Ausgabe Nr. 2868
Zu Dagmar Dusils ,,Das Geheimnis der stummen Klänge“

Dagmar Dusil: Das Geheimnis der stummen Klänge, Roman, Pop Verlag Ludwigsburg 2024, 220 Seiten, ISBN 978-3-86356-394-3. 21 Euro/105 Lei. In Hermannstadt in der Schiller-Buchhandlung und im Erasmus-Büchercafé erhältlich.
Nach Erzählungen u. a. über Erlebtes in ihrer Jugend („Blick zurück durchs Küchenfenster”) und Geschichten, die sich um Katzendorf drehen, das Dorf im Osten Siebenbürgens, in dem sie 2018 als fünfte „Dorfschreiberin“ gelebt hat, schreibt die in Hermannstadt geborene Autorin Dagmar Dusil nun ihren ersten Roman. Es geht um die achtziger Jahre in Rumänien und um Musik, genauer: Klaviermusik, an der sich eine unglaubliche Geschichte entlangrankt.
Im Zentrum steht Clara, eine junge Ärztin aus Hermannstadt, die aber inzwischen in Deutschland, in Bamberg, lebt und mit ihrem alten Leben in Rumänien abgeschlossen hat. Sie war dort als junge, hochbegabte Pianistin bei einem Wettbewerb gescheitert, woraufhin sie das Klavierspiel abrupt aufgegeben hatte.
Weitere Personen des Romans sind ihre Eltern, ein Künstlerpaar – Malerin und Cellist -, der ehemalige Klavierlehrer und eine namhafte rumänische Pianistin, die bei dem für Clara so lebenswichtigen Klavierwettbewerb den Jury-Vorsitz innegehabt hatte.
Dass Dagmar Dusil Erfahrung gesammelt hat, kurze Geschichten anschaulich zu erzählen, ist bald zu erkennen: Jedes Kapitel steht für sich – erst allmählich werden die einzelnen Teile und individuellen Lebenswege miteinander verknüpft. Dabei wird eine Erzähltechnik angewandt, die aus der Gegenwart in die Vergangenheit führt, nämlich in die besagten achtziger Jahre. Alles geschieht von heute aus gesehen in der Erinnerung, dementsprechend trägt jedes von sechs Kapiteln als Überschrift einen Gedanken über diesen Begriff „Erinnerung“. Erst im siebten und letzten Kapitel fehlt so etwas – aus gutem Grund.
Die Geschichte von Clara und den übrigen Protagonisten ist flüssig erzählt, sie liest sich unangestrengt und der harmlose Leser fragt sich bis zur Mitte des Buches, was aus all dem werden soll. Es geht um ein adoptiertes Kind, um das Verhältnis zwischen rumänischen und deutschen Bürgern in all ihren so unterschiedlichen Gewohnheiten, um die Liebe zur Musik. Dann nimmt die Geschichte aber Fahrt auf, führt in die Gegenwart und gewinnt enorm an Spannung. Wer dagegen von Anfang an mit kriminalistischer Aufmerksamkeit liest, nimmt so manchen Hinweis wahr, der eine wichtige Rolle spielen wird. Über den Ausgang soll hier nichts verraten werden – die Pointe muss wie bei einem guten Kriminalroman verschwiegen bleiben.
Dreh- und Angelpunkt für den Roman ist das Klavierspiel, und da sind es insbesondere zwei Konzerte, die eine zentrale Rolle spielen, die man heutzutage nur noch selten zu hören bekommt: Das zweite Klavierkonzert von Franz Liszt und das Klavierkonzert fis-moll von Alexander Skrjabin. Daneben spielt noch die Musik von Schubert eine gewisse Rolle, vor allem, wenn sie im Kapitel über Katzendorf (das Dagmar Dusil ja genau kennengelernt hat!) einen Dichter zu der Bemerkung veranlasst: „Schubert, der in seinen Sonaten die Töne einfach leben, sie in einen Wald ohne Wege laufen, sie einfach geschehen läßt.“ Man merkt, dass die Autorin sich in der Klaviermusik gut auskennt, schließlich ist sie seit vielen Jahren und bis heute in der Organisation des Internationalen Carl Filtsch-Klavierwettbewerbs in ihrer Heimatstadt engagiert. Ihr Satz über Schuberts Musik verrät, wie sehr die Musik für sie die Musik der Romantik ist, in der Emotionen eine bedeutende Rolle spielen. Das erklärt auch die Wahl der Konzerte von Liszt und Skrjabin, wobei sie bei aller Schwärmerei sich nicht verkneifen kann, ihre auch sachlichen Kenntnisse speziell mit Skrjabin herauszustellen: So wird der „Prometheische Akkord“ wie unter Kennern ohne weitere Erläuterung erwähnt – ein komplizierter Akkord, der im „Prometheus“ von Skrjabin vorkommt.
Dagegen beschreibt Dusil anderes umso ausführlicher, insbesondere die unheimliche Arbeit des rumänischen Geheimdienstes Securitate. Besonders an dieser Stelle erhebt sich dann doch die Frage, an welche Leser Dusil sich richtet: Einerseits setzt sie Vertrautheit mit dem Leben in Rumänien voraus und wie es die dort Lebenden kennen, andererseits wendet sie sich immer wieder mit Erklärungen an ein offensichtlich westliches Publikum, das die Hintergründe nicht ohne weiteres verstehen kann.
Der Titel des Romans weist auf etwas hin, das eine zentrale Rolle spielen wird: Clara spielt nach dem verunglückten Wettbewerb zwar nicht mehr Klavier, sie verweigert sich allen Erwartungen, so ganz kann sie die schwarzen und weißen Tasten aber nicht loslassen, sondern übt weiter auf einer aufgemalten Tastatur, was auf dem Höhepunkt der Geschichte entscheidend wird. An diesem Höhepunkt wandelt sich der Roman, der bis dahin ganz der Realität verhaftet ist, zur Fiktion. Ohne sie wäre der Ausgang der Geschichte nicht möglich. Mit einem Epilog führt uns Dagmar Dusil denn auch zurück ins Heute und auf den Boden der Tatsachen. Elisabeth DECKERS