Ausgabe Nr. 2831
Brauchtumsveranstaltung und Pantomime bei den Kulturtagen in Agnetheln
Eine Brauchtumsveranstaltung stellte den Abschluss der Kulturtage der Stadt Agnetheln vom 11.-13. August dar, weil die Zuschauer, die vorher die evangelische Kirche gefüllt hatten, wo es freilich auch rumänische Übersetzung von Bogdan Pătru gab, im sonnigen Kirchhof nicht nur den Klängen der Blasmusik lauschten, sondern auch tanzten. In mehreren Kreisen, angeleitet von Ioan Sârbu und einigen rumänischen Trachtenträgerinnen, wurde die „Hora prieteniei“ getanzt, zusammen mit Bürgermeister Alin Schiau-Gull, der Direktorin des Kulturhauses Doina Părău und Andrea Schiau-Gull, der Kuratorin der Agnethler evangelischen Kirchengemeinde.
Begonnen hatten die Kulturtage am Freitag mit einem Festzug, der sich aus Trachtenträgerinnen und Trachtenträgern und allen an den Kulturtagen aktiven Künstlerinnen und Künstlern und Würdenträgerinnen und Würdenträgern speiste. Eine große Gruppe Rosler in siebenbürgisch-sächsischen Volkstrachten verstärkten die aus Deutschland angereisten Theaterspieler. Angeführt von der Stuttgarter Blaskapelle zog der Festzug zur reformierten und zur orthodoxen Kirche, wo jeweils ein Ständchen und eine Plakette überreicht wurden.
Die Plakette hat die Form eines ehemaligen Agnethler Nachbarschaftszeichens und trägt die Inschrift „Das Kulturerbe ist der Reichtum unserer Gemeinschaft.“ Doris Hutter überbrachte in historischer Kleidung als Geselle den Gruß des Verbands der Siebenbürger Sachsen und der Heimatortsgemeinschaft (HOG) Agnetheln, es sprachen die beiden Pfarrer und ein Vertreter des Kreisrats Hermannstadt, der Agnetheln für die vorbildliche Zusammenarbeit dieser vielfältigen, auch konfessionell unterschiedlichen Akteure lobte und beglückwünschte. Peter Wagner, Zunftmeister in Geretsried, überbrachte den Gruß der Urzeln aus Bayern, seitens des Agnethler Urzelnzunft-Vereins sprach Ionuţ Mihăilă. Es folgten sehr anspruchsvolle Darbietungen auf der Bühne im Hof der Kirchenburg, gefolgt von einem Ball unter freiem Himmel. Das Wetter war optimal, um die Kirche duftete es nach „mici“, es wurde bis weit nach Mitternacht getanzt.
Am Samstag wurde in Roseln durch Bischof Reinhart Guib die renovierte Kirche neu eingeweiht, ein sehr emotionaler Gottesdienst. Alle zwei Stunden pendelten kostenlose Busse zwischen Agnetheln und Roseln, ein Service der Stadt, die dadurch die Einweihung mit dem Programm der Kulturtage vereinbar machte. In der Agnethler Kirchenburg hatten sich, organisiert von Horst Graef, an den Türmen verschiedene Handwerker eingestellt. Am Schusterturm zeigten sie, wie Schuhe gemacht wurden, am Schneiderturm wurden Wolle und Fäden kunstvoll verarbeitet, am Schmiedeturm konnte man sich Anhänger aus Eisen schmieden, am Fassbinderturm waren Holz und Nägel das Material zum Formen und Klopfen. Die Schulen hatten Bastelmaterial vorbereitet, es gab Teppiche, Lampen aus Wolle und Filz, Natur-Lebensmittel zu kaufen und die Lole hatten an ihrem Stand sogar das Bärenfell ausgestellt.
Das Kulturprogramm war wieder sehr bunt, von Blasmusik über Tänze und Gesang bis zur Pantomime. Ingrid Hausl aus Augsburg, Agnethlerin und ausgebildeter Clown, präsentierte mit der Hälfte des Bayerischen Ensembles, darunter fünf Kindern, Ausschnitte aus dem Alltag einer Gesellenwerkstatt. Das Stück „Das wird teuer, lieber Geselle!“ kam als Pantomime ohne Sprache aus und erntete viele Lacher im Publikum. Hier kamen einige Zunftregeln zur Sprache, die Gesellen einhalten mussten. Ansonsten drohten Strafzahlungen in die Gesellenlade. Wer z. B. bei den Besprechungen, „Zugang“ genannt, oder beim Kirchgang fehlte, musste Strafe zahlen. Ebenso bei Schlägereien oder Besäufnis. Solche Strafen auf komische Art zu präsentieren und das vom Gesellenvater eingeforderte Gesellenstück als unerwartetes Kunstwerk zu verfremden, ist das Verdienst von Ingrid Hausl, die Regie führte und selber mitspielte. Großes Lob den fünf Kindern im Alter von gut vier bis knapp 14 Jahren, die ihre Rollen einwandfrei spielten: Laura Rehm, Sarah und Tim Balzereit aus Nürnberg sowie Severin und Samuel Hausl aus Augsburg.
Zurück zur Brauchtumsveranstaltung: 1484 wird die Schusterbruderschaft in Agnetheln erstmals erwähnt, die Schusterzunft gilt als die älteste und stärkste in Agnetheln. 1900 hatte sie 225 Meister. Die Schneiderzunft ist auch etwa so alt. Die von Doris Hutter zusammengestellte Brauchtumsveranstaltung ist angelehnt an die Aufzeichnungen im Buch „Summa 1900. Aus der Vergangenheit und Gegenwart des königlich freien Marktes Agnetheln“, Neuausgabe von Horst Fabritius, und beschreibt anhand der Schneiderzunft die „Heilige Zeit“ in Agnetheln. So heißt die Zeit, in der die drei Zunfttage abgehalten wurden.
Es lag nahe, das Thema „Zünfte“ aufzugreifen, da in den Türmen der Agnethler Kirchenburg eine Dauerausstellung zu Handwerk, Zünften, Urzeln eingerichtet und im Mai 2023 eröffnet worden ist. Der Agnethler Urzelbrauch geht auf die Zünfte und das Forttragen der Bruderschaftslade der Gesellen zurück, also rief Doris Hutter die Urzeln auf, mitzumachen, um die drei Zunfttage wieder aufleben zu lassen. Dem Ruf folgten 25 Urzeln, die meisten aus Bayern und einige Lole aus Agnetheln. Die Darsteller bildeten das Theaterensemble 2023 des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Landesverband Bayern unter der Leitung von Doris Hutter, die für Text und Regie des Theaterstücks „Drei Agnethler Zunfttage“ verantwortet, das am 13. August in der Agnethler Kirche aufgeführt und live gestreamt wurde.
Am ersten Zunfttag wurden, nach Rechnungslegung in den Zünften, die neuen Zunft- und Schaumeister sowie die neuen Gesellenväter gewählt, wonach gefeiert wurde. Eine Woche später wurde die Zunftlade vom alten zum neuen Zunftmeister getragen, was wieder Anlass zum Feiern gab. Der dritte Zunfttag war bei den Agnethlern der beliebteste, weil das Ladenforttragen zum neuen Gesellenvater i. d. R. von den Urzeln begleitet wurde.
Heuer wurde die „Heilige Zeit“ der Schneiderzunft präsentiert, es machten Rösslein und Mummerl der Asociația Breasla Lolelor (Agnethler Urzelnzunft-Verein) sowie die Blaskapelle der Siebenbürger Sachsen Stuttgart unter der Leitung von Hans-Otto Mantsch mit, und die Zuschauer in der Kirche wurden Teil des Umzuges, der nicht wie früher zum neuen Gesellenvater führte, sondern beim Schneiderturm endete, wo nach dem traditionellen Tanz des Schneiderrössleins auch das Siebenbürgenlied, begleitet von der Kapelle, gesungen wurde.
Ich danke auch den Darstellern Horst Wellmann (Dinkelsbühl), Hiltrud und Heinz Oczko-Theiss sowie Georg Hutter (Herzogenaurach), Günther Folberth (Achern), Kerstin und Peter Wagner (Geretsried), Ilse Buchholzer, Heide Rehm, Karin und Nico Balzereit (Nürnberg), Ingrid und Sebastian Hausl (Augsburg) für ihre Auftritte während dieser Tage, für den Transport der Kulissen, Requisiten, ebenso der Stuttgarter Blaskapelle und dem Agnethler Urzelnzunft-Verein für das Mitmachen, dem Kulturhaus für die Technik, der Stadt Agnetheln für die Einladung und die Festessen an die Aktiven, der evangelischen Kirchengemeinde für die Bereitstellung von Räumen und Requisiten und nicht zuletzt dem Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen, das diese Kulturreise aus Mitteln des Bayerischen Sozialministeriums bezuschusst hat.
Diese in der Brauchtumspflege erlebte Gemeinschaft über Grenzen hinweg bereichert nicht nur uns selbst, sondern auch die Orte, wo Kulturerbe erkannt und aufgegriffen wird.
Doris HUTTER