Was kann Theater bieten?

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Szenische Collage Theatergeschichte(n)“ im DKH
Ausgabe Nr. 2507
 

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Plötzlich sitzt da eine nackte alte Frau auf der Bühne. Sie sitzt da nicht wirklich, aber man kann sie trotzdem sehen. Wenn Schauspielerin Emöke Boldizsár den Text über eine russische Charakterdarstellerin vorliest, die langsam in die Rolle einer alten Verrückten schlüpft, meinen auch die Zuhörerinnen und Zuhörer in der Bibliothek des Deutschen Kulturzentrums Hermannstadt (DKH), nun die alte Frau vor sich zu haben. Der Text ist Teil einer szenischen Collage, die der Luxemburger Regisseur und Autor Rafael David Kohn zusammengestellt hat. Emöke Boldizsár und ihre Kollegen Daniel Plier und Valentin Späth von der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters lasen ihn am 10. November vor.

 

Es ging bei der Lesung um „Theatergeschichte(n)“: Was kann das Theater heute bieten? Eine spannende Frage in Zeiten Netflix und Co., die allerdings auch schon die ersten Theaterautoren beschäftigte. Kohn hat die Ideen verschiedener Jahrhunderte in seine Collage aufgenommen: Von Lessing und Schiller bis zu Brechts epischen Theater und Antonin Artus „Theater der Grausamkeit“ wurden die Aufgaben und Möglichkeiten der Bühnen hitzig diskutiert. Vor allem ging es um die Frage, „wie ernst dürfte oder müsste man heutzutage Theater noch nehmen“, wie es im Ankündigungstext hieß. Ernst nehmen hier alle ihre Kunst; aber das bedeutete auf der Lesung nicht, dass nicht auch gelacht werden durfte.

Was ist ein C-Schauspieler?, fragt beispielsweise das „Einmaleins des C-Schauspielers“ von Michael Green. Die Antwort: Einer, der sich zwar an seine einzelnen Sätze erinnern kann, nicht aber an deren Reihenfolge. Oder der weiß, wann sein Auftritt ist, aber nicht, wo. So lauten zwei der vielen Möglichkeiten, auch bei schlechten Schauspielern gibt es schließlich Raum für individuelle Entfaltung.

Die Frage, was einen guten Schauspieler ausmacht, war dagegen schon schwerer zu beantworten. Bei der Lesung hielten sich die Schauspieler eher an Otto Falckenbergs Motto: „Darstellen heißt weglassen.“ Ohne Requisiten konzentrierten sie sich nur auf das Vorlesen ‒ was allerdings durchaus genügte, um unter anderem eine alte nackte Frau aufleben zu lassen.

Als Leitmotiv zog sich die Definition des Dokumentarischen Theaters von Peter Weiss durch die Collage. Peter Weiss wurde in den 60er Jahren dafür berühmt, dass er die Politik zurück auf die Bühnen brachte, und das in einer Zeit, in der die Inszenierungen zum reinen Klassiker- und Unterhaltungstheater geschrumpft waren. In seinem berühmtesten Stück „Die Ermittlung“ verarbeitete er dafür beispielsweise Protokolle der Frankfurter Auschwitz-Prozesse. Seine Methode, authentisches Material zu Dramen zu verarbeiten, ist im deutschsprachigen Theater gerade wieder in Mode. Künstlerkollektive wie Rimini Protokoll oder She She Pop feiern damit große Erfolge.

„Ich habe Texte ausgewählt, die mich in meinem Schreiben beeinflusst haben“, erzählt Autor Kohn in der anschließenden Diskussionsrunde. Aber er mokiert sich auch über kommunistische Schreiber wie Weiss und Brecht, die ihr Publikum „erziehen“ wollen. Kohn selbst schreibt ebenfalls politische Texte, zum Beispiel über den Bürgerkrieg in Sierra Leone oder über politischen Widerstand und Kapitalismus. Nur erziehen will er sein Publikum nicht, lieber unterhalten und zum Denken anregen.

In Hermannstadt war er bereits im März diesen Jahres, als er am Radu Stanca-Nationaltheater die Regie des Stückes „Falsche Schlange“ von Alan Ayckbourn übernahm. Am Montag führte es die deutsche Abteilung noch einmal auf.

Bernadette MITTERMEIER

 

Bei der Diskussionsrunde mit Daniel Plier, Valentin Späth, Rafael David Kohn und Emöke Boldizsar (v. l. n. r.).                      

Foto: die Verfasserin

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Theater.