Daseinsbürde, epische Substanz, literarischer Ertrag

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Einige Anmerkungen über die Deportation der Rumäniendeutschen in den Osten

Ausgabe Nr. 2898

Bis zur politischen Wende in Rumänien 1989/90, bis zur Öffnung des Eisernen Vorhangs, gab es zwischen Ost und West deutliche Unterschiede in der Darstellung der Deportation, der Verschickung von deutschen Landesbewohnern Siebenbürgens, des Banats und Banater Berglands, des Sathmarer Landes und Rumänischen Altreichs in die Sowjetunion.

Im Westen Europas und in Mitteleuropa war es seit je gestattet, über die Verschleppung und Zwangsarbeit während der zweiten Hälfte der 1940er Jahre zu sprechen, darüber zu schreiben und das Geschriebene zu publizieren. Doch mussten jene, die sich dazu äußerten, feststellen: In Deutschland, in Österreich war das Nachkriegsschicksal der Rumäniendeutschen ein vergleichsweise wenig beachtetes Sonderkapitel in der 1945 beginnenden und bis heute andauernden Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus, Kriegsführung und Kriegsschuld, mit Konzentrationslager, Zusammenbruch und Vertreibung. Aufgeschlossenheit für das Thema Deportation war daher auf landsmannschaftliche Kreise oder auf jene Personen beschränkt, denen südosteuropäische Problematik einigermaßen vertraut war.

 Diesseits des Eisernen Vorhangs wiederum blieb bis 1990 die Beschäftigung mit der Deportation vorwiegend auf der Ebene privater Mitteilung. Eingehendere Diskussionen darüber fanden nicht statt, und in der Belletristik stößt man bloß auf gelegentliche Erwähnungen des Geschehens oder kann auf Darstellungen verweisen, die Kritik an sowjetrussischen Gegebenheiten vermieden und mitunter gehörig im Sinne sozialistischer Fortschrittsideologie frisiert waren. Die Materie war allzu sperrig, sie war zu sehr an Übergriffe und Zwangsmaßnahmen gebunden, an die Bloßstellung des marxistisch-leninistischen Gesellschaftssystems, als dass man zugelassen hätte, sie in der Öffentlichkeit zu erörtern.

Nach dem Wendejahr 1990 änderte sich die öffentliche Einstellung zu dem Jahrzehnte zurückliegenden Ereignis der Deportation. Die regere Kommunikation zwischen Rumänien und Deutschland, die schrittweise Beseitigung der sozialistischen Denkkategorien wie auch der real-sozialistischen Praktiken schufen ein Klima größerer Aufgeschlossenheit für das traumatisierende Erleben der „Wiederaufbauarbeit“.

Gedenkveranstaltungen fanden statt, etwa die mit großem Aufwand betriebenen Feierlichkeiten 1995, als fünfzig Jahre seit Beginn der Deportation sowohl in München als auch in Kronstadt begangen wurden, unter reger Teilnahme der damals noch jüngeren Erlebnisgeneration. Auch die zu Beginn des Jahres 2020 in Reschitza abgehaltene zentrale Gedenkfeier verdient angeführt zu werden.

Zeitzeugen oder deren Familienangehörigen wurden befragt, ein bis in die Gegenwart nicht abreißender Vorgang, und ihre Berichte wurden in Zeitungen und Sammelbänden publiziert oder in Fernsehsendungen und Dokumentarfilmen dargeboten. Historische Studien untermauerten mit amtlichen und persönlichen Dokumenten die Schilderungen der einst von der Verschickung betroffenen Arbeitskräfte. Und nicht zuletzt verzeichnete die literarische Darstellung des fatalen Fünfjahresplans ´45-´49 einen Aufschwung.

Von der literarisch zu gestaltenden Substanz her, ist die Deportation ein eminent epischer Stoffbereich. Das hält Michael Markel in einem sorgfältig durchkomponierten Band fest, betitelt „Die Deportation der Rumäniendeutschen im Spiegel der schönen Literatur“ (2016). Deportation, schreibt er da, „ist in auffälliger Weise Sache der Epik, überwiegend des Romans“, und Markel meint, dies habe mit der „Stofflastigkeit des Themas zu tun“.

Also Epik, weniger Lyrik und fast gar keine Dramatik. Deshalb sei das mit Zeichnungen und Fotos reich ausgestattete „Gedenkbuch“ zumindest genannt, in dem unter dem Titel „Lagerlyrik“ Gedichte, Lieder, Reime und Sprüche erfasst wurden (hrsg. von G. Czernetzky, R. Weber-Schlenther, L. Geier, H.-W. Schuster und E. J. Ţigla, 2015).

Ein Streiflicht soll auch auf die Dramatik fallen. Zu szenischen Gestaltungen für die im Lager improvisierte Bühne oder für das institutionelle Theater sahen sich bloß zwei Autoren veranlasst. Zum einen der Journalist Kurt Felix Gebauer (Pseudonym Georg Brenndörfer). Er schrieb vor Ort, in der Ukraine „Das Christi-Geburt-Spiel der Siebenbürger Sachsen im Donbass“ (2001). Sowie zum anderen agierte der volkstümliche Autor und Schauspieler Stefan Heinz (besser bekannt durch sein Pseudonym Hans Kehrer). Ihn hat das Stück „Zwei Schwestern. Eine schwäbische Passion“ zum Verfasser (Uraufführung Temeswar 1980).

Bevor wir uns Erzählungen und Romanen zuwenden, sei kurz auf andere Formen, andere Schreibgattungen hingewiesen, in denen sich die Deportation spiegelt. Etwa auf Memoiren.

Solche wurden in neueren Publikationen zugänglich. Erwähnt seien die „Erlebnisberichte aus der Deportation“ von Hans Fröhlich, betitelt „In der vierten Nachtwache“ (hrsg. von A. Möckel, 2012), und die beiden Anthologien „Russlanddeportation. 70 Jahre seit deren Beginn“ (hrsg. von E. J. Ţigla, betreut von W. König, 2015/16). Siehe auch die Anthologie, in der Berichte von Nachkommen der Verschleppten zusammengelegt wurden (hrsg. von A. Bohn, W. Kremm, A. Sterbling und W. Tonţa, 2 deutsche Ausgaben und zuletzt die rumänische Edition 2022).

Obwohl im Untertitel als „Erzählung“ bezeichnet, ist ein Bericht mit der Lebensetappe Deportation wegen möglichst genauer dokumentarischer Untermauerung ebenfalls hier einzugliedern: die von dem Reschitzer Anton Ferenschütz verfasste Schilderung „Wahn und Wirklichkeit“ (2006).

Anzuführen wären in der Kategorie „Erinnerungsbücher“ auch die Schilderungen jener Landesbewohner, die im rumänischen Milieu beheimatet waren, doch wegen ihres deutschen Familiennamens ausgehoben und zur Zwangsarbeit verschickt wurden: Beispielsweise Tibor Ostermanns Erinnerungen „Amintiri pentru fiica mea. Viaţa unui etnic german din România deportat în U. R. S. S.“ (1996).

Der Bukarester Architekt Jean Schafhütl verlieh seinen Erinnerungen durch den Wechsel der Perspektive aus der ersten in die dritte Person, also vom „ich“ zum „er“, einen Zug ins Belletristische. Er hat die Drucklegung des Manuskripts nicht mehr erlebt, die Schilderung wurde posthum veröffentlicht, unter dem Titel: „Anii pierduţi. Amintirile unui arhitect deportat în U. R. S. S.“ (betreut von V. Mitric-Ciupe, 2015).

Angegeben sei auch das Buch „Cinci ani în Donbas“ von Carol Aschembrener (betreut von L. Stoenescu, 2015).

Die erste authentisch wirkende, umfassende Darstellung des zwanghaften Geschehens ist Rainer Biemel zu verdanken. Der aus Kronstadt stammende, zeitweilig in Bukarest tätige Journalist und Sprachlehrer, der später in Paris ansässige Übersetzer und Verlagsmitarbeiter schilderte sein im Donbass verbrachtes Jahr unter dem Titel „Mon ami Vassia. Souvenirs du Donetz“ (gezeichnet mit Pseudonym Jean Rounault, Paris 1949. Übersetzungen ins Englische, Niederländische, Portugiesische, Chinesische. Deutsch von C. Brink 1995, rumänisch von A. und M. Chirca 2000).

Eine vielgelesene Beschreibung der Deportationsereignisse in Romanform bot der unweit von Hermannstadt (in Braller/Bruiu) geborene, als Feuilletonist, Prosaautor und Rundfunkmitarbeiter in Deutschland tätige Bernhard Ohsam. Sein Roman „Eine Handvoll Machorka“ enthält lebendige, oft auch amüsante Schilderungen der ukrainischen Lebens- und Arbeitswelt (1958, ergänzte Fassung unter dem Titel „Hunger und Sichel“ 1995).

Wenn auch anderthalb Jahrzehnte die Geburtsdaten von Biemel und Ohsam trennten, gehörten beide Autoren dennoch der sogenannten „Erlebnisgeneration“ an, die ihre soeben genannten Werke aus unmittelbar erfahrenem Erleben gestalteten. Das trifft auf zwei Schriftsteller der älteren Generation nicht zu, sie waren von der Verschleppung durch den Umstand befreit, dass sie das 45. Lebensjahr bereits erfüllt hatten, die Altersgrenze für die Aushebung. Dennoch waren beide von dem Deportiertenschicksal der Landsleute berührt und haben sich in ihrer Prosa dem Thema gewidmet. Wir meinen Otto Folberth und Erwin Wittstock.

Letzterer erzählte in seinem in den ersten 1950er Jahren geschriebenen Roman „Januar ´45 oder Die höhere Pflicht“ (1998) den Beginn der Deportation, also wie in Hermannstadt und Umgebung die für diesen Vorgang anvisierten Personen behördlich abgeführt wurden beziehungsweise wie einzelne versuchten, sich dem Anschlag auf ihre Freiheit, auf ihre Existenz zu entziehen.

Otto Folberth wiederum flocht in die Handlung seines ebenfalls in der ersten Hälfte der 1950er Jahre entstandenen Romans „Das Stundenglas“ Arbeitslager-Episoden ein, die er aufgrund von Zeugenberichten geformt hatte (Buchausgabe betreut von H. Schuller, 2013).

Die bisher genannten Autoren hatten erkannt, die Deportation als zeitgeschichtliches Geschehen mit vielfältigen Einzelschicksalen sei ein reichhaltiger Stoffbereich der Literatur, und sie fühlten sich gedrängt, davon Zeugnis abzulegen, zumal, wenn sie selbst zu den von der Zwangsmaßnahme Betroffenen gehörten. Doch gab es auch Schriftsteller, die das Thema mieden, obwohl sie berufen gewesen wären, sich dazu zu äußern wie beispielsweise Franz Storch. Jahre hindurch hatte er „Aufbauarbeit im Osten“ geleistet und war mit recht zerrütteter Gesundheit heimgekehrt.

Andere sahen deutlich, dass im „volksdemokratischen“ Stalinismus und Nachstalinismus nur eine ideologiekonforme, vielfach harmonisierte Darstellung der erlebten oder vernommenen Geschehnisse möglich sei. So meldeten sich manche ansonsten um zeitgeschichtlich relevante Gegenstände, nach Möglichkeit um authentische Schilderung bemühte Autoren erst vergleichsweise spät und höchst bedachtsam zu Wort. Wenigstens etwas von der Deportation wollten sie aber doch in ihr Schaffen eingebracht haben, etwa Anton Breitenhofer, der auch zur Zwangsarbeit verschickt worden war. Einen Widerhall seiner Erfahrungen im Uralgebiet findet man in Breitenhofers Roman „Spiel mit dem Feuer“ (1982; rumänisch von S. Răducanu, 1987).

Wie heikel es war, sich literarisch mit dem Lagerleben auseinanderzusetzen, hatte der Dichter, Essayist und Übersetzer Oskar Pastior erfahren. Die während jahrelanger Zwangsarbeit in der Ukraine gesammelten Eindrücke setzte er zuerst in Gedichte, später dann in reflexive Prosa um. Ersteres noch in Rumänien, was dazu führte, dass Gedichtabschriften Anlass zu Verhören, Bespitzelung und zur Gefängnishaft einer Mitwisserin führten. Die recht spät in Deutschland niedergeschriebenen oder auch mündlich vorgebrachten Kommentare zu den Zuständen im ostukrainischen Industriegebiet sind, in gefilterter Form, zum Teil eingeflossen in Herta Müllers Roman „Atemschaukel“ (2009. Übertragungen in zahlreiche Sprachen, auch ins Rumänische, übersetzt von Al. Şahighian, 2010).

Die Intensität der Betrachtungen, die zwingende Vortragsweise haben dieses Buch weit über den eher regional umgrenzten Wirkungskreis der Deportationsliteratur hinaus bekannt gemacht und auf eine Ebene literarischer Rezeption versetzt (Kategorie Bestseller, Nobelpreis), die rumäniendeutschem Schrifttum sonst nicht beschieden ist.

Andere Autoren begnügten sich mit episodischen Darstellungen oder auch Kommentaren, sei es in kürzerer Prosa, sei es als Teilstücke umfassenderer Werke. Genannt seien hier Hans Bergel (im Finale des Romans „Die Wiederkehr der Wölfe“, 2006), Eginald Schlattner (im Roman „Das Klavier im Nebel“, 2005) und Walther Gottfried Seidner (im Sammelband „Auf Wolke 7/Siebenbürgen“, 2007).

Sorgfältig analysierte Michael Markel nicht nur älteres Schrifttum, sondern auch die einschlägigen literarischen Arbeiten der aus seiner Sicht jüngeren Autorinnen und Autoren. Also jener, die in den 1940er Jahren zur Welt gekommen waren wie Anneliese Drodtloff (die Verfasserin des Romans „Der Holderstrauch ist längst verblüht“, 1999), die aus Heltau stammende Kinderbuchautorin Karin Gündisch (aufschlussreich ihr Buch „Weit, hinter den Wäldern“, 1988) und die Hermannstädterin Dagmar Dusil (sie gab 2012 eigene Prosatexte unter dem Titel „Wie die Jahre verletzen“ heraus).

Ebenso gründlich stellte Markel sich auf die Prosaschilderungen der nach 1950 geborenen Literaten ein. Beispielsweise auf die Mühlbacherin Marinela Porumb, die Verfasserin des Romans „Pădurea de sticlă“ (2011), welche das Lesepublikum mit der siebenbürgisch-deutschen Problematik des Buches überrascht hatte.

Die Russland-Deportation als Lebenssubstanz ihrer Eltern und ihrer Verwandten sind ein beachtetes Stoffgebiet für die in den 1950er Jahren geborenen Autoren der „Aktionsgruppe Banat“ gewesen. Bezeugt wird dies etwa von Johann Lippets Romanschilderungen, verfasst von diesem literarischen Chronisten einer ihm vertrauten Banater Dorfgemeinde (u. a. „Die Tür zur hinteren Küche”, 2000). Abschnitte in Richard Wagners Roman „Habseligkeiten“ (2004) sind desgleichen dem Deportationsgeschehen gewidmet.

Beim Nennen dieser Autoren hat man sich bewusst zu machen, dass für sie und ihre Banater Umgebung die Deportation in den Osten von der Deportation in die Bărăgansteppe abgelöst wurde und dass Johann Lippet, Richard Wagner, Anton Sterbling, Balthasar Waitz und andere die Zwangsverpflanzungen mitunter verschränkt dargestellt haben. Als Konzept liegt dies dem Band „Deportationen. Literarische Blickwinkel“ zugrunde (hrsg. von A. Bohn und A. Sterbling, 2021). Dies Ineinandergreifen gilt im Übrigen auch für Eginald Schlattner: Der Radius seines Romans „Das Klavier im Nebel“ umfasst vielerlei Episodik und Schauplätze in Siebenbürgen, im Banat und Rumänischen Altreich, gedanklich auch im sowjetrussischen Osten.

Die Biografie eines der Autoren aus der „Aktionsgruppe Banat“ ist von der Verschleppung in den Bărăgan geprägt worden, ist er doch in einem minimal ausgestatteten Dorfweiler jener Gegend geboren worden und hat Kindheitsjahre dort verbracht: Horst Samson. Er konnte also „ein Lied davon singen“, was er denn auch getan hat.

Zu all diesen Schriften gesellte sich 2019 der Roman „Dincoace şi dincolo de tunel. 1945“ von der aus dem Kreis Brăila stammenden, dank Heirat und Familie seit langem in Schäßburg ansässigen Mariana Gorczyca. Die deutsche Übersetzung des Buches, von Beatrice Ungar, erschien 2020, unter dem schlichten Titel, dem nachzusinnen unser Thema auffordert: „Diesseits und jenseits des Tunnels“.

Joachim WITTSTOCK

Veröffentlicht in Literatur, Aktuelle Ausgabe.