Am Anfang war die Welle

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Gespräch mit der gebürtigen Hermannstädter Kunsttherapeutin Barbara Niedermaier

Ausgabe Nr. 2910

Barbara Niedermaier und ihr Ölbild „Buleasee”.     Foto: Beatrice UNGAR

„Das Kunstwerk muss gerade nur das ausdrücken, was die Seele erhebt und edel ergötzt, und nicht mehr. Die Empfindung des Künstlers muss allein darauf gerichtet sein, das Übrige ist falsch.” Diese Aussage von Bettina von Arnim könne sie voll und ganz unterschreiben, sagt die Kunsttherapeutin und Künstlerin Barbara Niedermaier, deren „Seelenlandschaften” getitelte Ausstellung noch bis zum 23. Mai d. J. im Terrassensaal im Teutschhaus in Hermannstadt zu besichtigen ist. Wer gerade in Venedig unterwegs ist, kann zwei Werke von Barbara Niedermaier im Rahmen des „Morphos. Temporary Identities”-Kunstmarktes im Palazzo Albrizzi-Capello betrachten. Inzwischen hat es auch eine Midissage im Besein der Künstlerin gegeben. Lesen Sie im Folgenden das Interview, das Barbara Niedermaier der HZ-Chefredakteurin Beatrice U n g a r gewährt hat.

 

Du hast bei der Vernissage gesagt, das erste Bild das du gemalt hast, war „Die Welle“. Du hast Kunst studiert, hast als Kunsttherapeutin gearbeitet. Hast du während der Zeit nichts gemalt oder hast du dich nur mit angewandter Grafik beschäftigt?

Doch, ich habe angefangen zu malen, aber wenn man berufstätig ist, dann hat man schlicht und einfach nicht die Zeit und die Musse. Also ein Bild zu malen, das ist nichts Mechanisches, da muss man sich ein bisschen hinein versenken und mental hineingehen in das Bild, weil man startet immer von einer Idee, die in meinem Fall oft von außen kommt, aber nach einem ersten Versuch merkt man, das ist kein Abbild. Auch nicht ein Abbild dessen, was man im Kopf hat, sondern ein Bild legt man an und dann geht das seinen ganz eigenen Weg und da muss man erst mal das Bild hinein hören, wo will dieses Bild hin. Und dann erst kann man weiter arbeiten. Ich habe Bilder zu Hause, die sind zwei Jahre gelegen, bevor ich sie wieder herausgeholt habe und manchmal geht’s weiter und manchmal auch nicht. Das sind dann die, die im Keller stehen und von denen ich noch nicht weiß, wie ich sie vernichten kann.

Im Prinzip kann man noch drüber malen.

Ja, im Prinzip schon, aber ich hab das nicht gemacht.

Zurück zum Anfang. Du hast ja schon immer etwas mit Kunst zu tun gehabt. Als Kind in Hermannstadt in der Schule, die Mutter ist ja Künstlerin gewesen, Karin Niedermaier. Es liegt also in der Familie. Der Vater musste auch zeichnen können als Architekt. Haben sie dich unterstützt damals?

Nein, eigentlich nicht, meine Mutter hatte immer gesagt, das sei schwierig. Sie hätte auch gerne sehr viel mehr in Kunst gemacht, aber die Zeiten waren, so wie sie waren und meine Mutter hat gearbeitet volle Norm und ist auf Nahrungssuche ausgezogen vormittags und nachmittags war sie in der Schule und hatte zwei Kinder durchzubringen. Und dann werden alle Träume schon in sehr frühem Stadium gestutzt und das wollte sie eigentlich auch nicht für mich. Das kann ich verstehen, sie hat natürlich recht. Aber das Leben geht halt so wie es geht und ich habe auch angewandte Grafik studiert in Deutschland und nicht freie Kunst. Das Problem stellt sich in Deutschland nämlich ähnlich wie in Rumänien, nur auf einem anderen Level. Ich kenne Künstler, die wirklich immer sehr erfolgreich waren, viel verkauft und gut Geld verdient haben, und dann plötzlich waren sie nicht mehr interessant. Das Glück war einfach weg. Und dann steht man halt da und wenn man keinen Brotberuf erlernt hat und aufs Geldverdienen angewiesen bist, ist das sehr schwierig.

Ja, das stimmt. Und vom Vater her?

Mein Vater hat ein phänomenales räumliches Vorstellungsvermögen. Ich kann mich erinnern, wie ich klein war, da hab ich ihm manchmal zugesehen, wenn er 3-D-Ansichten von Kirchenburgen gezeichnet hat, mit dem Rapidografen mit Tusche. Und das war damals für mich so wie wenn ich heute 3-D-Computeranimation ansehe. Meine Mutter sagte, mein Vater hätte in seiner Jugend auch sehr gut Portraits gezeichnet, aber das hab ich nie gesehen bei ihm.

Es ist schon interessant. Also der Raumblick, der bei einem Architekturstudium nötig ist. Aber das hat dich fasziniert.

Auf jeden Fall, obwohl ich mit Räumlichkeit und Architektur eigentlich wenig am Hut hab, das ist wahrscheinlich auch viel zu verfahren, das muss dann stimmen mit der Perspektive. Da macht man irgendwann ein Fehler und gerade bei Architektur kann man so etwas nicht machen. Bei einem Bild macht das vielleicht einen Unterschied im Gesamteindruck, aber das ist dann in dem Sinn kein Fehler. Wenn du dich aber bei der Architektur vertust, dann nehmen die Leute das vielleicht nicht ganz genau wahr, so nach dem Motto die Fluchtlinie stimmt nicht, aber sie sehen, da stimmt etwas nicht, da muss man aufpassen.

Barbara Niedermaier: Kalligraphie zur Verszeile „Wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis” aus dem Gedicht „Corona” von Paul Celan.

Kannst du vielleicht auch sagen, warum du dich für angewandte Grafik, das ist doch Kunststudium, entschlossen hast? Das war schon in Deutschland?

Ich habe hier in Rumänien Germanistik-Anglistik studiert. In meinem Leben habe ich stets dazu tendiert, manchmal auch sehr risikoreich alles auf eine Karte zu setzen. Als ich nach Deutschland kam, hab ich gesagt, Lehramt will ich nicht und hab ein ganzes Jahr lang mich nur für die Aufnahmeprüfung für ein Grafik-Studium vorbereitet. Ich weiß auch jetzt noch nicht, was passiert wäre, wenn ich nicht angenommen worden wäre, denn das ist ja eine sehr harte Aufnahmeprüfung. Es sind 5 Prozent der Leute genommen worden. Das war ein sehr begehrtes Studium. Aber das ist immer so, wer nichts wagt, gewinnt nicht. Natürlich kann es auch in die Hose gehen, klar.

Du hältst dich immer wieder auch in Rumänien auf, vor allem in Michelsberg. Hat diese neue Beschäftigung oder Wiederbeschäftigung mit der Malerei dabei auch eine Rolle gespielt? Dass du wieder zu den Wurzeln zurückkommst, sozusagen.

Nein, das sind ganz unterschiedliche Entwicklungen.

Du hast also deine siebenbürgischen Wurzeln nicht ganz gekappt.

Ich halte auch im Leben nichts von ganz Kappen. Es gibt keine Schwarz-Weiß-Lösungen. Ich bin schon seit längerem immer wieder und immer öfters nach Hause gekommen und das hat unterschiedliche Gründe. Aber das ist auch so: Wenn man ein bisschen älter wird, dann sucht man seine Wurzeln wieder und dadurch, dass ich hier meine Wurzeln habe und mich hier beheimatet fühle, komme ich wieder und wieder, kann es aber auch nicht leugnen, dass ich meine größte Zeit in Deutschland verbracht habe. Es ist nicht so, dass ich dort nicht zu Hause wäre, meine drei Kinder leben da, ich bin Oma und das ist natürlich ein starker Akzent. Mein Sohn wohnt in Frankfurt am Main, ich in Berlin und da kommt man nach Hermannstadt wahrscheinlich leichter als von Berlin nach Frankfurt. Aber die Beiden leben so in ihrer eigenen Welt und wenn ich hin fahre, da muss ich ins Hotel gehen, weil sie in ihrer Wohnung keinen Platz haben.

Es ist auch gut so, dass sie selbstständig sind. Es passiert hier, dass Eltern im Ausland arbeiten und die Kinder bei der Oma bleiben, das ist dann nichts für die Kinder. Es ist für Kinder am besten, wenn sie bei den Eltern leben. Aber zurück zu der eingangs erwähnten Welle. Kann man so sagen: am Anfang war die Welle und dann hat sie dich irgendwie mitgerissen.

Also mit der Welle hab ich angefangen. Es ist nicht mein erstes Ölbild gewesen, aber es ist mein erstes, bei dem ich gesagt habe, okay, das will ich jetzt wirklich machen. Da habe ich in einer Institution für psychisch Erkrankte gearbeitet und habe mit diesen Menschen Kunsttherapie gemacht und dafür Projekte ausgedacht. Und eines davon war auch malen, was sich sehr gut als Projekt eignet, für alle möglichen Dinge. Und bevor du etwas mit Leuten machst, solltest du dein Metier beherrschen, also hab ich angefangen, Wellen malen zu üben, und so hab ich gemerkt, dass es mir so viel Spaß macht und ich hab gesagt, ich möchte da dranbleiben.

Du bist dran geblieben und da kam noch diese Poesie-Kalligraphie-Geschichte hinzu.

Kalligraphie liegt mir ja grundsätzlich, ich habe sie in meinem Studium gehabt, da hat man viel mit Buchstaben zu tun und mein Vorteil war eben, dass wir, im Gegensatz zu heute, wo alles nur noch am Computer gemacht wird, wirklich noch Buchstaben ausgeschnitten und per Hand gemalt haben. Das ist schön, das hat mir viel Spaß gemacht und so hatte ich diese Technik immer im Hinterkopf. Dann habe ich gesagt, das möchte ich gerne machen, mit Kalligraphie arbeiten, und das hat sich dann einfach so ergeben. Als ich in England gelebt habe, habe ich mir total gerne im Britischen Museum Kalligraphien angesehen. Und bei den indischen und frühpersischen Kalligraphien sind ja sehr schöne Bilder gearbeitet worden, bevor das mit dem Islam verboten wurde. Die hatten hervorragende Illustrationen zu allen möglichen Sachen. Gerade die Perser haben auf gestaltetem Papier auf Hintergründen, die sie auf eine ganz besondere Weise hergestellt haben, ihre Kalligraphie drauf gemalt.

Wann war das in England?

Das war von 1991 bis 1993. Mein erster Mann hatte dort ein Lektorat übernommen. Ich war gerade fertig mit meinem Studium und das war damals zu der Zeit, wo in England Rezession herrschte. Da waren in vielen Straßen die Läden zugenagelt.

Apropos Kalligraphie: Du hast auch selbst geschrieben, es wurde einmal ein Buch von dir im Erasmus-Büchercafé vorgestellt, ein Kinderbuch, „Wolfsberge. Eine Geschichte aus den Karpaten”. Hast du sonst noch etwas geschrieben?

Nein. Ich merke, ich kann das nicht parallel machen. Es waren viele Leute, wie Hermann Hesse oder Günther Grass, die das vereinbart haben, aber ich merke, seit ich viel male, kann ich nicht mehr schreiben und ich kann auch nicht mehr rechnen. Da scheint schon etwas im Hirn sich umzupolen. Mein Mann greift sich immer an den Kopf, wenn er sieht, was für Rechnungen ich inzwischen mache. Mit dem Handy usw.

Rilke, hab ich verstanden, ist dein Ein und Alles. Aber warum Rilke?

Rilke hat ein solches Vermögen, unfassbare Stimmungen in Worte zu kleiden, und so ein bisschen metaphysisch habe ich es immer gerne gehabt. Das eine Bild ist von dem Gedicht, „Venezianischer Morgen“ inspiriert, wo es heißt ein Schimmer von Himmel trifft auf ein Gefühl von Flut. Als ich das gelesen hab, fragte ich mich: Wie bitte schön malt man ein Gefühl von Flut und einen Schimmer von Himmel, das war für mich eine solche Herausforderung, das hat mich so fasziniert. Das lässt mich nicht mehr los. Es ist aber nicht nur Rilke, bei Rilke hat es sich so ergeben, aber ich mag zum Beispiel auch die Gedichte von Brecht, also nicht die politischen, aber seine privaten Gedichte mag ich außerordentlich. Vielleicht weil ich ein bisschen schwermütige Lyrik mag, auch von Paul Celan oder Gottfried Benn. Aber hauptsächlich mag ich schwermütige Gedichte.

Du magst und brauchst wahrscheinlich die Herausforderung…

Es ist schon so: Wenn etwas so formuliert ist, dass es mich nicht loslässt, weil es auf der einen Seite so bildhaft ist und dann etwas eigentlich Unbildhaftes in Worte kleidet, da verweile ich gerne.

Was mir sehr wichtig ist: Meine Herangehensweise unterscheidet sich sehr von der allgemein gängigen Herangehensweise heute, die besagt, dass man irgendwelche kathartischen Erlebnisse haben muss durch Kunst oder so ähnlich. Bei mir schlägt die Kunsttherapeutin durch, wo ich mir immer denke, ich sehe das vom Klienten zentriert, was macht das mit den Leuten. Ich möchte den Leuten gerade in unseren Zeiten, die wir heute erleben, die ja verstörend und beängstigend genug sind, nicht noch etwas zumuten, was sie noch mehr verstört und ängstigt. D. h. ich möchte Wohnzimmerbilder malen, die den Menschen ein gutes Gefühl geben und wo sie nach Hause kommen und wissen, dieses Bild tut mir etwas Gutes und beschädigt mich nicht noch weiter. Ich hab so viele Kunstwerke gesehen, die wirklich verstörend und auch persönlichkeitsschädigend waren. Zum Beispiel habe ich in Venedig im Dogenpalast Gemälde gesehen, die über die ganzen Wände gingen, von irgendeinem dieser angeblich modernen Maler, nur in dunkelgrau, schwarz und bordeauxrot. Das sah so aus wie verkrustetes Blut und Asche. Und das war außerordentlich verstörend und wirklich sehr schlimm. Das wäre in etwa das Gegenstück zu dem, was ich eigentlich machen möchte. Ich möchte etwas Positives bringen.

Danke für das Gespräch.

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kunst, Persönlichkeiten.