Interdisziplinäre Untersuchung zur modernen Kultur der Deutschen im Banat
Ausgabe Nr. 2822
Das Banat ist eine der multikulturellen und multiethnischen Regionen Rumäniens par excellence, wie auch Siebenbürgen oder die Dobrudscha. Der vorliegende Band will „Beiträge zur modernen Kultur der Deutschen im Banat“ liefern. Dies wird so nicht unbedingt eingehalten. Wer hier eine systematisch aufbereitete „moderne Kulturgeschichte der Deutschen im Banat“ erwartet, wie im Klappentext angekündigt, der wird enttäuscht. Gleichzeitig handelt es sich aber um ein hervorragendes Buch, das kulturelle Interfluenzen zwischen dem „Westen“ (vor allem Österreich) und dem Banat sowie vor allem literarisch-belletristisch aus dem Banat heraus in die deutsche Kulturlandschaft hinein auf eine sehr hintergründige Weise präsentiert, analysiert und interpretiert.
Die Literaturwissenschaftlerin Roxana Nubert und die Kunsthistorikerin Ileana Pintilie von der West-Universität Temeswar/Timişoara sowie der aus dem Banat stammende und in München lebende Organist, Musikwissenschaftler und Dirigent Franz Metz wollen sowohl auf literarischem und musikalischem Gebiet, als auch im Bereich von Urbanistik und Infrastruktur, Stadtplanung und –architektur sowie der bildenden Kunst beweisen, dass die deutschsprachige Kultur des Banats durch mitteleuropäische Einflüsse die engen Grenzen einer Regionalkultur weit überschreitet. Dies gelingt zweifellos und auch deswegen ist der Band sehr wertvoll.
Dem Titel entspricht das Buch in zweierlei Hinsicht nicht. Zum einen liegt der Fokus sehr stark auf der Stadt Temeswar, weniger auf dem gesamten Banat, vor allem in der architekturgeschichtlichen Darlegung (S. 11-211). Zum zweiten bieten die Ausführungen zur deutschsprachigen Nachkriegsliteratur aus dem Banat (S. 407-623) vor allem eine exzellente literaturwissenschaftliche Analyse zu allen wichtigen Werken von Richard Wagner, Herta Müller und Johann Lippet, wobei die meisten hier behandelten Werke Wagners und Müllers aus der Zeit nach deren Auswanderung stammen. All das bietet viele Einsichten, beschreibt aber nicht mehr die „Kultur der Deutschen im Banat“, sondern eher „Exilliteratur“ aus dem Banat stammender Autoren. So ist der Buchtitel leicht irreführend.
Abgesehen davon liegt ein höchst lesenswerter Band vor. Ileana Pintilie bietet eine umfassende Darstellung und Würdigung der urbanen Entwicklung Temeswars ab dem 18. Jahrhundert. Detailliert schildert sie den architektonischen Eklektizismus und zugleich den großen Einfluss des Jugendstils in Verbindung mit dem Historismus an vielen konkreten Beispielen. Erfreulicherweise geht sie dabei nicht nur auf Palais und Prachtbauten ein, sondern auch auf Zweckbauten. Sie hält fest: „Der Jugendstil erschien in der Temeswarer Architektur im Vergleich zu anderen österreichisch-ungarischen Zentren relativ spät und war vorwiegend ein Fassadenstil, der Elemente des Historismus übernahm.“ (S. 77) Ein eigenes Kapitel derselben Autorin porträtiert ferner deutsche Künstler wie Oskar Szuhanek, Tiberius Bottlik, Emil Lenhardt und Franz Ferch als Ausdruck der multikulturellen Kunst im Banat (S. 212-240).
Der Musikwissenschaftler Franz Metz betont in seinem aufschlussreichen Beitrag „Moderne Ansätze zur Banater Musikgeschichte“ (S. 241-319) zunächst die besonderen Wechselwirkungen „zwischen Wien und Temeswar, zwischen der österreichischen Musik und der vielfältigen Musikkultur des historischen Banats“ (S. 241), beklagt aber gleichzeitig die jahrzehntelange Ideologisierung der Banater Musikhistoriographie durch Nationalsozialismus und Kommunismus und jüngst neuen Nationalismus.
Er setzt dem eine aussagekräftige Präsentation der musikalischen Einflüsse vor allem aus Wien auf die Entwicklung der deutschen Musikkultur im Banat entgegen, die er an zahlreichen Beispielen illustriert, und kommt zu dem Schluss: „Die musikalischen Beziehungen zwischen dem kaiserlichen Hof und Wien und dem Banat (…) prägten in fundamentaler Weise die gesamte Musikkultur dieser Region“ (S. 257)
Roxana Nubert bietet mit ihrem Streifzug durch die deutschsprachige Literatur im Banat den längsten Part (S. 320-623). Sie unternimmt „kulturvergleichende Überlegungen“ von den Anfängen bis ins 19. Jh.; die Phase von 1918 bis 1944 fasst sie unter die Überschrift „Ansätze zur literarischen Moderne“ zusammen. Einer der stärksten Abschnitte des ganzen Bandes ist dann ihre Interpretation aller wichtigen Werke der aus dem Banat stammenden Schriftsteller Richard Wagner, Herta Müller und Johann Lippet.
Sie seziert die – oft autobiographisch begründeten – Themen und Leitmotive der Autoren, wenn sie etwa bei Richard Wagner auf Heimatverlust, Entfremdung und Entwurzelung, Vergangenheit und „Frauen“ hinweist. Bei Herta Müller schildert sie deren betont negative Darstellung ihrer Heimat und der Banater Schwaben, schon von ihrem Werk „Niederungen“ her, sowie die staatliche Repression. Das schwäbische Dorf stehe für „Aberglauben, Intoleranz und Beschränktheit“ und „kollektiven Anpassungsdruck“ (S. 507) sowie „Klatsch, Bestechlichkeit, Vetternwirtschaft“ und „Deutschtümelei“ (S. 508). Auch jüngste Werke der Literaturnobelpreisträgerin wie „Atemschaukel“ werden detailliert analysiert, wobei die Analyse werkintern bleibt und etwa die Verwerfungen Müllers mit der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien oder Reaktionen der eigenen Volksgruppe unerwähnt bleiben.
Ob es sich hier nun um eine „eigentümliche Banater Prosa“ (S. 629) handelt, oder gerade Wagner und Müller und deren Œvre nicht eher als relevanter Teil der deutschen Gegenwartsliteratur zu verstehen sind, mögen Literaturkritik und Literaturwissenschaft klären. Dieser äußerst lesenswerte Band, der das Kulturhauptstadtjahr in Temeswar geistig, kulturgeschichtlich und intellektuell bereichert, mag den Disput dazu anregen. Drei Bildteile zeigen Fotos von Gebäuden aus Temeswar, Gemälden der vorgestellten Künstler sowie der drei Autoren und etlicher Buchcovers.
Jürgen HENKEL