Aus der Zeit gefallen

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Lesung mit der österreichischen Autorin Andrea Sailer
Ausgabe Nr. 2507
 

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Gut, dass das Publikum eine großzügige Portion Selbstironie mitgebracht hatte: Die österreichische Autorin Andrea Sailer brachte sie bei ihrer Lesung am vergangenen Freitag in der Bibliothek des Deutschen Kulturzentrums Hermannstadt zum Lachen ‒ vor allem über sich selbst. Vor dem schwarzen Humor der Autorin war keine menschliche Schwäche sicher.

 

Andrea Sailer veröffentlichte bereits zahlreiche Gedichte, Erzählungen und Romane. In ihrer Heimat in der Steiermark ist sie den österreichischen Radio-Hörern außerdem durch ihre Kolumne „Gedanken zur Zeit“ bekannt. Zeit ist ein Thema, dem sie sich in vielen ihrer Texte widmet. Teilweise sind diese sehr heiter: Sailer macht sich liebevoll über gealterte Paare lustig, die nicht mehr so ganz miteinander „hormonieren“, wenn er „unverhopft zum Bierbauch gekommen ist“ und für sie die „letzte Chance zur Selbstentfaltung ein Lifting ist“. Es ist eben nicht leicht, „wenn deine Outfits immer spannender werden, nur aufgrund deines Übergewichts.“ Aber Andrea Sailer tröstet auch: „Alt bist du nur dann, wenn du nicht mehr der Alte bist.“

Die Autorin ist selbst ein wenig aus der Zeit gefallen. Sie gehört zu der aussterbenden Art, die kein E-Mail-Konto besitzt. Ihre Texte tippt sie auf der Schreibmaschine oder schreibt sie per Hand. Andrea Sailer ist definitiv kein Mensch, der jeden Trend mitmachen muss.

Ernster wird das Thema Zeit bei einem anderen Text, den sie aus ihrem aktuellen Buch „Paradiese“ vorliest. Eine Erzählung darin mit dem Titel „Atemzüge“ handelt von Josef, Rosa und dem Tod, und der Zwillingsangst vor dem Vergessen und vor der Erinnerung. Rosa ist gestorben und Josef kann sie nicht loslassen. „Er hatte immer damit gerechnet, dass er mit Rosa ein Glück erleben würde, von dem er sich nie erholen würde“, heißt es in der Erzählung. Die Geschichte geht der Frage nach, was vom Leben und seinen Prüfungen übrig bleibt. Josefs Urteil jedenfalls fällt düster aus: „Am Ende die vernichtende Zensur: Nicht genügend. Zersetzen. Danke.“

Als Dreijährige lernte Andrea Sailer das Lesen ‒ auf dem Friedhof, mit den Inschriften der Grabsteine. Vielleicht stamme daher ihre Faszination mit dem Tod, mutmaßt sie. Sie begegnet ihm mit dem in all ihren Texten präsenten schwarzen Humor. Ob sie sich über Schönheitsklischees lustig macht („Schlaf macht schön kann nur jemand sagen, der noch nie jemanden aufstehen sah“), die Floskeln aus Kontaktanzeigen übersetzt („romantisch“ heißt „unerfahren, möglicherweise unberührt“, „sensibel“ bedeutet „in psychiatrischer Behandlung“) oder ernste Themen wie Abtreibung oder Fremdenfeindlichkeit aufgreift: In jedem ihrer Texte entblößt sie Klischees und Heuchelei.

Ihre stärkste Waffe ist dabei das Wortspiel, dieses in Ungnade gefallene Stilmittel, das sonst meist ein trauriges Dasein auf unlustigen Postkarten fristet. Andrea Sailer macht daraus ein Werkzeug, um sprachliche Gewohnheiten zu hinterfragen, zum Beispiel „die Kreditwürde, die wie das Wort bereits anklingen lässt, meist nur im Konjunktiv existiert“).

Es lohnt sich, ihr dabei zuzuhören. Niemand kann so genussvoll „Fußpilz“ sagen wie sie, und wenn jemand sich so liebevoll mit dunkler Stimme und leichtem österreichischen Akzent über die menschlichen Schwächen lustig macht, ist es ein Leichtes, auch über sich selbst zu lachen.

 

Bernadette MITTERMEIER

 

Andrea Seiler in der DKH-Bibliothek.

Foto: die Verfasserin

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Bücher.