Begegnung von Poesie und Fotografie

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Texte von Matthias Buth und Aufnahmen von Wolf Birke in Berlin erschienen

Ausgabe Nr. 2903

Matthias Buth und Wolf Birke: im augenblick, PalmArtPress, Berlin 2025, 160 Seiten, ISBN 978-3-96258-200-5, 35,00 Euro.

Im Berliner Verlag PalmArtPress ist soeben ein Text- und Bildband erschienen, der poetische Miniaturen (Gedichte und Prosa) von Matthias Buth und Schwarzweißfotografien von Wolf Birke unter dem Titel „im augenblick“ vereinigt. Das gemeinsame Buch des Dichters und des Fotografen wird am 9. Mai dieses Jahres in der Historischen Stadthalle Wuppertal öffentlich vorgestellt werden, und zwar im festlichen Rahmen des 25-jährigen Jubiläums der Vermögensverwaltungsgesellschaft MPF AG (Michael Pintarelli Finanzdienstleistungen AG), bei dem auch Altbundespräsident Joachim Gauck zugegen sein wird.

In persönlicher Hinsicht kann man den gemeinsamen Text- und Bildband als Dokument einer Freundschaft verstehen, die den 1951 geborenen Matthias Buth und den im selben Jahre zur Welt gekommenen Wolf Birke bereits seit ihrer gemeinsamen Schulzeit in Wuppertal miteinander verbindet. Der Dichter und Essayist, Jurist und Ministerialrat Matthias Buth, der als Beamter im Bundesministerium des Innern sowie im Bundeskanzleramt immer wieder dienstlich nach Rumänien gereist ist und vor fünf Jahren auch von Staatspräsident Klaus Johannis den Orden „Für Verdienst“ im Range eines Kommandeurs verliehen bekam, hat zu diesem Buch „im augenblick“ insgesamt 76 poetische Texte (Lyrik und Prosa) aus insgesamt acht Gedicht- und Rhapsodiebänden beigesteuert, die einen Schaffenszeitraum von vier Jahrzehnten (1984 bis 2024) umspannen.

Der Wuppertaler Fotograf Wolf Birke, der seit 1976 beruflich selbstständig ist und 1992 als einer der ersten professionellen Fotografen den Einstieg in die digitale Fotografie wagte, hat diesen 76 poetischen Texten ebenso viele wunderbare Schwarzweißfotografien beigesellt, die man im Sinne des Sonetts „Correspondances“ aus Baudelaires „Les Fleurs du Mal“ als bildhafte Übereinstimmungen deuten könnte. Das daraus erwachsende und darin sich zeigende Schöne erscheint somit auch hier als „Gegenstand der Erfahrung im Stande des Ähnlichseins“, wie dies Walter Benjamin in seinem Aufsatz „Über einige Motive bei Baudelaire“ in Worte gefasst hat.

In künstlerischer Hinsicht vereinigen sich in diesem gemeinsamen Text- und Bildband verschiedene Gattungen der Kunst: Literatur und Fotografie, Sprache und Bild, Wort und Gestalt. Beide Künste nähern sich dem Phänomen des Augenblicks auf je verschiedene Weisen, wie dies bereits Gotthold Ephraim Lessing in seiner Schrift „Laokoon“ (1766) gezeigt hat. Während der Dichter in keiner Weise genötigt ist, sein poetisches „Gemälde in einen einzigen Augenblick zu konzentrieren“, muss die bildende Kunst „nur einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen“, und zwar den „prägnantesten“, in dem das durch die Poesie nacheinander in der Zeit Dargestellte augenblicklich nebeneinander im Raume erfahrbar wird. So konvergieren letztlich beide Künste, die der Literatur wie der Fotografie, im Augenblick.

Nicht von ungefähr steht der Augenblick programmatisch im Titel des gemeinsamen Buches von Matthias Buth und Wolf Birke. Er ist nicht nur künstlerisches Prinzip, ästhetischer Inhalt und zentrales Motiv des Bandes, sondern wird bereits in dessen Motto, dem Epigramm „Betrachtung der Zeit“ von Andreas Gryphius, gedanklich entfaltet: „Der Augenblick ist mein, und nehm ich den in acht, / So ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.“ (S. 1) Der Augenblick kann dabei einerseits als flüchtig und ephemer, kurzlebig und vergänglich erlebt werden, andererseits aber auch als günstige Gelegenheit, als rechter Zeitpunkt, als emphatischer Moment, ja als „epiphany“, wie ihn der junge James Joyce genannt hat. Außerdem kann der Augenblick auch als Augen-Blick in Erscheinung treten, wie etwa in Goethes Gedicht „Wink“ aus seinem „West-östlichen Divan“.

Das poetisch-bildhafte Gemeinschaftsprodukt zweier Wuppertaler muss geradezu mit dem Wahrzeichen der Großstadt an der Wupper, der Schwebebahn, seinen Anfang nehmen, und so findet sich denn gleich zu Beginn auf S. 6 die Fotografie der ruhenden Eisenarchitektur mit der in den Lüften dahin schießenden Bahn, welche Else Lasker-Schüler 1910 als „stahlharten Drachen“ imaginierte und welcher Joachim Ringelnatz 1932 sein humoristisches Gedicht „Wupper-Wippchen“ widmete. Neben dem Foto findet sich dann Matthias Buths „rhapsodie 335“, die dem Streckenverlauf der Schwebebahn von Vohwinkel über Sonnborn bis zur Station Zoo/Stadion folgt und diese darüber hinaus zum dichterischen Vorbild nimmt: „So aber hängt sie weiter an der Stadt, schreibt / Gedichte und fürchtet sich vor der nächsten / Kurve, Feuer speiend nimmt sie Schwung.“ (S. 7)

Dasselbe Anordnungsprinzip – auf der linken Buchseite das Foto, auf der rechten der poetische Text – wird im gesamten Buch durchgängig durchgehalten, sodass man Bild und Wort immer auf einen Augen-Blick simultan erfassen und aufnehmen kann. Jedes Umblättern beschert einen neuen Augenblick des Kunstgenusses, jede neue Doppelseite weiteres Ergötzen. So freut man sich etwa an der Fotografie des schneebedeckten Teehauses im Potsdamer Schlosspark Sanssouci auf S. 12, und daneben auf S. 13 spricht das „winterstück“ von einem „Teehaus im Park“, das „einen Fluchtpunkt / im Niemandsland Schnee“ sucht. Tulpen in einer Vase (S. 16f.) werden fotografisch und poetisch verewigt, Schaukeln auf einem Jahrmarkt (S. 18f.), eine ruhende Katze (S. 22f.), ein Fahrradfahrer (S. 24f.), im Winde sich wiegende Gräser (S. 26f. und S. 32f.) und zahlreiche andere Motive aus Natur und Kultur werden in diesem Buch bildlich wie sprachlich festgehalten.

Das Eginald Schlattner gewidmete Gedicht „gemeinde“ (S. 35) feiert die Kirche und den „letzten Pfarrer von Rothberg“, wie sich Schlattner in seinem Roman „Drachenköpfe“ selbst nennt, das links daneben abgebildete Kirchenfoto korrespondiert mit der Atmosphäre des poetischen Textes, wenn es auch streng genommen nicht den tatsächlichen Innenraum der Kirche von Rothberg wiedergibt. Das Gedicht „nicht gestorben“ (S. 47) setzt der deutschen Sintiza, Auschwitz-Überlebenden und Autorin Philomena Franz (1922-2022) ein poetisches Denkmal, das durch das Porträtfoto der auch im hohen Alter sich für Versöhnung und interkulturelles Miteinander einsetzenden Zeitzeugin noch bereichert wird. Die „rhapsodie 86“ (S. 61), welche vom Recht auf Heimat bzw. vom Recht auf die Heimat handelt, ruft Vitrinen aus Heimatmuseen in Erinnerung, in denen „die Haus- und Wohnungsschlüssel der aufgegebenen Heimaten“ hängen, während das korrespondierende fotografische Stillleben mehrere Transportbehälter wie Rucksack oder Koffer zeigt, neben denen ein verwaister Schlüsselbund liegt. Die „rhapsodie 274“ (S. 77) lautet folgendermaßen: „Wolken sind lautlose Vaterländer für Vertriebene, / für Flüchtlinge und auch für Dich am Ufer des Sees, / dort sie sich verdoppeln und einander sehnsüchtig zusehen, / wie sie gehen und vergehen.“ Und die diesem Text attachierte Fotografie zeigt Wolken über einem See, deren natürlicher Erscheinung mittels poetischer Sprache historische und politische Bedeutung zugewachsen ist.

Auf jeder neuen Doppelseite dieses Text- und Bildbandes kann man neue Entdeckungen machen und sich zu neuen Gedanken inspirieren lassen. Immer wieder erlebt man einen poetisch-bildhaften Augenblick, immer wieder wird man von einem Augenblick getroffen, so besonders von jenem Augen-Blick Alexei Nawalnys auf dem fotografischen Schnappschuss eines Bildes aus einer Fernsehsendung (S. 82). Das daneben abgedruckte Gedicht „in russland“ lautet: „In Russland stehen die Angeklagten / lächelnd in den Glaskästen der Gerichte, / als wären sie verstrahlt und hoch ansteckend. / Sind sie auch, denn nur in dieser Glaszelle / können sie frei sprechen, sich freisprechen, / ihr letztes Wort: manchmal sind es Gedichte, / gefährlicher als Tschernobyl.“ (S. 83)

Markus FISCHER

Veröffentlicht in Literatur, Aktuelle Ausgabe.