Pringsheim bei Zieglers

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Zum 150. Geburtstag Thomas Manns eine zusätzlich kurze biographische Notiz

Ausgabe Nr. 2916

Es war ein kühler, früh schon abendlich dämmernder Spätnachmittag des 17. März 1965, als die Türschwelle des neben der Hermannstädter Kadettenschule befindlichen Zieglerhauses ein Gast überschritt, der eben erst den musikbestimmten Weg aus dem fernen Tokio ins siebenbürgische Hermannstadt gefunden hatte – es war der Dirigent des Tokyo Nippon Hokkaido Orchestra, Klaus Pringsheim. Auf seiner Tournee durch Rumänien sollte er, dank der Intervention des Direktors und Chefdirigenten Henry Selbing, auch einen interessanten Beethoven-Abend im alten Theater, der damaligen Spielstätte des Hermannstädter Philharmonischen Orchesters gestalten. Als Solist des D-Dur-Violinkonzertes des Bonner Meisters war der vielfach ausgezeichnete Bukarester Stargeiger Daniel Podlovsky ausersehen. Als unsere Mutter dem Vater ein paar Tage vorher diese Neuigkeit verkündete, reagierte er wie elektrisiert und beschwor sie, die beiden unbedingt zu uns einzuladen, schließlich ging es bei dem Gast aus Japan um keinen Geringeren als um den Zwillingsbruder von Katia Mann, Thomas Manns lebenslange treue Begleiterin, kluge Managerin und Beraterin, die jahrzehntelang die Finanzen und den Familien-Haushalt umsichtig leitete, ihrem Gatten die Niederungen des Alltags vom Leibe hielt und ihm noch dazu sechs, zum Großteil interessante Kinder schenkte.

Der schlanke, elegant gekleidete und trotz seiner 82 Jahre aufrecht daherschreitende Herr gab mit einem verbindlichen Lächeln auf den Lippen und nach einem ermutigenden Zwetschgen- Schnaps siebenbürgischer Machart gerne einige Stationen seines Lebens wieder, das trotz der räumlichen Distanz doch immer wieder einen Bezug zu den Manns erlaubte, war doch Katharina, Katia genannt, nicht nur seine Zwillingsschwester, sondern auch seine Hauptvertrauensperson der Familien Mann und Pringsheim.

Zunächst beschrieb er die Atmosphäre im Münchner Palais seiner Eltern, des renommierten Mathematikprofessors an der Uni München und der wunderschönen Mutter Hedwig, der Tochter der leidenschaftlichen Vorkämpferin für Frauenrechte, Hilde Dohm. Das strenge Familienoberhaupt Alfred Pringsheim war neben seiner intensiv betriebenen wissenschaftlich-pädagogischen Arbeit auch ein Musikförderer und begeisterter Früh-Wagnerianer und überstand unbeschadet sogar ein Duell mit einem Kontrahenten, der es gewagt hatte, in seiner Gegenwart sich überaus abschätzig über Pringsheims Idol Wagner zu äußern, wie es amüsiert Katia in ihren von Elisabeth Plessen und Michael Mann zusammengefügten Interviews „Meine ungeschriebenen Memoiren“ zum Besten gab. Ihre Mutter brachte immerhin innerhalb von vier Jahren 5 Kinder zur Welt, nach drei Jungen schließlich die Zwillinge Klaus (von dem Mutter Hedwig in ihrem Tagebuch als von dem netten, dem gefälligeren Zeitgenossen sprach) und das lang erwartete Mädchen Katharina, die von ihrer Mutter als die selbstsicher und zielbewusst Handelnde bezeichnet wurde. Jedenfalls wuchs das Zwillingspärchen in voller Eintracht und in gegenseitigem Verständnis auf. Während Klaus wie auch seine drei älteren Brüder brav das Gymnasium besuchte, durfte das zu jener Zeit seine Zwillingsschwester nicht, erhielt aber einen gediegenen Privatunterricht, sodass sie mit ihm zusammen als 18-jährige „Externe“ die Matura ablegen konnte. Während sie ein wissenschaftliches Studium an der Uni München begann (mit Röntgen als Physik-Professor und ihrem Vater im Fach Mathematik), wandte sich Klaus der Musik zu.

Im Münchner Pringsheim-Domizil in der Arcisstraße machten währenddessen Künstler, Dichter und Musiker ihre Aufwartung. (…) Auch fehlten nicht die Verehrer der hübschen und intelligenten Tochter des Hauses, darunter auch der berühmt-berüchtigte Kritiker Alfred Kerr, doch letztlich war es Thomas Mann, der das Rennen um die sich anfangs sträubende Katia gewann, „nicht ohne meine und meiner Mutter energische Unterstützung“, wie Pringsheim uns süffisant lächelnd versicherte. Die Einführung ins Haus Pringsheim durch eine Freundin der Familie, die elegante Salonière Elsa Bernstein, machte erst die hartnäckige Werbung Thomas Manns möglich, die dieser dann, humorvoll persiflierend, in sein „Lustspiel in Romanform“, „Königliche Hoheit“, einbaute. Anfangs war eigentlich nur der Vater gegen diese eheliche Bindung und darüber gab uns Pringsheim noch eine nette Anekdote zum Besten. Als Thomas Mann mit einstündiger Verspätung zur Verlobungsfeier kam, empfing ihn Prof. Pringsheim mit den Worten: „Die Verlobung war um vier. Jetzt ist sie abgesagt. Der Bräutigam hat seine Braut versetzt“ und ließ den total Verstörten einfach stehen, da er von ihm als schriftstellernder Heiratskandidat (der inzwischen immerhin schon durch Novellen und durch den, immer beliebter werdenden Jahrhundertroman „Die Buddenbrooks“ aufgefallen war) trotzdem nie ernst genommen wurde. Doch drei Monate später, 1903, fand die Hochzeit statt und damit der Beginn einer einmaligen, ganze 52 wechselvolle Jahre andauernden felsenfesten Verbindung, wie sie zumindest in den Schriftstellerkreisen des 20. Jh. ziemlich selten anzutreffen war.

Der Weg von Klaus Pringsheim führte diesen, der schon als Kind Klavierunterricht genoss, zu einer musikalischen Ausbildung bis hin zu Gustav Mahler nach Wien. Auch komponierte er nebenbei, die erste Tondichtung des erst 20-Jährigen wurde 1903 uraufgeführt. Als Dirigent verdiente sich Klaus die ersten Sporen am Prager Deutschen Theater, um dann ab 1918 musikalischer Leiter des Berliner Theaterimperiums Max Reinhardts zu werden und in dieser Zeit auch Musikkritiken zu verfassen.

1931 wird Klaus Pringsheim als Professor für Komposition und Kontrapunktik ans Tokioter Konservatorium verpflichtet, gedachte aber, zwei Jahre später wieder nach Deutschland zurück zu kehren. Doch wurde ihm, wie auch praktisch allen Mitgliedern der Familien Mann und Pringsheim, diese Möglichkeit durch den Machtantritt Hitlers genommen. Somit verlängerte er seinen Tokioter Vertrag bis zu seiner, auf Intervention aus Berlin erfolgten Entlassung 1937. Zwischen 1941 und 1946 leitete er das Kammer-Symphonie-Orchester in Tokio. Er versuchte mit Nachdruck, in die USA zu emigrieren, wo ja inzwischen Thomas und Katia Mann in Kalifornien Fuß gefasst hatten: Thomas als Professor in Princeton und beide in ihrer geräumigen Villa in Pacific Palisades als Refugium der aus Europa geflüchteten geistigen und künstlerischen Elite vor allem Deutschlands, wie das Erika und Klaus Mann, die beiden genialen Kinder des Ehepaars, so plastisch beschrieben haben. Trafen doch hier Heinrich Mann, Bruno Frank, Lion Feuchtwanger, Franz Werfel auf Max Reinhardt, Victor Klemperer, Carl Zuckmeyer und viele andere. Doch Klaus Pringsheim gelang der Sprung über den endlosen Pazifik von Tokio nach Kalifornien nicht, er wurde aber 1951 auf den Professorenposten für Komposition und Ensembleleitung an der Musikakademie Tokio berufen. Als Rentner nahm er dann gern Gastdirigate, vorrangig in seinem oft vermissten Europa an und kam so auch, wie durch ein Wunder, ins abgelegene Ostblockland Rumänien – und sogar in unser kleines, aber gemütliches und damals doch noch deutsch geprägtes Hermannstadt. Rund um unseren großen, ovalen Speisezimmertisch hörten wir ihm atemlos zu und wagten, zwecks besserer Verständlichkeit, nur kurze Zwischenfragen. Naturgemäß kamen wir an dem Abend auch auf Thomas Mann zu sprechen. Von Vater ermuntert gab ich an, dass wir in der Schule als Pflichtlektüre „Mario und der Zauberer“, diese Parabel auf den in den 30-er Jahren aufkommenden Faschismus, vorgenommen haben und dass ich, auf Anraten der Eltern, die grandios konzipierte Geschichte vom Verfall einer angesehenen Lübecker Kaufmannsfamilie auch schon verschlungen hatte. Doch waren mir als 16-Jährigem weder die überragenden späteren Werke „Der Zauberberg“ und „Doktor Faustus“ (bei dem sich Klaus Pringsheim kurz aufhielt), noch die großen Erzählungen „Tonio Kröger“, „Der Tod in Venedig“ u.a. bekannt, sie harrten noch darauf, von mir entdeckt zu werden.

„Gern und dankbar werde ich mich an die schönen, allzu kurzen Tage in Hermannstadt erinnern“ schrieb uns Klaus Pringsheim abschließend ins Gästebuch. Dankenswerterweise brachte er uns für einige kostbare Stunden den Hauch der weiten Welt ins Haus und ließ uns kurzfristig den trüben kommunistischen Alltag vergessen.

Kurt Thomas ZIEGLER

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Geschichte.