Michelsberg im 20. Jahrhundert

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Ausgabe Nr. 2831

Erfolgreicher Abschluss

Unser Bild: ,,Geschichten aus der Geschichte“ von Michelsberg im 20. Jahrhundert erzählte Kurator Michael Henning (rechts) im Dialog mit Pfarrer Zorán Kézdi. Foto: Beatrice UNGAR

Mit dem achten Konzert der Reihe ,,Michelsberger Spaziergänge“, geboten von dem Ensemble Couleurs aus Klausenburg und einem Dialog zur Geschichte von Michelsberg im 20. Jahrhundert sind am Sonntag die Veranstaltungen zum 800. Jubiläum der Michelsberger Burg teilweise abgeschlossen worden. Lesen Sie mehr dazu auf den Seiten 5 und II. Weitere zwei Veranstaltungen, die ebenfalls auf der Michelsberger Burg geplant sind, stehen allerdings ebenfalls im Zeichen der 800 Jahre seit der ersten urkundlichen Erwähnung von Michelsberg: Am Sonntag, dem 3. September, 18 Uhr, findet eine orthodoxe Abendandacht statt und am 29. und 30. September veranstaltet der Reenactment-Verein Anacronism erneut ein Michaelsfest.


,,Wir haben nicht wirklich ein Skript. Das 20. Jahrhundert ist ein komisches Jahrhundert. Weil wir das Jahrhundert aus den Geschichten unserer Großeltern, Tanten, Onkel, unserer Eltern und wir das zum Teil erlebt haben. Da fällt es leichter zu erzählen oder wie empfindest du das?“ So lautete die erste ,,Impulsfrage“ von Pfarrer Zorán Kézdi an Kurator Michael Henning bei dem Dialog im Anschluss an das letzte Konzert der Reihe ,,Michelsberger Spaziergänge“ am Sonntag auf der Michelsberger Burg. Da Pfarrer Kézdi eingangs erklärt hatte, dass alle acht Vorträge zu den acht Jahrhunderten seit der ersten urkundlichen Erwähnung der Michelsberger Burg in einem Sammelband veröffentlicht werden – die deutschen gekürzten Fassungen der ersten sieben sind in der HZ erschienen – lesen Sie im Folgenden Auszüge aus dem Dialog.
Zunächst aber die einführenden Worte von Henning: Zuallererst will ich sagen, dass ich glücklich bin. Spätestens heute ist Michelsberg in der Moderne angekommen. In den drei Wochen, in welchen Künstler aus aller Welt Kunst in Michelsberg hergestellt haben. Mit diesem fantastischen Konzert heute, moderner Musik, Vogelgezwitscher, begleitet von Instrumenten. Was will man mehr. Ich weiß nicht, ob das den Michelsbergern allen gefällt, aber Michelsberg ganz bestimmt. Das wird auch eine Geschichte sein, wenn man 850 Jahre Michelsberg feiert oder hoffentlich noch 900.
Kézdi: Zurück zum 20. Jahrhundert…
Henning: Man sagt, das 20. Jahrhundert ist ein fürchterliches Jahrhundert gewesen. Das 17. Jahrhundert war angeblich auch ein fürchterliches Jahrhundert. Aber auch im 17. Jahrhundert hat man das überlebt und ich hab die Hälfte meines Lebens in diesem fürchterlichen 20. Jahrhundert gelebt und ich hatte nie in meiner Kindheit oder Jugend den Eindruck, ich lebe in einem fürchterlichen Jahrhundert.
K.: Erster Weltkrieg – Michelsberger Soldaten im Wehrdienst kämpfen an der Front in ganz Europa für den Kaiser…
H.: Ich glaube nicht, dass irgendein Michelsberger wusste, wie es um das Kaiserreich stand. Aber sicherlich waren die Michelsberger dabei, nicht weil sie für den Kaiser kämpfen wollten, sondern weil sie ihren Militärdienst ableisten mussten. Hinter der Dorfkirche neben dem Turm sind auf einem Gedenkstein die Namen der Michelsberger aufgeschrieben, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind, verwundet wurden oder gestorben sind.
K.: Im Sommer 1916 setzen rumänische Soldaten über die Karpaten und besetzen Hermannstadt und Umgebung, auch Michelsberg. Die Bevölkerung wird aufgefordert, sich passiv zu verhalten. Nach wenigen Wochen werden die rumänischen Truppen von österreichich-bayerischen Truppen vertrieben…
H.: Aber nicht für lange Zeit, denn 1921 fiel Siebenbürgen an Rumänien und die neue rumänische Verwaltung kam nach Michelsberg. Und weil das Dorf immer schon arm war, hatte es keinen Raum dafür. So wurde für den rumänischen königlichen Notar, den verlängerten Arm der Bukarester Verwaltung, eine Kanzlei gebaut, die doppelt so groß ist wie das evangelische Pfarrhaus, das größte Haus im Ort. In der ehemaligen Kanzlei befindet sich heute ein Dorfmuseum. Übrigens: In der Notarswohnung befand sich das erste WC in Michelsberg.
K.: Durch die Agrarreform von 1921 verliert die Kirche einen großen Teil ihres Eigentums, besonders die „Sieben Richter Waldungen“. Dadurch bricht die Finanzgrundlage für die Erhaltung der Schulen weg.
H: In Michelsberg hat man es nicht gleich gespürt, weil die Schulen durch Spenden finanziert wurden. Schlimm wurde es 1929, als auch die reichen Leute die Weltwirtschaftskrise mitgekriegt haben, folglich die Spendenfreudigkeit abnahm, und die Kirchensteuer für die Michelsberger verzehnfacht wurde. Das muss man sich mal vorstellen. Es entstand ein Groll gegen die evangelische Kirche. Und durch die Unzufriedenheit sickerte dann auch in Michelsberg braunes Gedankengut ein oder wurde manifest. Es wurde umso mehr getanzt und Trachten getragen. So wurde man eingestimmt auf die Zeit, die kommen würde. Und dann kam die Zeit. Der Zweite Weltkrieg. Schon 1941/1942 gab es Gerüchte, dass die Burschen ihren Militärdienst in der deutschen Wehrmacht ableisten würden. Offiziell wurde es 1943. Die jungen Burschen kamen dann in die Waffen-SS. Und dann kam der Moment, wo die Burg auch dabei war. 1943 wurden Gebeine der 1916 bei der Schlacht bei Hermannstadt gefallenen Soldaten auf die Burg gebracht, weil die Nationalsozialisten ein Walhalla für die deutsche Tapferkeit errichten wollten. Und dann kam ein Jahr später, genauer am 23. August 1944 das Ende, den Reichsadler über dem Westportal der romanischen Basilika auf der Burg entfernen beherzte und kluge Michelsberger selbst.
K.: Am 13. Januar 1945 wird die arbeitsfähige Bevölkerung deutscher Ethnie zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt.
H.: Wie hat das technisch stattgefunden? Man hat einfach gesagt: Am Freitag versammeln sich alle Frauen und Mädchen zwischen 18 und 35 Jahren und Männer zwischen 18 und 45 an der Kanzlei, am heutigen Museum. Und da wurden sie zur Sammelstelle transportiert. Es haben sich nur 10-12 Mädchen versteckt, die 17 Jahre alt waren und Angst hatten, dass man sie auch schnappt. Dann kam 1945 auch die Enteignung und dann sollten 100 rumänische Familien aus Rășinari eigentlich auch die Häuser der Siebenbürger Sachsen übernehmen. Aber es war niemand da, der die Häuser übernehmen wollte. Dann wurde der Bürgermeister eingesperrt und man stellte ihm ein Ultimatum: In einer Woche sollten 100 Familien die Häuser besetzen und das hat er dann irgendwie geschafft. Es kam aber zu einer Schlägerei und alle mussten zurück. Dann wurde der Michelsberger Kirchenvater eingesperrt in Hermannstadt und windelweich geschlagen. Er wurde halbtot zurückgebracht, damit man sieht, was passiert, wenn man sich widersetzt. 1946 kamen dann Kolonisten aus Rășinari und es folgt eine ganze Odyssee von fünf Jahren, wo man dann versucht hat, miteinander auszukommen. Mehr schlecht als recht. Nach 1950 – 1949 waren die überlebenden Michelsbergerinnen und Michelsberger aus der Deportation heimgekehrt – waren nur noch 3 rumänische Familien im Dorf. Diese Episode ist ein Trauma für die Michelsberger.
K.: Nach Stalins Tod 1953 stellt sich eine relative Normalität ein, Nachbarschaften funktionieren wieder, innerhalb der LPG gibt es eine Handwerksgenossenschaft (cooperativa), die Schuhe aus Stroh und Maisblättern herstellt, ab 1965 gehen die Michelsberger nach Heltau in den Fabriken arbeiten, erhalten sichere Gehälter.
H.: Und 1964 wird die Burg restauriert. Die Michelsberger haben ,,unsere Burg“ gesagt, aber eigentlich hatten sie wenig am Hut mit dieser Burg. Das änderte sich in den 70er Jahren. Wo sehr viel mehr verdient werden konnte. Wo man anfing Häuser zu renovieren. Wo man Badezimmer einrichtete. Waschmaschinen installierte. Man hatte einen Pfarrer. Ein Kulturhaus. Dann hat man sich wieder auf die Burg besonnen.
K.: 1982 erfolgte der Besuch von Bundespräsident Carl Carstens und dann eine vom rumänischen Staat geförderte Auswanderung, um die ethnische Zusammensetzung zu ändern.
H.: Das war ein absolutes Event und die Folge war, dass die Parteichefs in Bukarest aufmerksam wurden, dass es ein Dorf gab, dass nur von Sachsen bewohnt wurde. Dem sollte Einhalt geboten werden. Hatten bis dahin kaum Michelsberger die Auswanderung nach Deutschland beantragt, wurden es immer mehr und in deren Häuser durften nicht Michelsberger einziehen, sondern Rumänen. Diese Leute haben ihre Kinder in die deutsche Schule geschickt und alle sprachen nach einem halben Jahr sächsisch, dann deutsch. Die Rumänen sind perfekt integriert worden. Die große Auswanderungswelle schwappte dann 1990-1991 über das Dorf. Von 1000 Einwohnern verblieben 200. Fürchterlich: Wir mussten uns selbst neu finden und heute kann ich sagen: Wir haben viel Zukunft erlebt und Wunder.
K.: Tatsächlich: Ende der 90er stabilisiert sich die evangelischen Kirchengemeinde, 2012 wird die evangelische Dorfkirche aus dem Erlös des verkauften Gemeindesaales renoviert. Neue Siedler suchen Ruhe und Erholung in Michelsberg, in den ehemaligen Obstgärten wird viel gebaut, Michelsberg wird ein Luftkurort wie zur Zeit von Baron Brukenthal. Es entsteht eine orthodoxe Kirche vor Ort.

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