Eine mögliche unmögliche Liebe

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Der neue Roman von Eginald Schlattner trägt den Titel ,,Die dritte Nacht“

Ausgabe Nr. 2925

Schlattner, Eginald: Die dritte Nacht, Pop-Verlag, Ludwigsburg, Reihe Epik, Bd. 155, 2025, 166 Seiten. ISBN 978-3-86356-410-0, 19,90 Euro. In Hermannstadt erhältlich in der Schiller-Buchhandlung und im Erasmus-Büchercafé.

Ab einem gewissen Alter gibt es mehr Vergangenheit als Zukunft in unserem Leben, sodass die Gedanken zurückschweifen, um Antworten auf Fragen zu erhalten, die bis zu dem gegenwärtigen Zeitpunkt unbeantwortet geblieben sind. Es geht vor allem um die Beziehungen zu den geliebten Menschen, die uns in einem bestimmten Lebensabschnitt begleitet und uns gefühlsmäßig nie verlassen haben. Die immerwährende Frage „Was wäre gewesen, wenn …?“ taucht auf und verlangt nach einer bewussten Auseinandersetzung damit.

In seinem im Jahr 2025 erschienenen autobiografischen Roman, „Die dritte Nacht” geht Eginald Schlattner dieser Frage nach.

 

Es ist die Geschichte einer möglichen unmöglichen Liebe zwischen dem Ich-Erzähler und Yvonne, die auf Nähe und Distanz basiert. Beide Hauptfiguren sind fast 18 Jahre alt und sogar im selben Monat geboren, was indirekt auf die Schicksalshaftigkeit ihrer Beziehung hindeutet. Der Ich-Erzähler, der im Text als Egi bezeichnet wird, gehört zur siebenbürgischen Familie Schlattner, die im 20. Jahrhundert ebenso wie alle anderen Siebenbürger Sachsen von harten Schlägen getroffen wurde. Mitglieder der Familie sind die Mutter, der Bruder Kurtfelix, Erika und Heinz Reimar, die Banater Cousins, das Adoptivkind Yvonne und der Onkel. Sie treffen sich in der Kleinstadt Fogarasch, nachdem das kommunistische Regime ihre Häuser und Geschäfte enteignet hat. Somit rückt die Zeitgeschichte in typisch Schlattnerscher Manier in den Vordergrund, sodass die Leserschaft die historischen Aspekte mit dem persönlichen Schicksal der Figuren verbinden kann.

Die einzelnen Lebenswege werden Teil der Weltgeschichte: Kurz und knapp zusammengefasst, werden sie gleichzeitig subjektiv und objektiv geschildert – Fakten und Daten einerseits, individuelle Erfahrungen andererseits. Der Zweite Weltkrieg, die Deportation der arbeitsfähigen Siebenbürger Sachsen in die Sowjetunion, die Abdankung von König Mihai I., die Enteignung durch den rumänischen Staat im Jahr 1948, die Partisanen im Gebirge und der rumänische Sicherheitsdienst sind nur einige der Aspekte, die die Handlung einbetten und ihr Authentizität verleihen. Hierbei handelt es sich um das Konzept der Geworfenheit im Sinne Heideggers: Der Mensch wird in eine Welt hineingeboren, die er sich nicht ausgesucht hat und die er nicht beeinflussen kann. Seine Aufgabe besteht darin, die Möglichkeiten zu entdecken, die sein Dasein lebenswert machen. Er muss seine persönliche Freiheit in der gesellschaftlichen Gefangenschaft finden, um mit den existierenden Gegebenheiten im Einklang zu sein.

Der Ich-Erzähler muss sich dem schwierigen Kontext seiner Zeit anpassen und dabei den Entwicklungsprozess vom Jungen zum Mann durchlaufen. Sein Interesse für Mädchen bzw. Frauen wächst und er sehnt sich nach dem Findelmädchen Yvonne. Sein Onkel, der schon lange im Banat lebt, hat sie einst neben einem Brunnen gefunden und in seine Familie aufgenommen. Schon als Kind übt das fremde Wesen eine starke Anziehungskraft auf ihn aus, doch er kann diese in jungen Jahren nicht verstehen. Da man die Herkunft des Mädchens nicht kennt und sie selbst keine Informationen über sich preisgibt, bleibt Yvonne von einer geheimnisvollen Aura umgeben. Die Cousins und Cousinen wachsen gemeinsam auf und lernen gegenseitig ihre Vorlieben und Abneigungen kennen. Sie sprechen dieselbe Sprache und machen ähnliche Erfahrungen. Jedes Jahr treffen sie sich bei der Großmutter in der Tannenau bzw. auf dem Gutshof im Banat. Diese Treffen stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl und den Familienzusammenhalt. Für alle sind sie eine erwartete sommerliche Routine.

Nach dem politischen Umbruch verändert sich die Realität in Rumänien. Alle Familienmitglieder sind von Armut betroffen. Sie sind auf der sozialen Leiter abgestürzt und leben unter unwürdigen Bedingungen. Deshalb findet der letzte Besuch der Banater in den 1950er Jahren in der sogenannten „Rattenburg” statt, der neuen Wohnung der Familie Schlattner aus Fogarasch. Nach der Verstaatlichung ihrer Villa müssen der Ich-Erzähler, Kurtfelix und seine Mutter in einem maroden Gebäude leben.

Genau hier werden alte gemeinsame Erinnerungen wach. Die erste gemeinsame Nacht des Mädchens und des Ich-Erzählers war harmlos und geheimnisvoll. Die beiden Jugendlichen verbringen die Nacht unter dem freien Himmel des Banats in einer improvisierten Hütte im Hof. Die Aufregung ist groß und sie schätzen die Anwesenheit des anderen. Der Ich-Erzähler kann vor Aufregung kaum schlafen, um nichts von diesem Augenblick zu verpassen. Ihre Nähe ist von Angst und Ungewissheit geprägt. Da sie keine Erwartungen voneinander haben, nimmt die zweite Nacht erst Jahre später ihren Lauf. Diesmal, sich ihrer neuen Körperlichkeit bewusst, erleben sie die Zweisamkeit aus einer anderen Perspektive. Nach einer Fahrradtour in die Berge, um frische Milch für die Familie zu holen, passiert auf dem Rückweg ein Unfall, aufgrund dessen sie eine Nacht in einer Mühle am Bach verbringen müssen. Der Ich-Erzähler pflegt Yvonnes Wunden, zieht ihre schmutzigen Kleider aus und hüllt ihren Körper in seinen Regenmantel. Ihre zweite Nacht miteinander bedeutet Schmerz und Wunden. Sie kehren nach Fogarasch zurück, doch der junge Mann muss Yvonne zu Hause in der Rattenburg zurücklassen, um eine einmalige Erwerbstätigkeit zu erledigen, die sich zu einem Abenteuer entwickelt. So verhilft er seiner eigenen Familie aus der finanziellen Not.

Sie hoffen auf eine weitere gemeinsame Nacht, auf das Aufheben von Angst und Ungewissheit, auf Heilung. Dazu kommt es jedoch nicht mehr. Die junge Frau verlässt Siebenbürgen schweren Herzens, ohne Egi noch einmal zu sehen. Das Ende bleibt offen. Die ungestellten Fragen und die dazugehörigen Antworten – drei an der Zahl – werden in zwei Briefen offenbart, die den Ich-Erzähler dazu verleiten, zu überlegen, ob eine dritte Nacht auch eine Zukunft für ihre Beziehung bedeutet hätte.

Eine Zukunft für zwei Menschen, die sich zeitlebens verpasst haben:

„’Glaubst Du, dass ein Mensch sich in seinem Wesen zu wandeln vermag?

Glaubst Du, dass wir zwei uns nach langer Zeit noch etwas zu sagen haben werden? […]

Und glaubst Du, dass es eine dritte Nacht geben wird?‘

Ich kreuzte an: ja oder nein.

Dann öffnete ich den anderen Brief.

Bis auf eine Antwort stimmte, was ich angekreuzt hatte.“ (S. 165f.)

Manche Fragen und ihre Antworten bleiben nur Gedankenspiele.

„’Was wäre gewesen, wenn…?‘ begleitet uns ein Leben lang.

Gibt es je ein Zurück? Wahrscheinlich nicht.

‚Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.

Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon.‘ (Prediger 3).”

Andreea DUMITRU

Veröffentlicht in Literatur, Aktuelle Ausgabe.