Was nach den Wolken kommt

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Ausgabe Nr. 2820

Die sechs Besten bei der diesjährigen Landesphase des Schülerwettbewerbs im Fach Deutsch als Muttersprache erhielten je ein HZ-Jahresabonnement als Sonderpreis. Es handelt sich um Sophie Dahinten, Mühlbach, 7. Klasse, Nora Lucia Zoe Becker, Arad, 8. Klasse, Maria Măndăchescu, Bukarest, 9. Klasse, Martin Arvay, Kronstadt, 10. Klasse, Paula Dörr, Hermannstadt, 11. Klasse und Isabella Hoffmann, Neumarkt, 12. Klasse.

In dieser Ausgabe lesen Sie den Aufsatz von Paula Dörr (Samuel-von-Brukenthal-Gmymnasium, Hermannstadt), die folgende Aufgabe zu lösen hatte: Verfasse ausgehend von dem Zitat einen Text. Finde eine passende Überschrift. „Man kann davon überzeugt sein, sich etwas zu wünschen – vielleicht jahrelang – solang man weiß, dass der Wunsch unerfüllbar ist. Steht man plötzlich vor der Möglichkeit, dass der Wunschtraum Wirklichkeit wird, dann wünscht man sich nur eins: Man hätte es sich nie gewünscht.” Michael Ende

 

Was nach den Wolken kommt

Sie dreht den Schlüssel um, der Motor fängt an zu brummen. Vor ihr breitet sich ein Meer von kleinen, leuchtenden Knöpfen aus. Irgendetwas beginnt zu piepen. Mit selbstbewussten Bewegungen fliegen ihre Finger über das Armaturenbrett und drücken auf scheinbar aleatorische Tastenkombinationen. Das Piepen hört auf. Sie führt das Mikrofon an ihren Mund: „Sehr geehrte Damen und Herren, ich heiße Maike Springer und werde heute Ihre Pilotin sein.“ Es folgen eine Reihe von auswendiggelernten Floskeln, die einfach dazugehören. Sie nickt ihrem Kopiloten kurz zu, als sie das Mikrofon wegdreht. Dann, endlich nur sie und die gewaltige Maschine. Sie atmet tief ein und lächelt, während das Flugzeug startet.

Sie hatte auch gelächelt, als ihre Oma ihr erzählte, dass sie schon immer fliegen wollte. Sie hatte ihre Oma gefragt, warum sie denn nicht zu einer Pilotenschule gegangen sei. Oma hatte abgewunken und gesagt: „Dafür bin ich jetzt zu alt, jetzt warte ich nur noch auf meinen letzten Flug ´gen Himmel.“ Die kleine Maike verstand das nicht, runzelte die Stirn und zerrte ihre Oma zum Spielen.

Ihr war nicht mehr nach Spielen, als sie einige Zeit später vor dem Grab ihrer Oma stand. Ratlos starrte sie die Erde an. Sie drehte sich zu ihrer Mutter und sah, dass sie ein Blatt Papier in der Hand hatte. Kurz darauf hatte sie einen Papierflieger gefaltet, blickte erneut auf das Grab. Dann ließ sie das kleine Flugzeug zu ihrer Oma gleiten. Maike kehrte zu ihrer Mutter zurück, nahm ihre Hand und flüsterte: „So jetzt hat sie ein Flugzeug zum In-den-Himmel-fliegen.“

Als Maike ein wenig später älter wurde, durfte sie in den Kindergottesdienst gehen. Da hörte sie von Jesu Himmelfahrt und war glücklich. Ihre Oma hatte Recht gehabt: Es ist möglich in den Himmel zu fahren und zu fliegen.“

Beim Mittagstisch offenbarte Maike ihren Eltern: „Ich möchte fliegen!“ Ihre Mutter lachte und ihr Vater sagte: „Dann kannst du ja zu einer Pilotenschule gehen.“

Das tat Maike auch. Die Zeit war vergangen, vieles hatte sich verändert, dieser Wunsch blieb aber gleich. Sie hatte viel dafür gearbeitet und jetzt zahlte es sich endlich aus.  Dies war ihr erster Flug als fertig ausgebildete Pilotin. Und während sie mit dem Flieger über die Wolken sauste, überkam Maike eine Euphorie, die sie so noch nie gespürt hatte. Sie hatte fliegen gelernt und war wie  ihre Oma und Jesus ‚gen Himmel gefahren. Jetzt schwebte sie durch die Atmosphäre und konnte kaum begreifen, dass es sie so glücklich machte, über den Wolken zu sein. Sie hatte ihren Wunsch erfüllt.

Je näher sie der Erde kam, desto schneller ließ die Fülle der Empfindungen nach. Bei der Landung des Flugzeugs lächelte sie noch. Sie führte das Mikrofon an ihren Mund und sagte ihr Gedicht auf. Als sie es wegdrehte, lächelte sie nicht mehr. Während sie darauf warteten, dass die Passagiere das Flugzeug verließen, überkam Maike ein Gefühl von Leere. Sie starrte auf die Bahn vor sich, etwas ratlos. Sie parkten das Flugzeug und gingen in den Flughafen. Maike war überrascht, dass ihre Eltern vor den großen Glastüren auf sie warteten. „Herzlichen Glückwunsch unserer Pilotin!“, sagten sie und reichten ihr einen großen Blumenstrauß. „Hast du jetzt endlich deine Oma besuchen können?“ Maike nickte und umarmte ihre Eltern. Dann lächelte sie darüber, dass sie die Leere ihrer neuen Richtungslosigkeit mindestens mit schönen Blumen schmücken konnte.

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Schule.