2622
Gebürtiger Oberwischauer veröffentlicht Prosaband
Thomas Perle, 1987 in Oberwischau/Vișeu de Sus geborener deutscher Schriftsteller und Dramatiker, hat 2018 ein Buch vorgelegt, in dem er über die Zerrissenheit der Menschen zwischen zwei Welten schreibt. Etwas gewöhnungsbedürftig ist das vollkommene Weglassen der Großschreibung. Der Schreiber zeigt damit das Vergängliche, indem er auf die Heraushebung des Bestimmenden, des Ewigen, verzichtet! Thomas Perle beginnt sein Buch am 25. Dezember 1989 vor dem Fernseher und nicht unter dem Weihnachtsbaum, der Fernseher lief den ganzen Tag und zeigte nicht, wie gewohnt, zwei Stunden sozialistische Traumwelt. Es wurden Bilder von buhenden Menschen, Hubschraubern, Panzer, einem alt gewordenen „Conducător“ und einer hysterischen „Mutter des Volkes“ gezeigt. Ein ganzes Land saß vor dem Fern-
seher und wusste nicht, was kommen wird.
Das trifft auch für den Leser zu, irritiert durch das Weglassen der Großschreibung und neugierig auf das, was kommt.
Der Autor hält die Spannung hoch. Man wird im weiteren Verlauf der Lektüre auch nicht enttäuscht, sehr eloquent wird die Konfusion in der Psyche, die Verwirrung darüber, wer oder was man ist oder zu wem man gehört, beschrieben.
Als Sohn einer deutschen Mutter und eines ungarischen Vaters – was ist er, Perle? Ungar, Deutscher oder gar Rumäne? Was ist man eigentlich dann und wo ist Heimat?
In der ersten Episode dieser Reise in den unterschiedlichen Kulturen kommt die Familie des Ich-Erzählers im Westen an und bemerkt, „im Westen ist alles frei, aber nichts umsonst“!
Perle beschreibt eine eigene Minderheitenidentität, die geprägt ist vom Deutschsein-wollen, aber doch dauernd vom Schicksal geschlagen wird! Das vorliegende Werk „wir gingen weil alle gingen“ zeigt das schwere Leben in Zeiten des Kommunismus in Rumänien. Anstehen nach Lebensmittel, ungeheizte Wohnungen im Wohnblock, das Verschwinden von Bekannten, die bedrückende Kontrolle durch die Securitate und natürlich das sich langsam vollziehende Drama des Exodus der deutschen Minderheit sind die sehr intensiv beschriebenen Episoden.
In seiner knappen, aber poetischen Sprache, die „ wir gingen weil alle gingen“ innewohnt, wird das Ende der Revolution tragisch und ohne Illusionen den Lesern vor Augen geführt. „Meine Mutter arbeitete tagsüber und nachts schrieb sie Texte gegen das Regime, sie musste sterben, der Vater fuhr nach Bukarest zum Demonstrieren, er wurde festgenommen, geschlagen und in einem Lagerhaus erschossen und verscharrt. Libertate! Libertate, wir bekamen die Freiheit, aber meine Mutter nicht zurück! Die sozialistischen Hymnen waren verstummt in Rumänien, begraben hinter einer Lagerhalle“.
Ursprünglich handelte es sich unter dem gleichen Titel um einen Theatertext, für den Thomas Perle 2013 mit dem Exilliteraturpreis der Stadt Wien ausgezeichnet wurde. In einer Schreibwerkstatt hatten die Mitglieder des Theaterjugendclubs Nürnberg gemeinsam mit Thomas Perle Texte entwickelt, und einige der entstandenen Texte wurden in die Inszenierung, die am 23. April 2016 am Staatstheater Nürnberg Premiere hatte, wie eine Art Kommentar eingearbeitet.
Perle emigrierte 1991 mit seiner Familie nach Deutschland, wo er in Nürnberg aufwuchs und 2007 maturierte. 2007/08 absolvierte er ein Jahrespraktikum am Staatstheater Nürnberg und begann im Oktober 2008 an der Universität Wien das Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften. Ab 2009 war er Dramaturgiehospitant am Volkstheater Wien und Regieassistent am Schauspielhaus Wien.
Lothar SCHELENZ