Kunst und Mythos

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Zur Ausstellung ,,Siebenbürgisches Bestiarium“ in Wien

Ausgabe Nr. 2885

RKI-Leiterin Andreea Dincă (rechts) und die Künstlerin Rada Niță Josan bei der Vernissage der Ausstellung.                                         Foto: Heinz WEISS

In der faszinierenden Landschaft Siebenbürgens, wo die Nebel über den Hügeln tanzen und jahrhundertealte Legenden in der Luft hängen, findet die Künstlerin Rada Niță Josan Inspiration für ihre Radierungen und Federzeichnungen. Rada Niță Josan ist eine bildende Künstlerin mit den Schwerpunkten Druckgrafik und Zeichnung. Sie studierte und promovierte an der Universität für Kunst und Design in Klausenburg und hat in zahlreichen Ländern Europas ihr Schaffen sehr erfolgreich ausgestellt. Ferner wurde Josan mit etlichen Preisen ausgezeichnet. Die vor kurzem auch in Wien im Rumänischen Kulturinstitut unter dem Titel „Siebenbürgisches Bestiarium“ ausgestellten werke entstanden zwischen 2019 bis 2022 in Großwardein, wo die Künstlerin auf Einladung einer Galerie weilte.

 

Die rumänische Mythologie ist reich an Figuren und Geschichten, die den Betrachter von Rada Nita Josans Werken in eine Welt entführen, in der das Übernatürliche und das Alltägliche auf wunderbare Weise miteinander verwoben sind. Geheimnisvolle Wesen wie die Feen des Waldes, Drachen, Dämonen, Igel, Strigoi, Moroi, Beschwörerinnen und viele andere Fabelwesen werden zu Neuinterpretationen mythologischer Wesen. In den verwunschenen Wäldern Siebenbürgens ist sogar die Luft erfüllt von alten Mythen und geheimnisvollen Geschichten und zwischen sanften Hügeln und uralten Burgruinen entfaltet sich eine Welt, die nicht nur für die Sinne, sondern auch für die Kreativität eine unerschöpfliche Inspirationsquelle darstellt. Die rumänische Mythologie ist reich an faszinierenden Figuren. Angelehnt an Hieronymus Bosch sind auch bei der Künstlerin dämonische Figuren und Fabelwesen in ihre Werke eingearbeitet. Denn Bosch kannte und schätzte Bestiarien. Das Bestiarium entwickelte sich aus dem Physiologus, einem aus Alexandria stammenden mythologischen „Tierkundebuch“, das im frühen Mittelalter seinen Weg nach Europa fand und übersetzt wurde. Bestiarien sind allegorische Tierbücher, die wirkliche und fantastische Tiere beschreiben und ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Eigenschaften typologisch herauszustellen suchen. Sie dienten als didaktische Medien für Belehrungen in Moral und Religion. Trotzdem waren Bestiarien sehr beliebt, da die Menschen exotische Tiere von anderen Kontinenten nur über diese Bücher kennenlernen konnten. Gleichzeitig fanden aber auch mythische Tiere wie das Einhorn oder der Drache Eingang in das Gedankengut der Menschen. Die Weiterentwicklung von Fabelwesen zu furchterregenden Kreaturen geht aber im Wesentlichen auf Hieronymus Bosch zurück, denn er wollte so das Böse in den Menschen sichtbar machen.

Die volkstümlichen Texte, die diese Werke begleiten, laden die Besucher ein, tief in das kollektive Gedächtnis eines ganzen Landes einzutauchen. So lautet einer davon: „Am Abend, nach Sonnenuntergang, beginnt die böse Zeit der Nacht, in der Dämonen und dunkle Zaubersprüche ihr Unwesen treiben. Daher müssen im Interesse der individuellen oder kollektiven Sicherheit zahlreiche Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden. So wird nach Sonnenuntergang nichts aus einem Haus geliehen, damit das Vieh nicht zu Schaden kommt oder der Hausfrieden verloren geht. (…) Im Allgemeinen ist jedoch die Nacht gefährlich für jede Aktivität außerhalb des Hauses, weil dann alle dämonischen Wesen in der Luft zirkulieren: Drachen, Elfen, Mama Pădurii, Werwölfe, Hexer, Vampire und so weiter, und sie können größtes Unglück verursachen. (…) In der Nacht scheint es, laut der magischen Überzeugungen, als ob die Welt von den guten Geistern verlassen und den dämonischen Mächten überlassen wird.“ (Gh. Pavelescu, Untersuchungen zur Magie bei den Rumänen aus dem Westgebirge, 1945).

Parallel zu den kurzen Texten schaffen es die Exponate, die magische Atmosphäre Siebenbürgens einzufangen und die Betrachterin und den Betrachter auf eine Reise durch Zeit und Raum mitzunehmen.

Die Ausstellung war bis zum 29. September d. J. in den Räumlichkeiten des Rumänischen Kulturinstituts in Wien zu besichtigen. Ihr Nachhall ist noch bei Vielen zu spüren, die sie besucht haben. Davon bin ich überzeugt.

Ingrid WEISS

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kunst.