,,Ideale, die dem Leben Wert verleihen“

Teile diesen Artikel

Synergieeffekte: Die Malerin Dora Hitz und die Schriftstellerin Carmen Sylva

Ausgabe Nr. 2905

Natalie Gutgesell/Shona Kallestrup (Hg.): Dora Hitz. Aus Franken nach Rumänien in die Welt. Ausstellungskatalog, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2024, 432 S., 50 Euro, ISBN 978-3-96311-987-3

Anlässlich des 100. Todestages der Malerin Dora Hitz präsentierte das Nationalmuseum Schloss Peleș vom 3. September 2024 bis 15. Februar 2025 die Sonderausstellung „Carmen Sylva – Dora Hitz, cuvânt și imagine” (Carmen Sylva – Dora Hitz. Wort und Bild). Vom 25. Januar bis 11. Mai 2025 wird in Coburg mit der Ausstellung „Dora Hitz. Aus Franken nach Rumänien in die Welt” der Ausnahmekünstlerin gedacht. Mit dieser beeindruckenden Dora-Hitz-Retrospektive, die Werke der Künstlerin aus Privatsammlungen weltweit (Deutschland, Rumänien, England, Monaco, USA, Niederlande) zeigt, feiert der Kunstverein Coburg zudem sein 200. Gründungsjubiläum. In einem Begleitkatalog informieren die beiden Kuratorinnen, Dr. Natalie Gutgesell, Kunsthistorikerin und Privatdozentin für Neuere und Neueste Kunstgeschichte an der Universität Passau, sowie Dr. Shona Kallestrup, Kunsthistorikerin und Dozentin an der School of Art History der Universität St. Andrews, zusammen mit einer Reihe von weiteren Experten über historische Rahmenbedingungen sowie über Daten, Fakten, Bilder, Texte zu Dora Hitz. Dr. Ingeborg Szöllösi hat sich den umfangreichen Kunstband genauer angeschaut und stellt die vielseitige Künstlerin aus Franken im Folgenden kurz vor:

 

1913 wird Dora Hitz anlässlich der Dresdner Ausstellung mit dem Titel Frauenkunst von der Presse unisono gelobt. Auch die Fränkische Landeszeitung aus Ansbach würdigt die Künstlerin und betont, sie lebe „in geachteter Stellung“ und stehe „an der Spitze der Künstlerinnen“ ihrer Zeit. Im selben Jahr blickt die renommierte Malerin aus Franken, die mit ihrer Kunst im In- und Ausland Erfolge feiert, auf ihre Jahre in Rumänien zurück und resümiert: „Ich betrachte es als ‚das Glück‘ meines Lebens, daß es mir vergönnt war, in jungen Jahren eine Zeitlang in Carmen Sylvas Königreich unter Carmen Sylvas besonderen Schutz zu leben.“

Die 1853 in Altdorf geborene Dora wächst in der Stadt Ansbach in Franken auf und besucht ab ihrem 16. Lebensjahr die Münchner Kunstschule für Mädchen. Doras Eltern unterstützen die künstlerische Laufbahn, die ihr zweitgeborenes Kind eifrig verfolgt, zumal schon ihr Vater, Johannes Hitz, Zeichenlehrer an der königlichen Landwirtschafts- und Gewerbeschule Ansbach, als „feinsinnig und künstlerisch sehr begabt“ gilt. Die Münchner Kunstschule, deren Ziel es ist, die Ausbildung, Selbstständigkeit sowie Erwerbstätigkeit von Mädchen und jungen Frauen zu fördern, damit sie später als Künstlerinnen, Zeichenlehrerinnen, Musterzeichnerinnen in der Industrie sowie Angestellte in fotografischen Werkstätten reüssieren, ist für Dora „die Basis ihrer internationalen Karriere“. Das Mädchen aus Franken ist eine Musterschülerin und schafft es, zur selbstständigen Künstlerin heranzureifen. Sie wird sich später mühelos in bedeutenden avantgardistischen Kreisen in Paris, Dresden und Berlin bewegen, sich als Malerin mit einer vielfältigen Bildsprache einen Namen machen, sich intensiv mit den Strömungen ihrer Zeit (Impressionismus, Symbolismus, Expressionismus, Jugendstil) auseinandersetzen, sich an Ausstellungen weltweit (in Deutschland, Italien, Frankreich, Rumänien, in dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten) beteiligen. Bedeutende Kunsthändler wie Paul Cassirer und Fritz Gurlitt sowie europäische Kunstzeitschriften werden sich für ihr Werk interessieren. Jedoch schafft es Dora Hitz, auch als Person öffentlich wirksam zu sein, indem sie die Botschaft ihrer Münchner Kunstschule weiterträgt: Ein Leben lang wird sie zur Unterstützerin von nach Unabhängigkeit dürstenden Frauen und setzt sich – wie ihre Schule – „zum Wohle der Künstlerinnenbildung“ ein. An der Seite ihrer Freundin Käthe Kollwitz und vieler anderer Künstlerinnen ist sie 1906 Gründungsmitglied der Verbindung Bildender Künstlerinnen Berlin-München. Diese Gruppe talentierter Frauen organisiert 1907 eine Ausstellung, deren Anliegen Dora Hitz auf den Punkt bringt: „Wenn wir Frauen hier in gemeinsamer Gruppe unsere Werke dem Publikum vorstellen, so geschieht es in dem Wunsch, daß dieselben Zeugnis geben sollen von ehrlicher Arbeit und dem ernsten Ringen im Kampf um Ideale, die dem Leben Wert verleihen.“ Diesem Ringen verdankt sich auch schon ihre Berliner Damenmalschule: Als Dora Hitz 1893 von Paris nach Berlin zieht, gründet sie noch im selben Jahr in ihrem Berliner Atelier am Lützowplatz 12 eine Malschule für Frauen. Was ihr in München zuteilwurde, wird sie bis zu ihrem Tod 1924 an viele junge Frauen weitergeben.

Am Anfang ihres künstlerischen Werdegangs steht eine schicksalhafte Begegnung: 1876 trifft Dora Hitz auf der „Allgemeinen Kunst- und Kunstindustrie-Ausstellung“ im Glaspalast München auf eine Dichterin und Schriftstellerin, die dort ihren Auftritt als Fürstin hat: Elisabeth Pauline Ottilie Luise zu Wied, bekannt unter ihrem Pseudonym Carmen Sylva, das sich vermutlich einem ihrer frühen Gedichte verdankt: „Carmen das Lied und Sylva der Wald. /Von selbst gesungen das Waldlied erschallt.“

Ihrem Ehemann, Prinz Karl Eitel Friedrich von Hohenzollern-Sigmaringen, der als Karl I. ab 1881 König von Rumänien wird, folgt Elisabeth 1869 nach Rumänien und wird dort als „dichtende Königin“ berühmt. – Fasziniert von der Kunst der fränkischen Künstlerin, erwirbt Elisabeth anlässlich der Münchner Ausstellung ein Gemälde und lädt Dora Hitz an den königlichen Hof von Rumänien ein. Die junge Künstlerin muss nicht lang überlegen, denn in dem Angebot der Fürstin, Hofmalerin zu werden, wittert sie sofort ihre Chance und sagt zu. Die zehn Jahre ältere, schriftstellerisch ambitionierte Elisabeth erkennt – ohne Vorbehalte oder Vorurteile – das Talent einer jungen Malerin und setzt alles daran, es zu unterstützen. Dora Hitz macht sich 1878 auf den Weg nach Bukarest. Eine inspirierende Zusammenarbeit zwischen Carmen Sylva und Doris Hitz nimmt ihren Anfang – und selbst nach Doras Umzug 1882 nach Paris, wo sie sich als Künstlerin weiterbilden wird, bricht der Kontakt zwischen den beiden Frauen zeitlebens nicht ab. 1986 bis 1987 besucht Dora Hitz sogar ein weiteres Mal Rumänien.

Für das im Bau befindliche Schloss Peleș in der Nähe des Karpatenortes Sinaia entwirft Dora Hitz – inspiriert durch Carmen Sylvas Werk – eine Reihe von 13 Gemälden, die zum Teil bis heute den Musiksaal zieren bzw. den Eingang zum Speisesaal der königlichen Sommerresidenz flankieren. Die Gemälde liefert sie nach und nach aus Paris – in ihnen spiegelt sich „Hitz’s increasing confindence“ (Hitz‘ wachsendes Selbstvertrauen) in ihre Kunstfertigkeit, doch zeigen die Gemälde auch „Sylva’s emergence as an author“ (Sylvas Auftreten als Autorin), wie Kunsthistorikerin Shona Kallestrup in ihrem in Englisch verfassten Essay anmerkt. Carmen Sylvas Anfang der 1880er Jahre verfasste Werke stehen Pate für die Gemälde der Malerin. Aus „Leidens Erdengang“ beispielsweise entnimmt Dora Hitz Figuren wie das „Sonnenkind“, das „Märchen“, das „Leiden“, den „Frieden“. Sylvas lyrische Personifikationen werden durch Hitz visualisiert. Gedanken nehmen Gestalt an. Auch Sylvas Gedichte „Die Hexe“ und „Sappho“ setzt die Malerin in Bilder um: Die weibliche Stärke ist nicht nur ein flüchtiger poetischer Gedanke, sondern erfährt in der Kunst ihre Konkretisierung und wird zum Handlungsmotiv. Nicht nur ihr künstlerisches Schaffen verbindet die beiden Frauen, auch in ihrem sozialen Engagement sind Elisabeth und Dora ein ideales Team: Erstere fördert das Bukarester Waisenhaus „Elena Doamna“ und Letztere ist in den Jahren, in denen sie in Rumänien weilt, am selbigen als Kunstlehrerin tätig. Synergien zu nutzen, war schon immer Sache der Frauen. Um selber künstlerisch voranzukommen sowie Talente anderer zu entdecken und zu unterstützen, tun Dichterin und Malerin alles.

Der im Dezember 2024 erschienene Band über die vielseitige Künstlerin aus Franken ist sowohl für Kunstinteressierte als auch für Literaten und Historiker eine Fundgrube. Nebst den zahlreichen Abbildungen und qualitativ hochwertigen Reproduktionen finden sich elf deutsch- und fünf englischsprachige Beiträge mit vielen historischen wie biographischen Details, die Dora Hitz in ihrer Zeit verorten und ihren gesellschaftlichen wie künstlerischen Hintergrund ausleuchten.

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kunst.