,,Wie viele Tulpen kann man ausmalen?”

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Stück zu den Menschenrechten der Personen mit Behinderung aufgeführt

Ausgabe Nr. 2817

Szene aus dem Waisenhaus mit (v. l. n. r.) Anda Saltelechi (Luli), Ioana Mărcoiu und Alina Berzunțeanu.                                 Fotos: Mugur FRĂȚILĂ

„Ich bin Luli und das ist meine Stimme, die ihr nie hört” – diesen Satz wiederholte im Theaterstück „Eu sunt Luli” („Ich bin Luli”) die Schauspielerin Anda Saltelechi, die das Leben einer Person mit Behinderung in den rumänischen Einrichtungen darstellte. Umso dramatischer, da das Stück auf wahre Begebenheiten beruht, die auch jetzt noch Realität sind.

 

Das Theaterstück „Eu sunt Luli” wurde am Dienstagabend im Gong-Theater gezeigt. Für Text und Regie verantwortete Crista Bilciu, es spielten Anda Saltelechi, Ioana Mărcoiu und Alina Berzunțeanu.

Organisator war „Teatrul de Foc”, das Stück basiert auf wahren Begebenheiten: Luli,  eine junge Frau mit geistiger Behinderung lebt seit ihrer Geburt in einem Heim und erzählt von ihrem Leben in staatlichen Einrichtungen. Das Drehbuch wirft auch ein Licht auf die jüngsten Gesetzesänderungen in Rumänien in Bezug auf die Rechte der Menschen mit geistigen und/oder psychosozialen Behinderungen. Als Grundlage dienten wahre Begebenheiten, Erfahrungen des Centrul de Resurse Juridice und des Hermannstädter Vereins für Menschen mit psychischen Störungen Tonal. Das Stück soll demnächst monatlich im Bukarester Odeon-Theater aufgeführt werden.

In der ersten Szene wird Luli nackt in einem Käfig in einer staatlichen Einrichtung gefunden. So unglaublich es im Stück klingt, in Rumänien ist es Realität: Im September 2019 wurden in einem Heim für Menschen mit Behinderung in Sighetu Marmaţiei Patienten in Käfigen gefunden, wo sie stehend (wenn auch nicht nackt) die Tage verbrachten. Schritt für Schritt, ohne allerdings exzessiv dramatisch zu werden, sondern zum Teil fast kalt, wurde Lulis Leben seit ihrer Geburt dargestellt. Das Stück war interaktiv, das Publikum durfte einige Male wählen, wie es weiter gehen soll. Trotz der Wahl des guten Publikums, konnte Lulis Leben nicht sonnig werden, weil das ganze System gegen sie war. Zwar wurde Luli von einer Familie adoptiert, doch einen Tag vor der definitiven Adoption forderte die biologische Mutter Geld und Luli kam zurück ins Heim. Sie durfte eine Schule besuchen, doch diese war für Kinder mit besonderen Bedürfnissen und da wurden in allen Stunden – auch in Mathe und Rumänisch – Tulpen ausgemalt: „Wie viele Tulpen kann man in einem Leben ausmalen?”. Mit 18 wurde sie aus dem Heim entlassen und zusammen mit mehreren Leidenskollegen aber ohne jede Ausbildung landeten sie in der Unterwelt, mit Prostitution und Diebstahl. Luli kam wenige Monate später wieder in eine staatliche Einrichtung, wo man ihr ihre Rechte entzog. Zwei Richter entschieden, dass sie  wegen ihrer Behinderung nicht über ihr Leben selbst bestimmen kann und einen Vormund braucht.

Szenenbild mit Ioana Mărcoiu (links) als potentielle Adoptivmutter und Anda Saltelechi (Luli).

Die Leistung der Schauspielerin Anda Saltelechi, die Luli darstellte, war während der anderthalbstündigen Aufführung doppelt so schwer: Sie übersetzte zeitgleich alle ihrer Repliken in die rumänische Gebärdensprache, die sie eigens für dieses Stück erlernt hat. Ihre Kolleginnen Ioana Mărcoiu und Alina Berzunțeanu spielten während des Stücks alle anderen Rollen, von der „Heim-Mutter” Mona, ,,Mamona“ von den Kindern genannt, weil sie nicht ihre Mama war, bis zu der Ärztin, die ihre Patienten mit Beruhigungstabletten still hält. Nach der Aufführung erklärten alle drei, dass sie während den ersten Proben – seit Januar bereiten sie sich vor – nur noch weinen konnten und es sie große Überwindung gekostet hat, alle diese Personen darzustellen.

Nach der Aufführung gab es auch eine rege Diskussion mit den Schauspielerinnen, der Regisseurin, Georgiana Pascu vom Centrul de Resurse Juridice (CRJ) und Mugur Frăţilă vom Verein Tonal. Die beiden Vereine setzen sich seit zwei Jahrzehnten für die Rechte der Menschen in den staatlichen Einrichtungen ein und haben im Laufe der Jahre mehrere hundert besucht und dokumentiert. Diese Erfahrungen setzte die Regisseurin Crista Bilciu in einem Text um, der die Aufmerksamkeit der Zivilgesellschaft auf diese Probleme lenken will, zumal die rumänische Regierung vor Kurzem durch ihre zuständigen Minister selbstgefällig verkündigt hat, dass die CRJ-Mitarbeiter die Einrichtungen nicht mehr besuchen dürfen.  Die Gründe dieses Verbotes wurden nicht veröffentlicht, obwohl sie auf der Hand liegen: So lassen sich die vielen Missbräuche, die jetzt gerade überall im Land passieren, leichter vertuschen.

In der Diskussion stachen zwei Fragen besonders hervor: Was kann ein Mensch machen, der helfen will und wie kann man die Jugendlichen – eine junge Frau stellte diese Frage – auf diese Probleme aufmerksam machen, damit sie nicht gleich alles vergessen und wieder in ihr virtuelles Leben untertauchen. „Sogar ein bisschen  Zivilcourage macht den Unterschied”, erklärte Mugur Frăţilă, „wenn man eine behinderte Person in einer Notsituation auf der Straße unterstützt”. Wann der Staat sich aber um die Menschen in den eigenen Einrichtungen kümmert und sie richtig behandelt, bleibt ungewiss.

Zur Zeit darf man die Menschen mit Behinderung nicht mehr unter Vormundschaft stellen, es wird an einem neuen Gesetz gearbeitet, denn viele sind schutzbedürftig und da muss der richtige Weg gefunden werden. „Und alles im Eiltempo”, erklärten die Vertreter der beiden Organisationen, „wobei manche Länder viele Jahre oder gar Jahrzehnte an solchen Gesetzen arbeiten.”

Bis dahin ist der Weg noch lang und die Unterstützer immer müder: „In 30 Jahren hat sich kaum was an der Mentalität geändert und es gibt keine legalen Konsequenzen für diejenigen, die diese Menschen missbrauchen”, erklärten sie. Die rumänische Presse berichtete zum Beispiel, wie Personen mit Behinderungen als Einnahmequelle von verschiedenen Organisationen aufgenommen werden – der Staat zahlt 5.000 Lei pro Person – und in prekären Unterkünften, ohne Essen, Medikamente und Heizung gehalten werden, ohne Programme und oft als Sklaven missbraucht. Noch hat es keine Prozesse in diesen Fällen  gegeben und sogar der Heimchef aus Sighetu Marmaţiei ist wieder auf seinen alten Posten zurückgekehrt und hat womöglich nachträglich auch seine Gehälter ausgezahlt bekommen.

Ruxandra STĂNESCU

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Soziales.