„Chruschtschows Kühlschrank“

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26. Arbeitstreffen der Stadtgeschichte-Kommission

Ausgabe Nr. 2646

Akademiemitglied und Städtehistoriker Prof. Dr. Paul Niedermaier bei der Eröffnung der Tagung.                                                  
Foto: Roger PÂRVU

Die Kost der Mönche im Mittelalter bestand hauptsächlich aus Brot und Wein. Victualia (Luxuslebensmittel) wie Olivenöl, Feigen, Indianerstück (Truthahn) usw. gehörten zu den Gerichten, die bei der Präsentation eines sächsischen Pfarrers aufgetragen wurden. Die erste Fabrik für künstliches Eis wurde in Bukarest von dem Bürgermeisteramt gebaut. Die Zuckerfabrik in Brenndorf (Bod) war bei ihrer Eröffnung eine der modernsten in Osteuropa. „Stadt und Ernährung“ war Inhalt eines zweitägigen wissenschaftlichen Arbeitstreffens der Stadtgeschichte-Kommission in der Evangelischen Akademie Siebenbürgen. 

 

Die Kommission für Stadtgeschichte in Rumänien an der Rumänischen Akademie (C.I.O.R.) wurde 1992 gegründet und ist Mitglied der Internationalen Städtekommission. Die Kommission verwertet historische, architektonische, urbanistische und verschiedenste wissenschaftliche Studien zur Stadtentwicklung aus. Zur Tätigkeit gehören jährliche wissenschaftliche Veranstaltungen, deren Ergebnisse in der Fachpublikation Historia Urbana und im Informationsblatt Informaţii privind istoria oraşelor (Informationen zur Geschichte der Städte) veröffentlicht werden.

Das 26. Treffen der Kommission fand zwischen dem 17. und dem 19. Oktober d. J. im Hans Bernd von Haeften-Tagungs- und Konferenzzentrum der Evangelischen Akademie Siebenbürgen statt. Das Thema des diesjährigen Treffens lautete „Stadt und Ernährung“. Das Arbeitstreffen wurde in Partnerschaft von der Kommission für Stadtgeschichte in Rumänien an der Rumänischen Akademie (C.I.O.R.), dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde-Hermannstadt und der Evangelischen Akademie Siebenbürgen organisiert. Gefördert wurde die Tagung durch das Bundesland Kärnten und das Konsulat der Bundesrepublik Deutschland in Hermannstadt.

Auf einen ersten Blick passen die beiden Begriffe des vorgeschlagenen Themas eigentlich nicht zusammen, doch es sollte sich am Ende der insgesamt dreißig Vorträge herausstellen, dass sowohl die Entwicklung urbaner Strukturen, wie auch die Ernährungskultur sich in ständiger Wechselwirkung befanden und befinden. Ernährung ist nicht nur Teil der Stadtgeschichte, sondern ist durch ihre Daseinsnotwendigkeit ein Bestimmungsfaktor städtischer Existenz: angefangen von der Preisfestlegung bis hin zum Erscheinen neuer noch nicht dagewesener Bauten.

Die Vorträge beleuchteten die jahrhundertelange Entwicklung vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Es entstand ein komplexer Überblick: Es ging um Ernährungsgewohnheiten der Mönche, um die Gerichte an den reichen Tafeln am Hofe der Adligen oder am Hofe des Bischofs in Karlsburg, um die Verpflegungsvorschriften in den Schulinternaten im rumänischen Königsreich der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, aber auch um die Ernährungsproblematik in Hermannstadt während dem Zweiten Weltkrieg und dem Lebensmittelschwarzmarkt in den 1950er Jahren in Großwardein.

Ernährungsgewohnheiten veränderten immer wieder das Stadtbild. Die Stadtgestaltung musste mit den Verpflegungsnotwendigkeiten der Bevölkerung schritthalten: Es erscheinen Kaffeehäuser in Hermannstadt und Temeswar durch die Verbreitung der Kaffeekultur, es werden in Klausenburg Restaurants in Hotels eröffnet, welche die adligen Strukturen auch dem Bürgertum zugänglich machten (wie das oft bediente „Palace“ oder „Palais“ in der Namensgebung derartiger Einrichtungen zeigt), es werden öffentlichen Märkte in Jassy oder Großwardein umgestaltet, um dem Hygienebedarf zu entsprechen usw.

Der Lebensmittelbedarf führte zu neuen Baustrukturen. Ein gutes Beispiel ist der Bau der ersten Fabrik für künstliches Eis in Bukarest oder das Erscheinen der Bierbrauereien in Temeswar, aber auch die gegenwärtige Umwidmung von Wohneinrichtungen in Orte für den Vertrieb von Lebensmittel (Restaurants, Läden, Bars usw.).

Eine interessante Perspektive bot eine Analyse der Entwicklung in Chișinău, wo das Fehlen der Keller dazu führte, dass die Bewohner an der Außenwand der Wohnblocks unter dem Fenster hölzerne Lagervorrichtungen bauten. Diese wurden als „Chruschtschows Kühlschrank“ bekannt.

Kochbücher gehörten natürlich zu den Themen der Vorträge: von dem ersten 1693 in Szeklerburg (Șumuleu Ciuc) erschienen Kochbuch, über das Kochbuch der Gräfin Zsuzsanna Bethlen von Iktar bis zu dem Kochbuch von Christine Schuster, der Leiterin der Haushaltungsschule des Ortsvereins Hermannstadt des allgemeinen Frauenvereines der Evangelischen Kirche A. B. in Siebenbürgen, welches aus keinem siebenbürgisch-sächsischen Haushalt fehlen durfte.

Zwar gehörte das Treffen nicht zu dem offiziellen Programm der Europäischen Gastronomieregion Hermannstadt 2019, doch kann es als eine Erweiterung besonderer Art desselben betrachtet werden. Organisatoren und Teilnehmer waren sich einig: Auch wenn die Themenstellung eine für die Kommission eher unkonventionelle war, hat der Perspektivenwechsel durchaus seine Berechtigung gehabt und hat für neue Denkanstöße gesorgt. So blickt man schon erwartungsvoll auf das Arbeitstreffen 2020, welches in Klausenburg stattfinden wird.

Roger PÂRVU

 

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Stadtentwicklung.