Christopher Nolans neuer Spielfilm ,,Oppenheimer“ im Kino
Ausgabe Nr. 2828
Am 21. Juli feierte der neue, langersehnte Film ,,Oppenheimer” vom Starregisseur Christopher Nolan seinen Kinostart. Das Biopic-Drama, welches das Leben des ,,Vaters der Atombombe” – dem Physiker J. Robert Oppenheimer – porträtiert, konnte schon nach zehn Tagen beachtliche Erfolge vorweisen. Rekordverdächtige 400 Millionen Dollar spielte der Film rund um das Starensemble mit Robert Downey Junior, Matt Damon, Emily Blunt und Hauptdarsteller Cillian Murphy zum Start ein und erschafft mit dem simultan erschienenen ,,Barbie”-Film eine große Euphorie unter Kinogängern. Zurecht?
,,Oppenheimer” ist vor allem eins: Groß. Von imposanten Aufnahmen und bildgewaltigen Explosionen bis hin zu wabernden Bässen und knochenmarkerschütternden Knallen liefert das Filmepos allein durch das bloße Konstrukt ein Ergebnis, das einer großen Leinwand würdig ist und Cineasten euphorisch an die Sitze fesselt. Aufgrund Christopher Nolans Affinität, den technischen State-of-the-Art auszureizen, wurde neben der hochmodernen Kombination aus IMAX-65 und einem 65-mm-Film, ein von Kodak speziell entwickelter Schwarzweiß-Analogfilm produziert, wodurch Oppenheimer das erste Werk ist, das unter dieser Technologie zumindest partiell unsaturiert gedreht und ausgespielt wurde.
Diese Rahmenbedingungen erlauben es, das Leben und Schaffen Oppenheimers optimal in Szene zu setzen. Bei einer beachtlichen Laufzeit von drei Stunden wird die detaillierte Geschichte erzählt, die in Nolan-Manier durch etliche Zeitsprünge und szenische Abgrenzungen dynamisch gehalten werden soll, aber nicht die zeitgeschichtliche Kohärenz vernachlässigen darf. Dies gelingt jedoch nicht vollständig, wodurch der Film nicht ohne Längen auskommt und auch gerade in der ersten Stunde sehr ambivalent auf die Zuschauenden wirkt. Die gesamte Ouvertüre des Films ist sehr chaotisch, undurchsichtig und überfordert den Zuschauer durch etliche Szenenwechsel in Schwarzweiß und Farbe sowie den sehr vielen Namen, die in kürzester Zeit fallen und vom Zuschauer verinnerlicht werden müssen. Im Reziprok dazu wird jedoch auch hier Oppenheimers versatiles, turbulentes Leben verdeutlicht, wodurch diese Dynamik zumindest inhaltlich ein geeignetes Äquivalent zum Wissenschaftler darstellt.
Im Vordergrund steht das ,,Manhattan-Projekt” – die Entwicklung einer atomaren Waffe im Wettlauf gegen den Nationalsozialismus und den Kommunismus. Das Hauptmotiv soll aber nicht primär die dokumentarische Darstellung der Entstehung der Atombombe sein. Vielmehr möchte der Film die Frage der Moral stellen – die innere Zerrissenheit des Forschungsleiters Oppenheimer von einem Projekt, das notwendig scheint, aber gleichzeitig mit einem Einsatz jener Entwicklung das schreckliche Ableben abertausender Menschen und einer weltbedrohlichen militärischen Gefahrenlage bedeutet. Und hierfür bedarf es keiner großen Reden.
Cillian Murphy als J. Robert Oppenheimer gelingt durch eine hervorragende schauspielerische Leistung allein durch seine Mimik und Präsenz, diametrale Emotionen auf der Leinwand bedeutungsstark zu manifestieren: Trauer und Frust, Zweifel und Angst, Hoffnung und Verzweiflung. Alle durchlebten Facetten Oppenheimers werden vom Zuschauenden alleine beim Anblick auf einen innehaltenden Cillian Murphy mit seinen markanten Gesichtszügen aufgefangen.
Auch der Realismus, welcher von Nolan preziös angestrebt wird, ist ein Aushängeschild, der schon in seiner Filmografie des Öfteren zu sehen war. In dem amerikanisch-britischen Science-Fiktion-Spielfilm ,,Interstellar“ stieß die realitätsgetreue Explosion eines Raumschiffs im All einige Zuschauende vor den Kopf. Statt lauter Klänge wurde eine tonlose Detonation im Kinosaal beobachtet – ganz nach der physikalischen Richtigkeit.
So auch in ,,Oppenheimer“, als alles nach großen, weit entfernten Explosionen in nervenzehrender Stille versinkt, bis letztendlich die Schockwelle den Ort des Geschehens und somit auch die Lautsprecher des Kinosaals erreicht.
Normalerweise ein Detail, dem andere Regisseure keine Beachtung schenken.
,,Oppenheimer“ ist ein Film, der vieles vereint – eine interessante und detaillierte Aufarbeitung eines relevanten, zeitgeschichtlichen Abschnittes; eine hervorragende cinematische Erfahrung mit beeindruckenden Bildern und intensiver Akustik; Oscar-würdige schauspielerische Leistungen und die von Ludwig Göransson komponierte, pittoreske Filmmusik. Eine Symbiose, die einen Kinogang sehr lohnenswert macht und über einige wenige Schwächen hinwegsehen lässt.
Robert MILITZ
J. Robert Oppenheimer (1904-1967) soll kurz vor seinem Tod sinngemäß erklärt haben: „Niemand empfindet die erdrückende Last der Verantwortung so sehr wie derjenige, der an der Nutzung der Atomenergie für militärische Zwecke mitgearbeitet hat. Nie dürfen wir vergessen, dass diese Waffen uns das unmenschliche Sze-na-rio dessen geboten haben, was heute Krieg bedeutet: entsetzliche Grausamkeit! Die Erfinder der Atombombe konnten erfahren, was Sünde ist. Weder Gefühllosigkeit noch Galgenhumor noch große Reden können diese Entdeckung verbergen. Es ist eine Erfahrung, die nicht mehr ausgelöscht werden kann.“
Regisseur Christopher Nolan im Interview mit Patrick Heidmann: ,,Mein Film ist ein Versuch, die Menschen ein paar Stunden lang in Oppenheimers Kopf verbringen und so ein gewisses Verständnis für ihn entwickeln zu können. Am Ende soll man sich kein Urteil über ihn bilden, aber vielleicht verstehen, wer er war und warum er sich so verhalten hat. Die teilweise unangenehmen Fragen, die mit seinem Handeln und den Konsequenzen daraus zusammenhängen, nimmt man im Idealfall mit nach Hause.“ (Berliner Zeitung, 16. Juli 2023, https://www.berliner-zeitung.de)