Ein Must-See

Teile diesen Artikel

Premiere mit Eugene O’Neill-Stück am TNRS

Ausgabe Nr. 2907

Szenenfoto mit Marius Turdeanu, Raluca Iani und Horia Fedorca (v. l. n. r.).

„Wie, 20 Jahre alt?“ fragte eine Dame ihren Mann bei der Premiere des Theaterstücks „Lungul drum al zilei către noapte“ (Eines langen Tages Reise in die Nacht) am Sonntagabend im Radu Stanca-Nationaltheater. Der Schauspieler, der die Hauptrolle des 20-Jährigen Edmund Tyrone übernahm, war nämlich der 59-Jährige Nicu Mihoc. Was die Dame nicht wusste, war, dass Nicu Mihoc doppelt besetzt war, einen jungen und einen alten Mann spielend. Regie führte einer der prominentesten jungen russischen Theaterregisseure, Timofey Kuljabin, Dramaturg des Stückes war der russische Theaterkritiker und Journalist Roman Dolzhanskiy.

Für das Stück wurde der amerikanische Dramatiker Eugene O’Neill 1957 mit dem Pulitzer-Preis für Theater sowie dem Tony Award ausgezeichnet. Das Stück beschreibt die Zeit zwischen Morgen und Mitternacht eines Tages im Jahre 1912 und zeigt das Leben und das Leid der amerikanischen Familie Tyrone, die an selbstauferlegten Zwängen und unerfüllten und verdrängten Träumen zerbricht. Der geizige Vater James Tyrone, seine morphiumsüchtige Frau Mary, der trinkende Sohn Jamie und der kranke Sohn Edmund sind einander in Hassliebe verbunden.

In der Inszenierung an der rumänischen Abteilung des Radu Stanca-Theaters spielt das Geschehen heutzutage. Der autobiografische Charakter des Werks von O’Neill ist jedoch vollständig erhalten geblieben. Wir sehen das Alter Ego des Autors, den Schriftsteller Edmund Tyrone, ganz am Ende seines Lebens. Wie der Dramatiker wurde auch er zu einer Berühmtheit, die mit dem Nobel- und dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Als Dramatiker kann er sich nicht von den schmerzhaften und zwanghaften Erinnerungen an seine Eltern und seinen älteren Bruder befreien. Wir sehen Edmund Tyrone am letzten Abend seines Lebens, als sein eigener „langer Tag zur Reise in die Nacht“ wird. Er ist nicht gewillt, körperliches Leid zu ertragen, da die moderne Zivilisation in Fragen von Leben und Tod immer unabhängiger wird, aber er hat keine Angst vor emotionalem Schmerz und sehnt sich in seinen letzten Stunden danach, noch einmal mit seinen lange verlorenen Liebsten zusammen zu sein, nicht nur, um sich an sie zu erinnern, sondern um zu versuchen, sie zu verstehen, ihnen zu vergeben und um Vergebung zu bitten.

Horia Fedorca (links) und Nicu Mihoc im brüderlichen Kampf um die Whiskeyflasche.                                                                       Fotos: Vlad DUMITRU

Auf der Bühne sind oft alle Personen auf einmal zu sehen. Es wird auf zwei Ebenen gespielt und am Anfang ist es so, als wäre der Hauptdarsteller ein Beobachter seiner eigenen Vergangenheit und alle Gestalten, die Eltern und der Bruder erscheinen wie Geister, die im Hintergrund agieren. Oft überschneiden sich die Zeitpläne, Edmund Tyrone ist mal der kranke junge Bruder, mal der alte Schriftsteller, der zum Sterben in einer privaten Klinik in der Schweiz auf seine Todesspritze wartet. Für einige Zuschauer war dieses kleine Chaos verwirrend. Nichtsdestotrotz war das schiere Schauspieltalent auf der Bühne so intensiv, so hervorragend, dass man nicht anders konnte, als mit den Schauspielern zu empfinden. Vor allem Marius Turdeanu war in der Rolle des Vaters James Tyrone absolut brillant. Raluca Iani spielte die morphiumsüchtige, depressive, stets unglückliche Mutter Mary. Der junge, frisch am Hermannstädter Theater angestellte Horia Fedorca faszinierte mit seinem schauspielerischen Können in der Rolle des älteren Bruders Jamie. Last but not least ist Nicu Mihoc in der Doppelrolle des jungen und alten Edmund und manchmal als Eugene O’Neill selber zu sehen, eine Performance, die ins Staunen versetzt.

Drei Mal Standing Ovations gab es am Ende der Aufführung, und man kann ehrlich sagen, diesmal waren die Ovationen verdient. Diese Inszenierung ist ein Must-See für alle Theaterliebhaber. Das Stück wird heute, Freitag, den 4. April, um 19 Uhr und während des Theaterfestivals erneut aufgeführt.

Cynthia PINTER

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Theater.