Essers zu sein, der diese Köstlichkeit willentlich mit einer ganzen Ladung Puderzucker ruinieren konnte. Dieser schicksalhafte und zutiefst erschütternde Umstand ließ mich im späteren Leben einige genealogische Nachforschungen anstellen. Über deren Ergebnisse werde ich ein anderes Mal berichten; jetzt muss ich hier Schluss machen, denn meine mit Öl, Salz und Pfeffer ausgewogen abgeschmeckte, in bester cis-leithanischen Manier zubereitete Krautfleckerln-Portion dampft und duftet bereits verlockend auf meinem Teller.

Zur Einführung in dieses ideologisch heiß umstrittene Thema empfehle ich Ihnen folgenden Link: https://burgenland.orf.at/v2/radio/stories/2890401/

Peter BIRO

 

Zwei siebenbürgische Rezepte

  1. Krautnudeln: 1 Krautkopf (von 1 kg), 150g Fett, 480 g Nudeln, Salz

Man schneidet den gereinigten Krautkopf in einen Zentimeter breite Streifen und gibt sie mit heißem Fett in eine flache Pfanne. Das Kraut wird unter ständigem Rühren braun geschmort und erhält einen süßen, pikanten Geschmack. Man dünstet es, ohne Flüßigkeit zuzugießen, 30-45 Minuten lang.

Die inzwischen weichgekochten Nudeln werden damit vermischt, 5 Minuten heiß gestellt und dann aufgetragen.

(Aus: Martha Liess, Siebenbürgisches Kochbuch, Schiller-Verlag Hermannstadt-Bonn, 2015)

  1. Krautnudeln: Nudelteig von 1 Ei, gedünsteter Krautsalat von 1/2 kleinen Krautkopf, etwas Öl, Salz, Pfeffer

Nudeln werden in kochendes Wasser gelegt, auf kleiner Flamme weichgekocht, abgeseiht und mit etwas kaltem Wasser abgeschreckt. Dann in heißem Öl wenden und mit dem gedünsteten, gepfefferten Krautsalat vermengen. Man kann vor dem Auftragen etwas Rahm darübergießen.

(Aus: Brigitte Ina Kuchar: Siebenbürgische Küche, Schiller-Verlag, Hermannstadt-Bonn, 2011)

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Gastronomie.