Gespräch mit Dr. Gudrun-Liane Ittu zu ihrem 70. Geburtstag
Ausgabe Nr. 2907

Dr. Gudrun-Liane Ittu. Foto: Cynthia PINTER
Dr. Gudrun-Liane Ittu geb. Reckl ist vielen Hermannstädtern als Kunsthistorikerin und Buchautorin bekannt und sie ist bei den meisten Vernissagen der Stadt in Begleitung ihres Ehemannes Constantin Ittu anzutreffen. Am 20. März d. J. feierte sie ihren 70. Geburtstag. Bei dieser Gelegenheit führte HZ-Redakteurin Cynthia P i n t e r folgendes Gespräch mit ihr:
Sie sind 1955 in Hermannstadt geboren. Wie empfanden Sie die Stadt Ihrer Kindheit? In welchem Viertel sind Sie aufgewachsen?
Ich bin in Hermannstadt geboren und im Lazarett-Viertel im Haus meiner Großmutter aufgewachsen. Sie hatte einen großen wunderschönen Garten, was auch zu meiner Liebe zur Natur beigetragen hat. Damals lebten mehr Sachsen als Rumänen in der Gegend, was sich nach der Wende ganz verändert hat, meine Eltern waren fast die letzten, die das Boot 1993 verlassen haben. Zur Schule ging ich zuerst in die Wolfsgasse, in die 8-er Schule, dann ins Brukenthallyzeum. Und weil die Philosophielehrerin meine Lieblingslehrerin war, hat mich das überzeugt, Soziologie zu studieren.
Wie war der Übergang von der Kleinstadt in die Hauptstadt 1974, als Sie zum Studium der Soziologie nach Bukarest zogen?
Ich hatte mir so sehr gewünscht, nach Bukarest zu gehen. Meine Eltern hätten Klausenburg als Studienort vorgezogen, aber dort gab es das Fach Soziologie nicht. Es gab nur noch in Jassy eine Psychosoziologie-Abteilung, ich habe dann aber Bukarest gewählt. Der Unterschied zwischen Bukarest und Hermannstadt war damals noch immens. Zum Beispiel gab es damals in der Nähe der Uni einen Laden, der hieß „Comerțul Exterior“ (Außenhandel), wo man u. a. französische Waren kaufen konnte. Ich besuchte Ausstellungen und die Oper. Das waren Mitte der 1970-er die besten Jahre, ich habe drei Jahre lang im Studentenwohnheim gewohnt, es gab noch gutes Essen in der Kantine. Ich kann sagen, wir sind richtig verwöhnt worden. Wir bekamen während der Prüfungssession sogar Orangen und Schokolade, aber im letzten Jahr ist alles über den Haufen geworfen worden. Ich wäre aber gerne in Bukarest geblieben, leider kam die Katastrophe 1977.
Haben Sie das große Erdbeben in Bukarest erlebt?
Ja, das habe ich sehr intensiv erlebt. Erschreckend war, dass während des Erdbebens auch das Licht ausgegangen war. Es war gegen neun Uhr am Abend. Wir waren sechs oder sieben Mädchen im Zimmer und lasen gerade Gedichte – wir hielten uns nämlich für große Poetinnen. Mit einem Mal war das Licht weg, man musste sich gegenseitig festhalten, um nicht umzukippen. Ich erinnere mich an diese schrecklichen, krächzenden Laute, aber – o sancta simplicitas – wir haben keinen Moment geglaubt, dass uns etwas passieren kann.
Sie haben dann nach dem Abschluss als Soziologin bei der „Întreprinderea Mecanica” Mârşa gearbeitet?
Nein, zuerst kamen die Zuteilungen nach dem Abschluss. Meine Zuteilung war Șomartin/Martinsberg, ein Dorf der Gemeinde Bruiu/Braller. Es gab damals noch Plätze in Slobozia oder Fieni, hin hätte ich aus Bukarest pendeln müssen. Aber meine Eltern waren dagegen und wollten mich hier, in ihrer Nähe haben. Der einzige Posten im Kreis Hermannstadt war in Martinsberg. Damals war die rumänische Zentrumsschule in Braller und die deutsche Schule in Martinsberg. Ich hab mich also in Martinsberg als Lehrerin angestellt, hab Geschichte, Geografie, Französisch und Verfassung unterrichtet. Wir waren nur eine Handvoll Lehrkräfte. Das war eine schwere Zeit für mich, ich war sehr frustriert, es hat mir gar nicht gefallen. Mein einziger Gedanke war, von dort wegzukommen. Ich hatte meine Abschlussarbeit über Jugenddelinquenz geschrieben und dabei den Ersten Sekretär des Kreisparteikomitees Hermannstadt, Vasile Bărbuleț kennengelernt, durch meine Arbeit mit der Staatsanwaltschaft. Er hat mir dann zu einer Arbeitsstelle in Mârşa verholfen. Das Maschinenbauwerk dort war damals das Vorzeigewek des Kreises Hermannstadt.
Was hat man in Mârşa gebaut und was waren Ihre Aufgaben?
Man hat dort militärische Maschinen gebaut, von kleinen Panzern bis zu großen Lastern, 120 Tonnen Laster, die auf den immensen Baustellen des Landes arbeiten sollten. Die Belegschaft war sehr groß, über 10.000 Angestellte, es war das am besten organisierte Werk, mit eigener Busflotte. Morgens und mittags sind aus allen Vierteln Hermannstadts Busse nach Mârşa gefahren. Es war ein leichtes Pendeln für mich, das ich dann 10 Jahre lang durchgezogen hab. In dieser Zeit habe ich meinen Mann, Constantin Ittu kennengelernt und wir haben 1984 geheiratet.
Ich war in Mârşa für die Arbeitsbedingungen und deren Verbesserungen zuständig. Hier war ich bis 1989 tätig und nachher noch zwei Jahre in der Independența Fabrik in Hermannstadt.
1991 sind Sie dann im Brukenthalmuseum angestellt worden.
Ja, zuerst an der museumspädagogischen Abteilung, die ich mit vier anderen Kollegen aufbauen sollte. Ich bin damals in Berlin im Urlaub gewesen und habe mich im Schloss Sanssouci umgesehen, von wo ich mit 10 kg Literatur zurückkehrte. Aber kaum hatte die Abteilung zu funktionierten begonnen, wurde sie wieder aufgelöst und ich wurde 1992 zur Gemäldegalerie zugeteilt. Da musste ich sehr viel Dokumentation machen, über die Gemälde, über die Maler, die Ausstellungen und Archivarbeit auch.
1994 hatte ich ein Stipendium für ein Masterstudium an der Central European University in Prag, wo ich sehr viel gelernt habe, was mir bei meiner Masterarbeit zum Thema „Der Avantgardekünstler Hans Mattis-Teusch” geholfen hat.
All Ihre Bücher und Artikel sind während Ihrer Zeit am Hermannstädter Forschungsinstitut für Geisteswissenschaften nach 1999 erschienen. Welches Buch hat die größte Herausforderung dargestellt?
Das erste, also jenes über Hans Mattis-Teutsch, das 2001 erschienen ist. Daran habe ich sehr lange gearbeitet, dazu zähle ich die Zeit in Prag, aber auch das Stipendium „Research Support Scheme“, das mich auf den Spuren von Mattis-Teutsch in Deutschland in allen Ortschaften, wo er zugegen war, recherchieren ließ.
Auch die „Geschichte des Brukenthalmuseums“ (2003) hat mir sehr viel Freude bereitet. Da habe ich autodidaktisch die alten Schriften entziffern gelernt. Ich hatte aber eine begrenzte Anzahl von Seiten, sonst hätte ich es gerne als Doktorarbeit in Erwägung gezogen. Mein Doktorvater Prof. Dr. Paul Niedermaier hatte mich geleitet, über das kulturelle Leben der deutschen Minderheit zwischen 1944-1989 zu schreiben.
War Kunst immer wichtig in Ihrem Leben? Wann entstand der erste Kontakt zur Kunst?
Schon sehr früh ist die Liebe zur Kunst entstanden. Mein erster Besuch im Museum war vielleicht mit 5 Jahren. Für die Hermannstädter Sachsen war das Brukenthalmuseum sehr wichtig, es galt als „unser Museum“. Meine Mutter ist dort, im zweiten Hof des Museums, in die Mädchenschule gegangen. Mit ihr bin ich dann öfter im Museum gewesen. Aber auch während der Schulzeit führte uns unser Geschichtelehrer Dieter Nowak durch die Stadt und ins Museum. Ich hatte auch die Künstler Kurtfritz Handel und Sieglinde Bottesch als Kunsterzieher im Gymnasium.
Wer ist Ihr Lieblingskünstler?
Hans Mattis-Teutsch ist mein Lieblingskünstler und die Avantgarde als Strömung.
Was macht Ihrer Ansicht nach ein Kunstwerk zeitlos?
Wenn es sich bewährt. Es gibt kein Rezept. Man kann nicht heute über ein Kunstwerk sagen, dass es in hundert Jahren noch großartig sein wird. Die kanonische Kunst von der Antike bis zur Avantgarde wird zeitlos sein.
Wie sehen Sie Kunst in der Zukunft? Was wird sich verändern?
Ich glaube, es wird ein Zurück zu den Basics geben. So wie auch die Avantgarde an ihre Grenzen gestoßen ist, mit dem schwarzen Kubus auf weißem Hintergrund und dem weißen Kubus auf weißem Hintergrund. Weiter konnte man nicht.
Sie sind Rentnerin. Womit beschäftigen Sie sich zur Zeit? Neue Hobbies?
2015 sind sowohl ich, als auch mein Mann in Rente gegangen und wir haben uns einen Posten an der Universitätsbibliothek geteilt, wo wir Forschung betrieben haben bis zur Pandemie 2020. Wir haben jedes Jahr noch ein Projekt gehabt, das zu weiteren Veröffentlichungen führte, z. B. zwei Bücher über die Kulinarik: „Vom Markt zum Gasthaus. Hermannstadt in Ansichten“ (2019) und „Aus der Geschichte der gehobenen Küche von der Renaissance bis zur Gegenwart mit Bezug auf Hermannstadt“.
Zurzeit beschäftige ich mich sehr viel mit Botanik. Ich wollte eigentlich Biologie studieren und hab mich als Kind in einem Botanischen Garten arbeiten sehen. Der Besuch im Klausenburger Botanischen Garten hat mich als Kind so sehr beeindruckt und außerdem hab ich meine Sommer im Banat in Steierdorf bei meiner Reckl-Oma verbracht, die eine große Naturliebhaberin war. Nun gehen mein Mann und ich täglich am Zibinsufer spazieren und bewundern die schöne Natur.
Vielen Dank für das Gespräch und herzlichen Glückwunsch zum 70.!