Eine Begegnung am Rande des Sachsentreffens / Von Peter LÁSZLÓ-HERBERT
Ausgabe Nr. 2878

Aylmerer und Klausenburger in der Forumsbibliothek mit DFDS-Geschäftsführer Winfried Ziegler (3. v. l.) und Rebecca Horeth (4. v. l.). Foto: Privat
Die Statistiken des diesjährigen Großen Sachsentreffens werden in Bälde für uns alle verfügbar sein. Gegenüber der Ausgabe von 2017 sind bestimmt alle Rekorde gebrochen worden, sowohl die Teilnehmerzahl als auch die Zahl und Vielfalt der Veranstaltungen betreffend. Allein das großartige Peter Maffay-Konzert zur Krönung des dreitägigen Programmes hat so viele Menschen auf dem Hauptplatz Hermannstadts vereint wie wohl nie zuvor ein anderer Rockstar – und schon gar nicht ein Siebenbürger Sachse. Unser aller Dank geht an die vielen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helfern, die das Sachsentreffen in diesem Jahr möglich gemacht und reibungslos über die Bühne gebracht haben, sowie den großzügigen Förderern, die uns unvergessliche Augenblicke beschert haben.
Doch wer das letzte Wochenende mit dabei gewesen war, konnte auch ohne sich auf offizielle Angaben zu stützen gefühlsmäßig schätzen, dass mindestens genauso viele Sachsen – und deren Freunde – in der Altstadt und am Großen Ring zusammengekommen sind, wie in der „alten“ Heimat zensusgemäß noch wohnhaft sind. Diese Erkenntnis ist ernüchternd und überwältigend zugleich, lässt einen Vergleich ziehen zu Touristenattraktionen, die Jahr über Jahr ein Vielfaches der einheimischen Bevölkerung an pittoreske Strände, Festivals und in die Altstadt-Wunder locken.
Wenn man die große Anzahl der „herunter“ Gekommenen näher betrachtet, entdeckt man nebst der überwiegenden Mehrheit von Siebenbürger Sachsen, die in diversen Vereinen und HOGs in Deutschland organisiert sind – und von „unten“ aus gesehen noch eine kritische, sprich überlebensfähige Masse bilden – einige kleinere Gruppierungen wie zum Beispiel die Sachsenverbände aus Österreich und der Schweiz, oder die fast exotisch anmutenden Landsmannschaften aus Kanada (deren Gliederungen dort Clubs genannt werden) oder den USA (wo die Alliance of Transylvanian Saxons in Branches gegliedert ist). Von ihrer Größe her sind letztere mit unseren Regional- oder Zentrumsforen vergleichbar, ihr Auftritt und ihre Präsenz in Hermannstadt waren jedoch sicherlich überproportional zu ihrer Mitgliedschaft. (Wie schade, dass die Blaskapelle der US-amerikanischen Sachsen wegen unterwegs verspäteter/verlorener Instrumente und Gepäckstücke nicht wie geplant auftreten konnte!)
Der kurze Sommerregen, der das sonst herrliche Wetter des Sachsentreffens am Sonntagvor-mittag kurz unterbrach, bot die unverhoffte Gelegenheit zu einem durchaus bereichernden Aus-tausch mit unseren kanadischen Landsleuten. Drei Mitglieder des Klausenburger Forums und fünf Gesandte des kanadisch-sächsischen Club of Aylmer – Saxonia Hall (www.saxoniahall.com) fanden vor dem Nasskühl des Platzregens Schutz im beliebten Café Wien am Huetplatz, bei Gekipptem und leckerem Feingebäck. Die Vertreter des über 200 Mitglieder zählenden Clubs berichteten über Entstehung, Aktivitäten und ihre Pläne mit aufrichtiger, ja ansteckender Begeisterung, die vermutlich durch die Begegnungen in ihrer alten Heimat im Nösnerland und dann in Hermannstadt nochmal angefeuert wurde. Wer die Geduld und das Interesse aufbringt, die Internetpräsenz des Clubs (s.o.) zu besuchen, wird die vielseitigen Aktivitäten der bis zu vier Generationen vereinenden Gruppe schätzen. Bei einer unvergleichbar bescheidenen Unterstützung durch lokale und zentrale Regierungsstellen in Kanada, verglichen zu Rumänien – die Fördergelder seitens des rumänischen Staates, die über das Departement für interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Rumänischen Regierung (DRI) und andere Kanäle laufen, fallen im Verhältnis weit großzügiger aus – fanden wir die pragmatische Herangehensweise unserer kanadischen Landsleute beein-druckend: Der „Forumssaal“ am Vereinssitz in Aylmer (ca. 7500 Einwohner, im Bundesstaat Ontario, etwa zwei Fahrtstunden südwestlich von der Metropole Toronto gelegen) wird regelmäßig für Hochzeiten und andere Veranstaltungen vermietet; dabei richten die freiwilligen Helfer der Gruppe selbst die Säle her, auch die Putzaktion danach wird in Eigenregie durchgeführt!), die Mitglieder kochen oftmals auf externen Veranstaltungen Gerichte aus alten sächsischen Rezepten der Mitglieder aus erster Ge-neration – Krautwickel/sarmale gehören dabei unvermeidlich zu den Erfolgsschlagern, meinen die Kanada-Sachsen – und die eigene Volkstanzgruppe, die wöchentlich probt, tritt regelmäßig auf Volksfesten auf und wirbt auch auf diese Weise für unsere siebenbürgisch-sächsische Kultur und deren Weiterbestehen. So entsteht eine relative finanzielle Autarkie, über welche alle eigenen Tätigkeiten finanziert und gelegentliche Überfahrten nach Europa ermöglicht werden.
In der gemütlichen Runde erläuterte uns die aus Nordsiebenbürgen stammende Rebecca Horeth, 1. Vizepräsidentin der kanadischen Landsmannschaft und beim diesjährigen Treffen Leiterin der kanadischen Delegation, zusammen mit ihren Freunden die jüngsten Pläne ihres Clubs: eine „gute Stube“ aus einer Privatspende eines Mitglieds im eigenen Vereinssitz einzurichten, sowie die Einrichtung einer Bibliothek mit Schwerpunkt auf siebenbürgisch-sächsischer Landeskunde und -Traditionen. Horeth, die als Folkloristin u. a. auch Trachten und Brauchtum der (nach Übersee ausgewanderten) Siebenbürger Sachsen erforscht, zeigte sich besonders interessiert an ethnographisch-monographischem Material. Da besannen sich Radu Nebert, Forumsvorsitzender in Klausenburg und stellvertretender Vorsitzender des Siebenbürgenforums, und sein Schulfreund Peter László-Herbert (Verfasser dieser Zeilen) auf die hervorragende Sammlung aktueller Transsylvanica, die unter der Koordination des Siebenbürgenforums und mit Förderung durch das DRI in den letzten Jahren zustande gekommen ist – spontan wurde ein Termin in der Mansardenbibliothek des Forums in der Sporergasse vereinbart und dem Geschäftsführer des Siebenbürgenforums Winfried Ziegler ein Blitzbesuch abgestattet. Unserem Gastgeber gilt, angesichts des damals noch anhaltenden Sachsentreffens, dessen Lärm vom Großen Ring bis in die Dachstube des Forumshauses drang, ein ganz herzlicher Dank für die so kurzfristige Zusage!
Die fachkundige und kurzweilige Vorstellung der wichtigsten ethnographischen, landeskundlichen und folkloristischen Publikationen des Forums aus den letzten Jahr-(zehnt)en war für alle Teilnehmer eine Bereicherung – nicht weniger erfreulich fanden wir die unkomplizierte Gastfreundschaft, die uns schon bald nach Eintritt in die wertvolle Stube mit prallgefüllten Bücherregalen das Gefühl gab, wir verweilten bei alten Freunden.
Zum Schluss des Besuches im Siebenbürgenforum wurden unsere kanadischen Freunde reichlich beschenkt mit Bänden, die schon bald zum Grundstock der landeskundlichen Bibliothek in Aylmer/Kanada, gehören werden. Von der großzügigen Spende waren unsere Gäste stark beeindruckt und entzückt; sie meinten, die wertvollen Bücher – die ja sonst nicht frei erwerblich sind – werden ihre Erzählungen und Schilderungen vom Großen Sachsentreffen 2024 wunderbar ergänzen und nachhaltig untermauern.
Die kanadisch-transsilvanische Begegnung unter dem sprichwörtlichen und tatsächlichen Dach des Forums hat Klausenburger wie Aylmerer gleichwohl motiviert und ermutigt, sich von der zahlenmäßigen Dimension ihrer Vereine nicht entmutigen zu lassen, und sich auch zukünftig, allen Vorzeichen zum Trotz, für das Weiterbestehen unseres Kulturerbes einzusetzen. Erste Ideen und Gedanken zu einer möglichen Partnerschaft zwischen den beiden Gruppen wurden ebenfalls angesprochen, ein regelrechter Austausch muss aber vorerst auf spätere (virtuelle) Treffen über den Großen Teich hinweg vertagt werden. Eins ist sicher: Der unmittelbare, informelle Austausch zwischen einzelnen HOGs, Forumsgliederungen, Blaskapellen, so wie Erstbegegnungen zwischen einzelnen Teilnehmern fallen vielleicht weniger in die Waage bei den Berechnungen der sicherlich spektakulären Statistiken, die wir in den nächsten Ausgaben der siebenbürgischen und deutschen Presse bald nachlesen werden; ihre Bedeutung ist aber viel größer, als irgendwelche Zahlen darauf schließen lassen. Das verleiht Flügel und gibt Kraft und Freude, an der ganzen Veranstaltung teilzunehmen, wie ein kräftiger Schluck aus der Zaubertrankflasche. Sollten wir die nächsten Male noch öfter tun!
Peter LÁSZLÓ-HERBERT