Streiflichter von dem 18. Urzellauf in Agnetheln
Ausgabe Nr. 2899

Unter den Nachwuchsurzeln befanden sich auch viele Mädchen.
Auf dem Platz vor dem Bürgermeisteramt in Agnetheln ertönte deutsche Musik und die Menschen auf den Straßen schauten neugierig in die Richtung, woher der Lärm kam und ständig lauter wurde. Finstere zottelige Gestalten, mit furchterregenden Fratzen kamen die Straße herunter, indem sie mit Peitschenknall und Kuhglockengeläute den Winter und die bösen Geister vertrieben. Am letzten Sonntag im Januar war es in Agnetheln auch in diesem Jahr wieder soweit: es war wieder einmal Urzeltag. Es gab dieses Mal insgesamt 320 Paradeteilnehmer, davon 304 Urzeln.
Die schreckerregenden Fratzen müssten eigentlich einen Schreck einjagen, wer sie aber oft genug erlebt hat, wird sich eher freuen, wenn einem die Quetsche mit den Krapfen entgegengehalten wird und er zugreifen kann.
Beim Halt der Parade vor dem Bürgermeisteramt begrüßte Radu Curcean, der Vorsitzende des Vereins „Breasla Lolelor”, die Anwesenden und bat um einen Gedenkmoment in Erinnerung an den verstorbenen Gabi Soare, der stets als Bär an der Parade teilnahm. „Die Traditionen sind unser Schatz, die von Generation zu Gerneration weitergegeben werden. Sie verleihen uns nicht nur ein Zugehörigkeitsgefühl, sondern auch eine Bindung zur Geschichte und zu den Werten unserer Vorfahren, unabhängig von der Nationalität”, sagte Curcean. Er ging u. a. darauf ein, dass man die kulturelle Vielfalt fördern wolle, mit anderen Vereinen zusammenarbeiten möchte, um die Plurikulturalität in den Vordergrund zu bringen, die Agnetheln definiert und gestaltet hat.

Kuratorin Andrea Schiau-Gull und Deutschlehrerin Annemarie Gärtner im Gespräch mit Hildrun Schneider, Referentin für Kontakt zu den Mitgliedern der deutschen Gemeinschaft im Kirchenbezirk Hermannstadt (v. l. n. r.).
Mit dem traditionellen „Hirräi!” begrüßten die Anwesenden sowohl Bogdan Pătru, der Urzel mit der Nummer 1, der Initiator der Wiederaufname des ehemals siebenbürgisch-sächsischen Brauches in Agnetheln, als auch Bürgermeister Alin-Ciprian Schiau-Gull. Beide erinnerten an Ursula, die der Sage nach einst die Ortschaft rettete. Laut Schiau-Gull erinnern die Urzeln an die kulturelle Vielfalt der Stadt und bieten die Gelegenheit, stolz zu sein auf die Vorfahren und auf das von diesen hinterlassene Erbe. Man freue sich, viele Jugendliche und Kinder dabei zu haben, da diese die Zukunft sind. Diesen biete man nun die Gelegenheit, sich mit den Traditionen und den Wurzeln zu verbinden. Wichtig sei es, diese Traditionen auch für zukünftige Generationen zu erhalten.
Nach den Schauhandlungen, dem Volkstanzauftritt und weiterem Glockengeläut und Peitschenknall wurde das „Siebenbürgenlied” gesungen. Für die musikalische Untermalung sorgte wie immer die Neppendorfer Blaskapelle. Teil der Parade waren natürlich auch dieses Mal der Paradehauptmann mit den beiden „Engelchen” an seiner Seite, die Zunftlade oder Gesellenlade, die von zwei Männern getragen wurde, das Schneiderrösschen und das Mummerl, der aufrecht schreitende Bär und der Bärentreiber der Kürschnerzunft, zwei Reifenschwinger der Fassbinderzunft, sowie das Ringelspiel mit den Füchsen, die je einen Marder im Maul tragen, und diese ihrerseits je ein Ei als Symbol der Kürschnerzunft sowie das Pferdchen mit dem Jungen darauf, das Wahrzeichen der Riemenmacher, das erst seit 1969 Teil der Parade ist.

Die Kürschnerzunft vertraten Bär und Bärentreiber. Fotos: der Verfasser
Aus einem Interview das Curcean der online-Zeitung Turnul Sfatului gab, geht hervor, dass für den Erhalt dieses Brauches die Finanzierung eines EU-Projektes im Wert von 30.000 Euro beantragt wurde. U. a. möchte man verschiedene Elemente wie Zunftfahnen nachmachen lassen oder die halbvergessene Laubkrone und die Tartsch erneut Teil der Parade werden lassen, aber auch nach deren Bedeutung zu recherchieren. Ein Vorhaben ist zu versuchen, im nächsten Jahr auch einige Veranstaltungen im Vorfeld des Urzeltages Gästen anzubieten, die mehrere Tage in Agnetheln verbringen möchten.
„Ich bin fast jedes Jahr hier”, sagte Hans Zinz, ein gebürtiger Agnethler, der aus Deutschland extra für den Urzellauf angereist ist. Als er die Maske abnahm, kam er einem der schon mehrmals beim Urzellauf in Agnetheln dabei war sofort bekannt vor. Das allererste Mal war er bereits 1971 als Jugendlicher dabei. Das erste Mal nach der Wiederaufnahme hier nahm er dann 2007 teil. In Deutschland ist er auch sehr aktiv, geht aber in der Parade nicht als Urzel sondern im Dolman als Träger der Zunftlade mit. Inzwischen „mutiert” er in der warmen Jahreszeit zum „Sommersachsen” und verbringt immer eine bestimmte Zeit in Siebenbürgen.
„Ich bin hier in Agnetheln geboren und aufgewachsen”, sagte Rudolf Borschosch, der zusammen mit seiner Frau Doris ebenfalls aus Deutschland gekommen war um hier mitzulaufen, heuer zum zweiten Mal nach der Wiederaufnahme. 1984 fing er mit sieben Jahren an, 1990 ist er ausgewandert. „In den letzten fünf Jahren sind wir jeden Sommer nach Rumänien gekommen”, sagte Borschosch. „Wir haben die Heimat neu entdeckt.” Doris stammt aus Irmesch, der Brauch der Agnethler gefiel ihr aber, und so läuft sie ebenfalls mit.
Nach dem Umzug teilten sich die Urzeln in 11 Parten und besuchten Familienmitglieder und Bekannte. Seit dem vergangenen Jahr treffen sich einige Parten nun auch auf dem Hof der stattlichen Kirchenburg, wo die Urzelzunft einen Stand aufgestellt hatte. Hier bedienten die Frauen von der evangelischen Kirchengemeinde, allen voran Kuratorin Andrea Schiau-Gull, Urzeln und Touristen mit Krapfen und Tee. Eine der Parten, die hier halt machte, trug das Abzeichen „Die Türme”. Den traditionellen Urzelspruch durfte die jüngste Urzel der Part, Doris Lascu in siebenbürgisch-sächsischer Mundart aufsagen.
Werner FINK