Kleine Geschichte einer großen Stadt

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Die europäische Kulturhauptstadt Temeswar aus historischer Perspektive

Ausgabe Nr. 2819

Konrad Gündisch / Tobias Weger: Temeswar/Timişoara: Kleine Stadtgeschichte. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2023, 152 S., ISBN 978-3-7917-3225-1, 16,95 Euro.

Rechtzeitig zum Kulturhauptstadtjahr, das am 17. Februar 2023 in Temeswar offiziell eröffnet wurde und in dem die Stadt an der Bega ihre Ernennung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2023 durch die Europäische Union unter dem Motto „Shine your light! Light up your city!“ mit einem umfassenden und vielfältigen Veranstaltungsprogramm feiert, ist im Regensburger Verlag Friedrich Pustet ein reich bebildertes Büchlein erschienen, das einer interessierten Leserschaft die Geschichte Temeswars in übersichtlicher, knapper und kondensierter Form anschaulich, fachkundig und abwechslungsreich nahebringt.

Die Publikation entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut für deutsche Geschichte und Kultur Südosteuropas (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München und wurde von der Staatsministerin für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland gefördert. Die Autoren der „kleinen Stadtgeschichte“ – so der Untertitel des Bandes – sind beide Historiker und ausgewiesene Fachleute auf dem Gebiet der südosteuropäischen Geschichte: Konrad Gündisch ist stellvertretender Vorsitzender im Vorstand des IKGS und Tobias Weger ist am IKGS als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig.

Temeswar, die bevölkerungsreichste Stadt des Banats, war seit jeher von einem regen Mit- und Nebeneinander von verschiedenen Nationalitäten, Kulturen, Sprachen, Religionen und Konfessionen geprägt: Rumänen, Ungarn, Deutsche, Serben, Juden, Roma, Bulgaren, Italiener, Spanier, Armenier und über anderthalb Jahrhunderte auch die Osmanen schufen ein multikulturelles Ambiente, das in Temeswar auch heute noch zu spüren ist.

Die Geschichte der Stadt, die von den beiden Autoren in zehn konzisen Kapiteln dargeboten wird, begann Ende des 12. Jahrhunderts mit dem urkundlich bezeugten „castrum Temes“, in dessen lateinischem Namen die Bezeichnung ‚Burg’ (lateinisch: castrum, ungarisch: vár) bereits enthalten war. Der in der Zwischenkriegszeit gebräuchliche Stadtname ‚Temeschburg’ erinnert an diese historische Bezeichnung auch im Deutschen. Im 14. Jahrhundert war Temeswar unter Karl I. Robert aus dem Hause Anjou Königsresidenz, im 15. Jahrhundert Festung der Corvinen (Johann Hunyadi, Matthias Corvinus). Danach bestimmten Kreuzzug, Bauernkrieg und Thronfolgekämpfe die Zeit bis zur Eroberung Temeswars durch die Osmanen (1552).

Im Kapitel über das osmanische Temeswar (1552-1716) korrigieren die beiden Autoren das von ungarischen, rumänischen und deutschen Historikern oft undifferenziert gezeichnete negative Bild von der Herrschaft der Osmanen als einer 164 Jahre währenden Periode des Verfalls und würdigen demgegenüber deren Verdienste in der öffentlichen Verwaltung, der Stadtarchitektur, der Förderung von Wirtschaft, Bildung und Kultur sowie bei der Bewahrung von ethnischer und konfessioneller Vielfalt.

Mit der Einnahme Temeswars durch Prinz Eugen im Jahre 1716 begann die mehr als zwei Jahrhunderte dauernde Regierungszeit der Habsburger, die mit der Neuordnung der Stadt und dem Neubau der Festung sichtbare Zeichen ihrer Herrschaft setzten. So entsandte die Wiener Zentralmacht Familien von Handwerkern und Beamten vorzugsweise aus österreichischen Erblanden nach Temeswar, was nicht zuletzt auch sprachliche Folgen hatte. So ist „der Temeswarer deutsche Stadtdialekt stärker österreichisch gefärbt als die ‚schwäbischen’ Dorfdialekte in den ländlichen Gegenden des Banats. Im Temeswarer Deutsch spricht man bis heute kaum von ‚Straßen’, sondern von ‚Gassen’ oder ‚Gassl’, die Plätze werden dialektal zu ‚Platzl’ oder ‚Plätzl’ verkürzt.“ (S. 50)

Im 18. Jahrhundert errichtete man in Temeswar neben zahlreichen militärischen, zivilen und privaten Gebäuden auch mehrere Sakralbauten, darunter den römisch-katholischen Dom, dessen Grundstein 1736 gelegt, dessen erstes Hochamt 1754 mit einer Messe von Johann Michael Haydn zelebriert und dessen schlussendliche Weihe dann am 24. April 1803 vollzogen wurde. Ins 18. Jahrhundert fällt auch die Auflösung des Temescher Banats und dessen Eingliederung in das Königreich Ungarn (1779), was insbesondere die auch als Illyrer oder Raitzen bezeichneten serbischen Einwohner Temeswars als Beeinträchtigung ihrer bisherigen Rechte empfanden.

Im Hinblick auf die technische Entwicklung war Temeswar im europäischen Vergleich immer auf der Höhe der Zeit. 1760 war Temeswar die erste Stadt im Habsburgerreich mit nächtlicher Straßenbeleuchtung, und 1884 war Temeswar neben Paris und Berlin eine der ersten Städte Europas mit elektrischer Stadtbeleuchtung. Das Kulturhauptstadtmotto 2023 „Shine your light! Light up your city!“ spielt neben seiner aufklärerischen Intention auf diese technischen Errungenschaften der Großstadt im Banat an.

Die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung Temeswars zeigte sich auch im Wachsen der Stadt selbst. Waren die Josefvorstadt 1744 und die Fabrikvorstadt 1782 zusätzlich zur Inneren Stadt bereits Teile des Stadtgebietes geworden, so kamen 1890 die Elisabethstadt und 1910 noch die Franzstadt hinzu, die weiterhin auch ihren osmanischen Namen „Mehala“ trug. „Infolge der starken Industrialisierung bildete sich innerhalb der Temeswarer Bevölkerung eine arme Unterschicht heraus“ (S. 94), deren Angehörige angesichts ihrer prekären sozialen Lage nicht selten ihr Glück in der Auswanderung nach Übersee suchten. Dazu zählten auch die Arbeitereheleute Weissmüller, die 1905 mit ihrem siebenmonatigen Sohn Johann in die USA emigrierten, wo jener später unter dem Namen Johnny Weissmüller als Schwimmolympiasieger und Kinostar in zahlreichen „Tarzan“-Filmen Weltruhm erlangte.

Die weitere Entwicklung Temeswars wird dann in den Kapiteln über „Großrumänien“ und das „kommunistische Rumänien“ näher beleuchtet. Temeswar als „die revolutionäre Stadt“ (S. 124) bildet die Überleitung zum letzten Kapitel des Bandes, das unter der Überschrift „Freiheit und Demokratisierung“ steht. Das Buch endet inmitten unserer Gegenwart, indem es die Intentionen des laufenden Kulturhauptstadtprogramms erläutert, das nicht nur die Bevölkerung Temeswars, sondern auch städtische Orte des Kulturschaffens sowie die regionalen, transnationalen wie internationalen Verflechtungen Temeswars unter dem Motto „Light over borders!“ in den Blick nimmt.

Die von Konrad Gündisch und Tobias Weger verfasste „kleine Stadtgeschichte“ ist zwar kein Stadtführer, kann aber durchaus auch als Stadtführer in Gebrauch genommen werden. Der auf Seite 136 des Bändchens abgedruckte Stadtplan verweist auf die wichtigsten Sehenswürdigkeiten Temeswars, und das ausführliche Verzeichnis der Orte, Plätze und Straßen in Temeswar (vgl. S. 147-151) erleichtert das Auffinden von historischen Informationen zu einzelnen Örtlichkeiten und Gebäuden, wobei die im Register mit einem Asterisk versehenen heute nicht mehr vorhanden sind.

Neben den zahlreichen Fotos und Abbildungen in Farbe und Schwarzweiß lockern auch mehrere eingeschobene Textblöcke die Lektüre des Bändchens auf. Sie sind marginal mit Titeln wie „Hintergrund“, „Biografie“ oder „Zeitzeuge“ versehen und bereichern allesamt den fortlaufenden Text: mit Hintergrundinformationen wie etwa zur Temeswar-Vedute von Heinrich Ottendorf aus dem Jahre 1665 (vgl. S. 40); mit biographischen Bemerkungen wie etwa zu dem im 15. Jahrhundert europaweit bekannten Prediger Pelbart von Temeswar (vgl. S. 26); oder mit authentischen Aussagen von Zeitzeugen wie etwa dem türkischen Reisenden Evliya Ҫelebi, der Temeswar im Jahre 1660 mit einem ungewöhnlichen Bild beschrieb: „Tamişvar liegt in den Morästen des Tamis-Flusses, wie eine Schildkröte im Wasser. Ihre vier Beine sind die vier großen Basteien, das innere Burgkastell aber ist ihr Kopf.“ (S. 43)

Dr. Markus FISCHER

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Bücher.