500 Jahre Martins-Altar von Schweischer

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Kunsthistorische Betrachtung. Der Heilige Martin von Tours  / Von Heidrun KÖNIG

Ausgabe Nr. 2799

Der Martins-Altar von Schweischer – hier die Festtagsseite – befindet sich in der Johanniskirche in Hermannstadt.                                                                                                           Foto: Stefan JAMMER

Um 1500 stand Siebenbürgen durch seine wirtschaftlichen und kulturellen Verflechtungen mit Mittel- und Westeuropa unter dem direkten Einfluss wichtiger Produktionszentren der Kirchenkunst, wie Nürnberg, Augsburg und Regensburg. Zu dieser Entwicklung gehört auch Johannes Stoß, der Sohn des Nürnberger Bildschnitzers Veit Stoss, aus dessen Werkstatt in Schäßburg mehrere siebenbürgische Altarretabel entstammen, und dem auch der Martins-Altar von Schweischer zugeschrieben wird. Sein Werk trägt die Merkmale der Donauschule, deren Vertreter im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts im süddeutschen und österreichischen Raum den Übergang von der Spätgotik zur Renaissance gestalteten. Mit 1520 auf dem Rahmen und mit 1522 als Inschrift auf der Tafel zum Tod des Hl. Martin datiert, gilt das Retabel als Spätwerk des Künstlers und gibt zugleich Aufschluss über die Fertigungsdauer eines solchen Kunstwerks. Analogien bestehen zu den Retabeln von Meeburg (1513), Bogeschdorf (1518) und Reußdorf.

 

Vom Typus her als Vierer-Altar gestaltet, ist das Hauptblatt des Martins-Retabels aus Schweischer von den vier Evangelisten umgeben, die sich durch die apokalyptischen Symbole – den Tetrapmorph – als solche ausgewiesen. Das Mittelblatt wurde 1766 ersetzt durch ein Ölbild von Johann Weiss, mit der Darstellung der Kreuzigung Jesu. Ciprian Firea macht glaubhaft, dass die noch vorhandene, mit Goldbrokatdruck geschmückte Mitteltafel ein Flachrelief – wohl des Hl. Martin – trug, d.h. ähnlich dem Mittelblatt des Bonnerdorfer Altars gestaltet war. Das erhaltene vergoldete Schleierbrett ist ein zusätzlicher Hinweis darauf.

Das Gesprenge des Retabels ist nicht mehr vorhanden. Die dreiteilige Predella ist ähnlich jenen in Bogeschdorf und in Schaas angelegt, jedoch wurde der untere Rahmen abgesägt, um die Maetz-Orgel von 1825 mit dem Altar zu kombinieren. Die Predella war dick übermalt. Zentral war vielleicht die Beweinung Christi dargestellt, oder der Schmerzensmann zwischen Maria und Johannes. Zu beiden Seiten davon hat Gisela Richter Stifterfiguren „erfunden,“ so Mihály Ferenc. Das Retabel wurde 1973/74 von Gisela Richter restauriert; nach dem Diebstahl der Tafeln 1998 und deren Rückkehr restaurierte Mihály Ferenc 2000-2002 auch das zerstörte Rahmenwerk.

Die Festtagsseite zeigt vier Szenen aus der Vita des Heiligen: den Hl. Martin mit dem Bettler von Amiens (334), den Hl. Martin, der heilt und Tote erweckt, die Martinsmesse, und Martins Tod (379). Die Sequenzen sind ikonisch dargestellt, nach Art des Andachtsbilds: Totenerweckung und Heilung finden sich auf einem Bild: die Auferweckung des Sklaven des Lupicinus und die eines Jungen, zusammen mit der Heilung des Aussätzigen vom Pariser Stadttor (nach der Legenda Aurea).

Die Martinsmesse entlehnte der Künstler der Gregorsmesse Dürers, nach einem Holzschnitt von 1511 – so Ciprian Firea. Die Gregorsmesse lebt von Erscheinung Christi als Schmerzensmann, bei der Hostienweihe – mit klaren doktrinären Konnotationen auf Transsubstantiation und Realpräsenz – während bei der Martinsmesse nur die Anerkennung der Sakralität des Hl. Bischofs Martin am Altar wichtig ist. Doch ist in Schweischer die Anwesenheit des Vir dolorum wichtig. Mit der Bildübernahme wurde zwar auf Dürers Engel verzichtet, doch geschieht ein Sinntransfer: Die Assistenzfigur der Messhandlung hält nicht Gregors Tiara, sondern Martins Mitra.

Ein Komet oder Feuerball, in der Martinsmesse auf Martin weisend, findet sich auf jeder der Tafeln und gilt zugleich als Signatur des Künstlers. Auch die Kometen-Darstellungen gehen auf Dürer zurück: 1492 war er Zeuge des Aufprall eines noch nicht ausgeglühten Meteors; daraufhin schuf er seinen Holzschnitt-Zyklus zur Apokalypse des Johannes: Kometen galten im Zeitalter der großen Angst vor dem nahen Weltende als apokalyptisches Zeichen, und als solches gelten sie auch hier.

Weitere ikonographische Anlehnungen fand Firea bei Dürers „Ritter, Tod und Teufel,“ dem Kupferstich von 1513, und das Pferd des Hl. Martin findet sich schon beim Reiterbild am Schwabacher Martins-Altar (dem Täufer und dem Hl. Martin geweiht), 1506 von Michael Wolgemut gemalt, für den Veit Stoss die Bildschnitzerei schuf – eine weitere Stütze der Zuschreibung an Johannes Stoss.

Die Werktagsseite trägt Darstellungen des Passionszyklus: Getsemani, Gefangennahme, Jesus vor Caiaphas, Geißelung, Dornenkrönung, Ecce Homo, Kreuztragung und Kreuzigung Christi. Die Szenen der Gefangennahme und Ecce homo sind Dürers Kupferstichpassion von 1508 bzw. 1512 entlehnt, die restlichen Szenen – Vor Caiaphas, Geißelung, Dornenkrönung und Kreuztragung – lehnen sich punktuell an Dürers ,,Kleine Passion“ von 1511 und von 1509. Firea weist auf die eingesetzte Collage-Technik, die Übernahme einzelner Figuren aus den Dürer-Passionen – und erstmalig auch die Übernahme ganzer Szenen: für Ecce Homo und Messe (vgl. Reichesdorf und Nimesch) – was laut Firea die Vorgabe des Auftraggebers gewesen sein muss, nachdem Dürers Drucke sich schon seit 1513 bei Johannes Stoss fanden.

Der Heilige Martin von Tours.

Politische Aspekte der Martins-Vita

Martin von Tours  wurde um 316 in Savaria/Szombathely in Pannonien geboren und wuchs dort als Sohn eines römischen Militärtribuns auf. In Pavia, der Heimat seines Vaters, will er als Zehnjähriger zum Christentum konvertieren und Diener Christi werden, doch als Sohn eines römischen Offiziers war er zum Militärdienst verpflichtet. Im Alter von 15 Jahren wurde er zur Leibwache des Kaisers Konstantin II. nach Mailand eingezogen. Unter Julian diente er in Gallien, wo auch jenseits des Rheins Kämpfe zwischen Römern und Alemannen stattfanden. In dieser Zeit vertiefte sich sein Glaube.

Ab 334 war Martin als Soldat der Reiterei der Kaiserlichen Garde in Amiens stationiert. An einem Wintertag 338 begegnete Martin am Stadttor von Amiens einem armen, unbekleideten Mann. Martin teilte seinen Mantel mit dem Schwert und gab eine Hälfte dem Armen. In der folgenden Nacht sei ihm dann im Traum Christus erschienen, bekleidet mit dem halben Mantel, den Martin dem Bettler gegeben hatte, und sprach zu ihm: „Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet … Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,35–40)

Martins Mantelteilung von Amiens hat noch eine weitere Bedeutung: Der Mantel wurde zur Hälfte von dem Soldaten selbst bezahlt, die andere Hälfte stellte der Kaiser. Damit steht Martin in Christi Nachfolge, indem er seinen Teil ganz hergibt und dem Kaiser das Seine behält.

351 wurde Martin von Bischof Hilarius von Poitiers getauft. Um 356 ist Martin 25 Jahre Soldat im römischen Heer – und scheidet vor der drohenden Schlacht bei Worms  aus dem Kriegsdienst aus. Zu Kaiser Julian sagt er als Begründung: ,,Bis heute habe ich dir gedient; gestatte nun, dass ich jetzt Gott diene. Dein Geschenk mag in Empfang nehmen, wer in die Schlacht ziehen will. Ich bin ein Soldat Christi, es ist mir nicht erlaubt, zu kämpfen.“ Mit seiner Entscheidung, die Waffen niederzulegen, bevor es zu einem Kampf kommt, folgte Martin der Richtlinie der Synode von Arles (314). Als Folge davon gab es für ihn keine „honesta missio,“ keinen ehrenvollen Abschied, kein Landgut zur Altersversorgung.

Nachdem Martin unter großen Schwierigkeiten den Heeresdienst quittiert hatte, wurde er Schüler des Hilarius, des Bischofs von Poitiers. Hilarius seinerseits befand sich in Auseinandersetzung mit dem römischen Kaiser Constantius II., einem Anhänger des Arianismus. Dieser Machtkampf zwang Hilarius für vier Jahre ins Exil. In den Jahren zwischen 356 und 360 reiste Martin zunächst zu seinen Eltern, bekehrte seine Mutter und kam schließlich über Illyricum, den slowenisch-kroatischen Raum, nach Italien, wo er auf der Insel Gallinara bei Genua als Einsiedler lebte. Nachdem Hilarius 360 aus dem Exil nach Poitiers zurückgekehrt war, begab sich Martin erneut zu seinem Lehrer. Unweit von Poitiers gründete Martin 360/61 das erste Kloster in Gallien, Ligugé.

Als 371 der Bischofssitz von Tours vakant war, fiel die Wahl des Volkes auf Martin, gegen seinen Willen und gegen den Widerstand anderer Bischöfe. 372/375 gründete er in der Gegend von Tours das Kloster Marmoutiers, wo er auch als Bischof lebte und an seiner asketischen Lebensweise festhielt.

Ein moralisches Dilemma stellte sich dem Bischof von Tours, als dieser 386 in der Priszillian-Affäre zum zweiten Mal zum Gegenkaiser nach Trier kam. Im 4. Jahrhundert war die christliche Welt durch die Auseinandersetzungen um den Arianismus gespalten, der unter anderem die wahre Gottheit Christi leugnete. Dieser religiöse Konflikt hatte Auswirkungen auf die Politik: Maximus nutzte die innerkirchliche Auseinandersetzung um die radikale spanische Asketensekte der Priscillianer, um seine als Usurpator gewonnene Stellung abzusichern. Er verurteilte Priscillian und seine Anhänger zum Tode, um sich als rechtgläubiger Kaiser zu erweisen und sich der Unterstützung der anklagenden Bischöfe zu versichern.

Die Werktagsseite des Martins-Altars von Schweischer.                                Foto: Stefan JAMMER

Martin hatte die Hinrichtung des Priszillian, den „Blutspruch von Trier“, bei seiner ersten Intervention nicht verhindern können. Die Bischöfe hatten Priszillians Tod gefordert. Daraufhin hatte ihnen Martin die Kirchengemeinschaft aufgekündigt. Kaiser Maximus stellt nun Martin vor die Wahl: Entweder er nimmt die communio (u. a. die eucharistische Gemeinschaft) mit den Bischöfen wieder auf, indem er mit diesen an der Weihe von Bischof Felix im Dom teilnimmt – dann stoppt der Kaiser die Verfolgung der Anhänger Priszillians in Spanien und Nordafrika – oder die Verfolgung der Priszillianer geht weiter, deren Blut dann Martin an den Händen hätte. Martin lenkt ein, um den Tod der verfolgten Priszillianer zu verhindern.

An vielen Orten hatte Martin die Bevölkerung überzeugt, die heidnischen Tempel niederzureißen und an deren Stelle christliche Kirchen oder Einsiedeleien zu errichten. Mit den Klöstern Ligugé und Marmoutiers war der Grundstein für das monastische Mönchtum gelegt.

Martin starb 397 im Alter von 81 Jahren auf einer Visitation in Candes, nachdem er die zerstrittene Priesterschaft der Stadt versöhnt hatte. Er wurde am 11. November in Tours beigesetzt. Da Martins Leichnam in einer Lichterprozession mit einem Boot auf der Loire nach Tours überführt wurde, feiert man am Martinstag ein „Laternenfest.“

Erst in den 30er Jahren des 5. Jahrhunderts wurde über Martins Grab eine kleine Kapelle errichtet. Später entstand dort eine Basilika mit einer großen Abtei. Seit dem späten 5. Jahrhundert wurden Kirchen auf seinen Namen geweiht.

Martin ist einer der ersten Nichtmärtyrer (Confessores), der als Heiliger verehrt wurde. Sulpicius Severus, ein Weggefährte Martins, später Bischof von Bourges, verfasste noch um 395 die maßgebliche Vita des Heiligen, welche 1466 ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Lebensbeschreibung diente im Frühmittelalter im Bereich der fränkischen Reichskirche; im 13. Jahrhundert ist sie auch in die Legenda aurea des Jacobus de Voragine (†1298) eingegangen, die vor allem die spätmittelalterliche Heiligendarstellung prägte.

Ein wichtiger Förderer der frühmittelalterlichen Martinsverehrung war Gregor von Tours (†594), einer seiner Nachfolger im Amt. Er verfasste vier Bücher über die Wunder des heiligen Martin und schilderte die Biographie des Heiligen auch in seiner „Geschichte des Frankenreichs.“

Als König Chlodwig Anfang des 6. Jahrhunderts mit den verbündeten Burgundern einen Krieg gegen die Westgoten führte, den er als Kampf gegen den Arianismus deklarierte, rief er Martin von Tours und Hilarius von Poitiers als Schutzheilige an. Nach dem Sieg reiste er nach Tours und stattete dort durch umfangreiche Schenkungen an die Kirche St. Martin seinen Dank ab. Martin und Hilarius wurden damit zu Patronen des merowingischen Königshauses und der Franken.

Der Mantel des heiligen Martin wurde im fränkischen Reich in die Schlacht mitgeführt als siegspendendes Reichskleinod. Martins Mantel (lat. cappa) gehörte seit der späten Merowingerzeit (seit 679) zum Kronschatz der fränkischen Könige und begleitete den Hof im damaligen Reisekönigtum. Nach ihr wurde die Palastkirche als „Kapelle“ bezeichnet. Die Geistlichen, die diese begleiteten, waren die Kapellane; entsprechend bezeichnete man die königliche Kanzlei als Hofkapelle. Die Kapetinger führen ihren Namen darauf zurück.

Der berühmte Sieg Karl Martells gegen die Araber bei Tours und Poitiers (732), der von der älteren Forschung als erfolgreiche Abwehr eines planmäßigen moslemischen Erorberungszugs und damit als Rettung des Abendlandes gedeutet wurde, ist ebenfalls unter dem Aspekt der besonderen Stellung beider Städte zu betrachten. Die Martinsstadt Tours behielt noch bis weit in die Zeit Karls des Großen ihre besondere politische und kulturelle Bedeutung: Alkuin, führender Gelehrter und einflussreichster Berater am Hof Karls des Großen, wurde  796 Abt im Martinskloster in Tours und machte es zu einem herausragenden theologischen Zentrum. Hrabanus Maurus, der spätere Abt von Fulda, war dort Alkuins Schüler.

Der Gedenktag des Heiligen, der 11. November, folgt nach dem Julianischen Kalender auf den Winteranfang am 10. November, dem Ende des bäuerlichen Wirtschaftsjahres. In allen Provinzen des Reichs war der Martinstag Zins- und Zahltag, Anfang und Ende des Geschäftsjahres. Durch diese Verknüpfung wurde St. Martin zum Fiskalheiligen des Fränkischen Reiches und dessen Nachfolge.

Der heilige Martin ist Schutzheiliger der Reisenden, der Armen und Bettler sowie der Reiter, im weiteren Sinne auch der Flüchtlinge, der Gefangenen und der Soldaten.

Martin ist der Schutzpatron Frankreichs und der Slowakei. Er wird als Landespatron des Burgenlandes und als Patron der Städte Mainz und Eichsfeld verehrt.

Für das Königreich Ungarn hat schon König Stephan (der Heilige) Reliquien des Hl. Martin und des Hl. Georg verschafft und den Kult der beiden Ritterheiligen gefördert.

Der Hl. Martin wird entweder als römischer Soldat zu Pferd dargestellt, seinen Schultermantel teilend, oder als Bischof, mit Rad oder Gans als ikonografischem Attribut – letzteres als Hinweis auf sein zum Abschluss des Fiskaljahrs gefeiertes Fest, als die Martins-Gans der letzte Festschmaus vor dem damals 6-wöchigen Advents-Fasten war.

Die liturgische Ikonographie des Heiligen, wie auch auf dem Retabel von Schweischer veranschaulicht, rezipiert jene Momente der Heiligen-Vita, die aus der Legenda Aurea in die Martins-Novene eingegangen sind. Dazu gehören Heilungen und auch drei Totenerweckungen, davon jene eines Katechumenen, eines verzweifelten Selbstmörders und eines Jungen, dessen Mutter den Heiligen um Hilfe bat.

Martins Heiligenprofil steht für die unbedingte Unterstützung des Lebens, sei es durch die folgenreiche  Verweigerung des Tötens als Soldat, durch vielfältigen Einsatz zum Schutz des gefährdeten Lebens von Armen, Kranken und Irrgläubigen – oder selbst durch die Auferweckung von Toten, die Christus seinen Auserwählten zugesteht.

Heidrun KÖNIG

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kirche.