,,Wie erinnern wir uns an die Geschichte?“

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Gedenkveranstaltungen an die Russlanddeportation vor 80 Jahren

Ausgabe Nr. 2896

Schenkung: Ein Werk von Friedrich Bömches Ritter von Boor aus der Reihe „Deportation“, überreichten am Mittwoch Dr. Hans-Georg Franchy (rechts) im Namen der Familie, und Hauptanwalt Friedrich Gunesch (links) dem Landeskirchlichen Museum im Teutschhaus, vertreten durch Leiterin Heidrun König (2. v. r.).             
Foto: Beatrice UNGAR

Die Veranstaltungsreihe „NachBild – 80 Jahre seit der Deportation der Sachsen in die UdSSR“ wurde mit der Vernissage der Ausstellung „Order 7161“ des luxemburgischen Fotografen Marc Schroeder am 11. Januar im Apollonia-Kulturzentrum in Kronstadt eröffnet. Die Ausstellung, die Teil eines größeren Projekts ist, welches die Erfahrungen der rumänischen Sachsen während ihrer Deportation in die UdSSR dokumentiert, zeigt Fotos und Zeugnisse von Überlebenden, Geschichten aus ihrem Leben und die Methoden, mit denen der Künstler Ereignisse und Erinnerungen aus der Vergangenheit in einer für die Gegenwart relevanten Weise festgehalten und umgesetzt hat. Die Ausstellung kann bis zum 11. Februar 2025 bei freiem Eintritt jede Woche von Freitag bis Sonntag von 16 bis 20 Uhr besucht werden.

Die Veranstaltungsreihe „NachBild – 80 Jahre seit der Deportation der Siebenbürger Sachsen in die UdSSR“ wird vom Demokratischen Forum der Deutschen in Kronstadt und dem Deutschen Kulturzentrum Kronstadt mit Unterstützung des Apollonia-Kulturzentrums in Kronstadt, des Goethe Instituts Bukarest sowie des Departements für interethnische Beziehungen organisiert und bietet laut Organisatoren der Öffentlichkeit eine Reihe von Gelegenheiten zum Nachdenken, ausgehend von der Frage Wie erinnern wir uns an die Geschichte? Entsprechend wollen die Organisatoren anlässlich des 80. Jahrestages der Deportation der Deutschen aus Rumänien in die UdSSR laut einer diesbezüg lichen Pressemitteilung, einen Dialog über Staatsbürgerschaft, Zugehörigkeit, Unterschiede und Gemeinsamkeiten eröffnen, die tieferen Folgen individueller und kollektiver Entscheidungen erörtern und den Wert von Empathie und Mitgefühl auf der Bühne der Geschichte abwägen.

Bei dieser Veranstaltung geht es auch um einen Krieg. Ein Krieg, der vor 80 Jahren endete, aber viele Opfer und Folgen hinterließ. Am 23. August 1944 kehrte Rumänien die Waffen gegen Nazi-Deutschland. Mit dem Seitenwechsel wurde eine überwältigende Anzahl rumänischer Staatsbürger über Nacht zu Feinden ihres eigenen Landes, genauer gesagt zu Feinden des damaligen neuen Verbündeten Rumäniens, der UdSSR. Dabei handelte es sich um die ethnischen Deutschen, die jahrhundertelang zur Kultur des Landes beigetragen hatten. Die überwältigende Mehrheit von ihnen war politisch ungebunden und lebte seit Generationen in diesem Land. Viele von ihnen lebten in interethnischen Ehen, viele von ihnen arbeiteten in rumänischen Fabriken zusammen mit anderen rumänischen Staatsbürgern, viele waren Soldaten in der rumänischen Armee, viele arbeiteten in nationalen und internationalen Institutionen, viele waren junge Menschen, die gerade die Schule abgeschlossen hatten. Ab dem 11. Januar 1945 wurden jedoch rund 70.000 von ihnen zur Zwangsarbeit für den Wiederaufbau eines Staates deportiert, zu dessen Zerstörung die große Mehrheit von ihnen nicht beigetragen hatte. Viele von ihnen sind nie mehr nach Hause zurückgekehrt, sie sind dort in diesen Arbeitslagern umgekommen. Wie kann man sich auf der falschen Seite der Geschichte wiederfinden, nur weil man an einem Ort, in einer Familie, in einem Land, in einer Geschichte geboren wurde?

Ilie Schipor: Die Deportation von Rumäniendeutschen in die UdSSR. Argumente aus russischen Archiven. Honterus Verlag Hermannstadt 2023, 230 Seiten. Deutsche Fassung: Ruxandra Stănescu. ISBN 978-606-008-144-9.

Während der gesamten Dauer der Ausstellung werden Interessierte zu einer Reihe von Veranstaltungen eingeladen, die das historische Ereignis kontextualisieren und damit zusammenhängende Dokumentarfilmprojekte vorstellen, um den Teilnehmern das Verständnis der emotionalen und rationalen Verbindungen mit der Vergangenheit und dem gegenwärtigen Kontext näher zu bringen. Diese Veranstaltungen sind: Die schon erwähnte Vernissage, bei der Marc Schroeder gemeinsam mit Olivia Grigoriu, der Vorsitzenden des Demokratischen Forums der Deutschen in Kronstadt, dem Historiker Dr. Ilie Schipor und der Ausstellungskuratorin Ionela-Andreea Ghețe der Frage Wie erinnern wir uns an die Geschichte? nachgegangen sind.

Morgen, Samstag, den 18. Januar, ab 10 Uhr, wird ebenda unter dem Titel Wie prägen wir die Geschichte? zu einem Cyanotypie-Workshop mit der Künstlerin Cristina Bodnărescu eingeladen.

Am Freitag, den 24. Januar, 18 Uhr, am Samstag, den 25. Januar, 11 Uhr und auf Anfrage gibt es Führungen durch die Ausstellung „Marc Schroeder – Order 1716“ mit der Kuratorin Ionela-Andreea Ghețe.

Freitag, 31. Januar, 18 Uhr, gehen Olivia Grigoriu und Uwe Leonhardt der Frage Wie schauen wir auf die Geschichte? Wie erinnern wir uns an die Geschichte? Lebensgeschichten, die dich verbinden in einem von Roxana Florescu moderierten Podiumsgespräch nach.

Am Freitag, den 7. Februar, 18 Uhr, findet zur Frage Wie verarbeiten wir Geschichte in der Kunst? ein Dialog über dokumentarische und politische Kunst mit der Regisseurin Carmen Lidia Vidu statt.

Weitere Informationen zu den Veranstaltungen im Zusammenhang mit der Ausstellung werden in der Facebook-Veranstaltung, auf den Webseiten des Demokratischen Forums der Deutschen in Kronstadt und des Deutschen Kulturzentrums Kronstadt sowie auf deren Social-Media-Seiten angekündigt. Alle Veranstaltungen der Reihe „NachBild – 80 Jahre seit der Deportation der Sachsen in die UdSSR“ finden in rumänischer Sprache statt oder werden ins Rumänische übersetzt.

Mittwoch, den 15. Januar, veranstaltete das Begegnungs- und Kulturzentrum „Friedrich Teutsch“ der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien einen Empfang anlässlich der Vorstellung einer Graphik von Friedrich Bömches Ritter von Boor aus der Reihe „Deportation“. Es handelt sich um ein Bild ohne Titel (Weg zum Lager) – 70×100 cm, Kohle auf Papier, signiert, datiert 95, eine Schenkung von Pfarrer Kurt Franchy und seiner Gattin Renate Franchy aus Wiehl. Die Aufnahme des geschichtsträchtigen Kunstwerks in das Landeskirchliche Museum fand im Beisein von Bischof Reinhart Guib statt. Über den bildenden Künstler Friedrich Bömches von Boor sprach Kunsthistorikerin Dr. Gudrun Ittu. Dr. Gerhild Rudolf berichtete über seltene Archivquellen zur Deportation und Stadtkantorin Brita Falch Leutert und Musikwart Jürg Leutert begleiteten den Anlass musikalisch.

In Deutschland finden folgende Veranstaltungen statt: Morgen, Samstag, den 18. Januar, findet im Stadthaus Ulm ab 14 Uhr, nach einer Gedenkfeier am Auswandererdenkmal am Donauufer um 13 Uhr, ein Podiumsgespräch zum Thema Annäherungen an das Ungesagte – Die Deportation in der Kunststatt mit der Schriftstellerin Iris Wolff, dem Fotografen Marc Schroeder, der Kunsttherapeutin Erika Möwius und der Performerin Heike Schuster. Sie zeigen Ausschnitte aus ihren Werken und stellen die Frage, wie es gelingen kann, die traumatischen Erfahrungen von Eltern, Großeltern, Freunden oder Interviewpartnern aufzugreifen und künstlerisch zu bearbeiten. Oft geht es dabei, wie ihre Arbeiten belegen, auch um die Vergegenwärtigung, wie sehr die geschichtlichen Ereignisse längst im eigenen Selbst verankert sind. Die Moderation hat Dr. Heinke Fabritius inne.

Ebenfalls am Samstag, dem 18. Januar, wird im Siebenbürgischen Museum Gundelsheim die Kabinettausstellung Lagergrafik. Emerich Amberg, Friedrich von Bömches, Karl Brandsch eröffnet, die daselbst bis zum 18. Mai d. J. zu besichtigen sein wird. Es geht um Zeichnungen, die während der Deportation von Rumäniendeutschen in die Sowjetunion 1945-1949 entstanden sind. Die Ausstellung ist ein Beitrag zum Projektverbund „1945 – 2025. 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Erinnerung und Gegenwart in Deutschland und im östlichen Europa.“ des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte des östlichen Europa (BKGE) Oldenburg, der aus Anlass des 80. Gedenkens an das Ende des Zweiten Weltkriegs dieses und die Folgen mit zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen bundesweit beleuchtet.

In den Lagern mussten die Künstler einerseits Propaganda-Bilder der sowjetischen Nomenklatura oder der sogenannten „Bestarbeiter“ produzieren, andererseits konnten sie aber auch auf kleinen Zetteln mit teils improvisierten Mitteln den Lageralltag dokumentieren und ihre Mitinsassen porträtieren.

Als bedeutende Zeitdokumente sind eine Anzahl dieser Werke im Zuge des 75-jährigen Gedenkens an die Deportation in den Jahren 2020 bis 2022 als Schenkungen in die Sammlung des Siebenbürgischen Museums gelangt und vermitteln ein beispielgebendes Bild der Zeit und der Kunstproduktion in den Arbeitslagern zwischen Propaganda und künstlerischer Selbstentfaltung.

Am Sonntag, dem 19. Januar 2025, organisiert der Kreisverband Augsburg eine Gedenkveranstaltung an die Deportation von nahezu 47.000 Banater Landsleuten zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion vor genau 80 Jahren. Nach dem Sonntags-Gottesdienst mit dem Augsburger Weihbischof und Domprobst Anton Losinger in der Kirche „Zum Guten Hirten“ im Augsburger Universitätsviertel (Beginn: 10.15 Uhr) findet am Banater Gedenkstein bei der Kirche die Kranzniederlegung statt. Umrahmt wird der Festakt vom Chor der Banater Schwaben Augsburg unter der Leitung von Aniko Oster und von der Musikkapelle Banater Schwaben des Kreisverbandes Augsburg unter der Leitung von Gerhard Hipp.

Nach einem kleinen Imbiss folgt im Pfarrsaal um 13 Uhr ein Gedenken mit musikalischer Umrahmung. Im Mittelpunkt steht dabei eine Bild- und Dokumentenpräsentation von Luzian Geier zur Deportation. Der Referent stellt dazu das Buch Die Deportation von Rumäniendeutschen in die UdSSR. Argumente aus russischen Archiven von Oberst Dr. Ilie Schipor vor über Belege in russischen Archiven zur sowjetischen Deportationspolitik, hauptsächlich Rumänien betreffend.

Beatrice UNGAR

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Geschichte.