Die Künstlerin Sieglinde Bottesch stellt im Brukenthalmuseum aus
Ausgabe Nr. 2878
„Das kommt auf einen Sockel, bitte seid vorsichtig, das stellt bitte in den anderen Raum, wir schauen dann, ob es auch dort bleibt“. Wer der gebürtigen Hermannstädter Künstlerin Sieglinde Bottesch beim Auspacken ihrer Werke und beim Einrichten einer Ausstellung zusieht, muss feststellen, dass diese Aktion ein Kunstwerk für sich ist: Sie agiert behutsam aber bestimmt, mit ruhiger Stimme. Man könnte stundenlang zusehen und zuhören. Schließlich sind die Werke an ihrem Platz und es ist eine Augenweide, sich darin zu verlieren. Das können Besucherinnen und Besucher des Brukenthalmuseums noch bis Ende August. Bottesch zeigt nämlich in ihrer im Rahmen des zweiten Großen Sachsentreffens eröffneten Ausstellung im ehemaligen Stichekabinett unter dem Titel „Ursprung” Werke aus mehreren Jahrzehnten.
In dem dazu herausgegebenen Katalog erzählt Sieglinde Bottesch: „Von Beginn an war mein Werk mit meinem Leben eng verwoben. Nach dem Kunststudium in Bukarest entstanden Mitte der 1960-er Jahre Stillleben (Ölgemälde), in sanfter Farbgebung und schlichter Komposition. Um 1965 kündigte sich in meiner künstlerischen Arbeit ein eigener Stil an, als ich der Qualität unverfälschter Kinderzeichnungen begegnet war. Zugleich faszinierte mich auch das Werk von Paul Klee. Auch meine Beschäftigung mit bäuerlichen Hinterglasikonen und mit der Freskomalerei hinterließ ihre Spuren. Vereinfachte Formen, eine intensiv warme Farbskala und narrative-expressive Bildmotive waren Merkmale dieser frühen Kompositionen.
Gegen Ende der 70-er Jahre und Anfang der 80-er Jahre änderte sich mein Malstil: Die Farbpalette war jetzt auf kühle Blau-Grüntöne reduziert, die mit der Andeutung von Raumtiefe eine surreale, träumerische Stimmung schufen. Ab Mitte der 1970er-Jahre entstanden ausdrucksvolle Tusche-Federzeichnungen, in denen ich mittels filigraner Strukturen und verfremdeter Formen versuchte, die Eigenart alltäglicher Dinge und das Sublime in der Natur einzufangen.
Meine frühen Arbeiten waren figürlich intendiert und im Grunde habe ich das Figürliche auch in den nachfolgenden Werken nicht gänzlich verbannt. Trotzdem fanden abstrahierte Formen, vor allem in den späteren Schaffensphasen Eingang in mein Œuvre.
1987, als ich nach Deutschland kam, war vieles überwältigend neu für mich. Ich suchte einen Weg, um mich selbst zu finden, um mich „orten“ zu können. Der Dialog mit der Natur, mit dem Organischen, war ein Weg zu mir selbst. Das Organische, war mir das Vertraute, das mir auch den Weg zum dreidimensionalen Objekt eröffnete.
Die ersten Plastiken schuf ich unmittelbar, ohne Vorlauf, ohne Zwischenstufen. Ihre Aussage war überzeugend und ich sah darin eine erweiterte Form des künstlerischen Ausdrucks, da das dreidimensionale Werk – noch mehr als die Fläche – das Potenzial der Vieldeutigkeit in sich trägt. Viele meiner Objekte markieren Zwischenstadien des Seins, die den Ursprung erahnen lassen, ohne ihn zu definieren.”
Niemand könnte das Werk von Sieglinde Bottesch besser definieren als sie selbst, und der Besuch der Ausstellung, übrigens hat die Künstlerin genau vor 50 Jahren ihre erste Ausstellung in genau diesem Raum gezeigt, wie sie feststellte, als sie den Raum, genauer gesagt, die beiden Räume betrat, wo ihre sorgfältig verpackten Bilder und Objekte auf sie warteten.
Nun, eine Kennerin hat das auch sehr treffend formuliert, nämlich Prof. Karin Stempel, u. a. frühere Präsidentin der Kunsthochschule in Kassel, die der Künstlerin bei dem Einrichten der Ausstellung mit Rat und Tat zur Seite stand. Sie schreibt u. a.: „Was sich auch immer im Laufe der Jahre und Jahrzehnte verändert haben mag – seien es Orte, Bezugspunkte, Umgebungen, Beziehungen, Tätigkeitsfelder – , gleich geblieben ist im vielfältigen Werk von Sieglinde Bottesch, eine ganz bestimmte Art und Weise zu sehen, sich der Dinge, Menschen, Situationen auf eine ganz bestimmte Art und Weise anzunehmen. Das Vermögen, Einzelnes als Singularität wahrzunehmen, die gleichwohl die ganze Welt in sich birgt, zieht sich – bei aller Vielgestaltigkeit der Werke und der Unterschiedlichkeit der Medien – Zeichnungen, Holz- und Linolschnitte, Gemälde, Plastiken – wie ein roter Faden leitmotivisch durch das gesamte Œuvre von Sieglinde Bottesch.
Die frühen Gemälde, bei denen offensichtlich Paul Klee Pate gestanden hat, oszillieren zwischen den Dimensionen, so dass es keine einheitliche Projektionsebene gibt. Vielmehr ist Raum dergestalt in die Fläche gefaltet, dass Kadrierungen mit verschiedenen Brennweiten sich überlagern und durchdringen. Innerhalb eines streng geometrischen Gerüstes stoßen Aufsichten an Ansichten, kreisen Nah- in Fernsichten, Draufsichten verstellen und überlagern Durchsichten, Hintergrund und Vordergrund treffen sich in einer prismatischen Verschachtelung von aktueller Flächenaufteilung und einer Vielzahl von Raumpotenzialen.”
Den Besuch der Ausstellung kann allerdings kein Katalog ersetzen.
Beatrice UNGAR