„Was ist eigentlich typisch deutsch?”

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Wanderausstellung des Hamburger Fotografen Jörg Müller im Thaliasaal

Ausgabe Nr. 2797

Die Wassertalbahn in Oberwischau ist eine der Fotografien, die im Rumänien-Teil der Ausstellung „5x Deutschland” zu sehen ist. Die Ausstellung wurde vom Goethe-Institut gefördert und hier in Hermannstadt vom Deutschen Kulturzentrum Hermannstadt und der Hermannstädter Staatsphilharmonie organisiert.                                                  Foto: Jörg MÜLLER

Jörg Müllers Fotoausstellung 5x Deutschland in aller Welt” ist eine aktuelle Bestandsaufnahme deutschen Lebens auf fünf Kontinenten. Sie porträtiert die Nachfahren von Auswanderern, die Deutschland in den letzten Jahrhunderten verlassen haben, in Litkowka/Russland, Oberwischau/Rumänien, Pomerode/ Brasilien, Manitoba-Kolonie/Mexiko und in der Region um Wartburg/Südafrika. Mit dem Fotografen sprach HZ-Redakteurin Ruxandra S t ă n e s c u. Die Ausstellung ist im Thaliasaal bis zum 12. Dezember zu sehen.

Erst bitte ich Sie, sich kurz vorzustellen.

Ich arbeite als Fotograf in Hamburg, bin seit 30 Jahren dabei und habe ungefähr 15 Jahre nur für große Magazine gearbeitet, bis zu dem Zeitpunkt, wo diese großen Reportagen nicht mehr beauftragt wurden. Dann habe ich angefangen, eigene Projekte zu fotografieren, eines davon ist „5xDeutschland in aller Welt”, dessen Ergebnis nun im Thaliasaal in Hermannstadt zu sehen ist.

Was können wir in dieser Ausstellung sehen?

Wir können fünf Orte sehen, auf fünf Kontinenten, in denen die Nachfahren von deutschen Auswanderern leben. Das sind Auswanderer, die vor 200 Jahren oder sogar vor 500 Jahren aus Deutschland ausgewandert sind. Die Hintergründe waren eigentlich immer die selben, sie sind aus religiösen Gründen, weil sie in Deutschland verfolgt wurden, und sie sind aus wirtschaftlichen Gründen ausgewandert. Deutschland war früher ein sehr armes Land, es gab Kriege, Hungersnöte und für viele gab es einfach keinerlei Perspektiven. Ich habe Orte fotografiert, wo man sieht, dass die Nachfahren der deutschen Auswanderer in ihrer neuen Umgebung auch einen Vorteil gebracht haben, beziehungsweise für einen wirtschaftlichen Aufschwung gesorgt haben.

1966 in Köln geboren, studierte Jörg Müller visuelle Kommunikation und Fotodesign an der Fachhochschule Dortmund. Nach dem Diplom begann er 1991 seine Karriere als selbstständiger Fotograf in Hamburg, wo er seitdem lebt. Nach ersten Aufträgen für Greenpeace und die Zeitschrift SPORTS, folgten Auftragsarbeiten für Printpublikationen wie Der Spiegel, stern, Geo, National Geographic u. a.. 2007 wurde Jörg Müller beim Hansel-Mieth-Preis für seine Reportage über chinesische Textilarbeiter, die Mode in Italien produzieren, damit diese unter dem Label „Made in Italy“ verkauft werden kann, ausgezeichnet.

Wie haben Sie sich für die Orte entschieden?

Ich komme natürlich aus diesem journalistischen Bereich, das heißt, ich weiß, wie man recherchiert. Ich habe natürlich interessante Orte gesucht, wo nicht nur noch zehn oder zwölf Alte leben, sondern Orte mit Perspektive, wo junge Leute leben, wo deutsche Kultur gelebt wird, deutsche Feste gefeiert werden und wo man auch weiß, wie es in der Zukunft weitergeht. Dann habe ich natürlich geschaut, dass ich eine Vielfalt reinbekomme. Ich habe zum Beispiel einen ganz kleinen Ort in Russland, in Sibirien, praktisch hinter dem Ende der Welt fotografiert, wo noch 360 Russlanddeutsche leben, aber auch eine erfolgreiche Kleinstadt in Brasilien, wo 35.000 Nachfahren von Deutschen leben, die dort große Industrie und sehr viel Tourismus haben, große Feste feiern und wo es fast deutscher aussieht als in Deutschland. Überrascht habe ich festgestellt, dass es am schwierigsten war, deutsche Orte in Europa zu finden, weil eigentlich in den neunziger Jahren, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, fast alle oder die meisten nach Deutschland ausgewandert oder zurückgegangen sind.

Wie fanden Sie Oberwischau?

Hier habe ich festgestellt, dass Deutsch nach wie vor eine wichtige Rolle spielt, dass die meisten Jugendlichen vier Sprachen sprechen, was aus deutscher Sicht unglaublich ist. In den anderen Ländern ist es so, dass die deutsche Sprache verloren geht und die Tendenz ist, dass die jungen Leute lieber Englisch lernen.

Was wollten Sie in Ihren Bildern festhalten?

Die Idee des Projekts ist es, dass ich fünf Orte zeige, je ein Ausstellungsraum pro Ort, dass der Betrachter einen Eindruck davon bekommt, wie die Menschen in diesem Ort heute leben. In Ungarn habe ich Schulklassen durch meine Ausstellung geführt und gemerkt, dass das sehr gut funktioniert und dass sich die Schüler sehr genau die Wohnzimmer der Leute angeschaut haben. Ich habe festgestellt, dass es ein großes Interesse daran gibt, wie die Menschen auf einem anderen Kontinent leben, wie sie sich an ihre Umgebung angepasst haben.

Russlanddeutsche aus Litkowka in Sibirien.                                                     Foto: Jörg MÜLLER

Wie kam es genauer gesagt zu dieser Ausstellung?

Ursprünglich habe ich, wie gesagt, für große Magazine gearbeitet, u. a. für National Geographic und ich habe eine Reportage über ein kleines Mennonitendorf in Kirgistan gemacht, 300 Kilometer bis zur Grenze mit China. Mitten in Kirgistan, wo die überwiegende Bevölkerung muslimisch ist, gab es diese Mennoniten, die extrem religiös sind. Da lebten insgesamt noch 200 Leute, da war noch ein Deutschlehrer, der aus Deutschland entsandt wurde und man hat noch deutsch gesprochen. Die Reportage hatte großen Erfolg und da habe ich gesucht, was für deutsche Nachfahren es noch auf der Welt gibt. Das war so ein bisschen der Start, dann habe ich verschiedene Förderer gesucht. Ein Förderer war das Goethe-Institut, das sich tatsächlich auch in dem ganzen Projekt sehr engagiert hat und daraus haben wir dann gemeinsam eine Wanderausstellung gemacht, die jetzt quer durch Europa reist.

Durch Europa oder auch in die  Ortschaften, wo Sie fotografiert haben?

Tatsächlich haben wir auch in Pomerode in Brasilien ausgestellt. Es gibt aus dem Ort ein sehr großes Bild, wo ein Ehepaar vor seinem Haus steht. Als sie es gesehen haben, fingen diese Beiden zu weinen an. Es war unglaublich berührend. Es scheint doch so, dass ich ein bisschen die Emotionen der Leute getroffen habe.

Wie viele Fotos sind in der Ausstellung zu sehen?

Das sind 100 Bilder, ein paar mehr oder weniger, je nach Ausstellungsort.

Mit dem Handy machen wir alle inzwischen unglaublich viele Fotos, wobei wir dann Schwierigkeiten haben, eins auszuwählen. Hatten Sie dieses Problem?

Ja, das ist tatsächlich bei solchen Ausstellung die große Kunst, die Bilder so auszuwählen, dass sie zusammen passen. Meine Ausstellung funktioniert dadurch, dass ich bestimmte Bilder gruppiere. So z. B. jeweils eine Zusammenstellung von 4-5 Fotos, wovon die Leute leben, was sie arbeiten, Freizeit… Jedes Bild, das an der Wand hängt, ist eigentlich so konzipiert, dass man es länger betrachten kann. Die meisten Fotos, die man heutzutage mit dem Handy macht, können in einer oder zwei Sekunden erfasst werden und da ist das Haltbarkeitsdatum schon verfallen. Meine Intention war, Bilder zu machen, wo der Betrachter länger drauf gucken kann. Bei den Schülern in Ungarn habe ich dann auch gemerkt, wie riesig das Interesse an einzelnen Bilder ist. Dass sie zu zweit oder zu dritt vor einem Bild stehen und diskutieren, wobei man in Deutschland der Meinung ist, dass junge Leute gar keine Bilder mehr aufnehmen können. Das Problem liegt eigentlich darin, dass auch gedruckte Fotos inzwischen immer gleich sind und nicht mehr in die Tiefe gehen. Da gehen Inhalte verloren, der kommerzielle Druck auf die Fotos ist unheimlich groß und sie sind ganz schnell verbraucht. Ich versuche, diesem entgegen zu wirken und meine dreißigjährige Erfahrung stecke ich jetzt in meine Projekte.

Ist es schwierig, mit der Kamera in das Leben der Leute einzudringen?

Nein, an all diesen Orten war es viel leichter zu fotografieren als in Deutschland. Die Leute waren fast immer extrem freundlich und offen und ich muss sagen, in Deutschland ist es viel schwerer.

Wie hat sich die Fotografie in den letzten Jahren geändert?

Ich sehe die Fotografie heute wie die Handywelt. Das Handy wird hochgerissen, ein Bild gemacht und tausend Mal in den Sozialen Medien geteilt, aber es gibt kaum noch Bilder von Bestand. Ich arbeite mit einer internationalen Kuratorin zusammen und sie hat mir Bilder gezeigt, die vor 50, 60 oder 70 Jahren gemacht wurden und von einer fantastischen Qualität sind.  Heute wird man oft gefragt, was man für eine Kamera mit wieviel Pixel hat, aber das sagt gar nichts über die Qualität der Bilder aus. Im dokumentarischen Bereich gibt es heute kaum noch Leute, die diese Qualität bringen können.

Haben Sie Empfehlungen für die Leute, die ein schönes Foto machen wollen?

Ja, sie sollten sich auf das Wesentliche konzentrieren. Man sollte eine klare Vorstellung haben, wie das Bild aussehen sollte und dann den Weg dahin finden.

Wo kann man Ihre Werke online sehen?

Die Ausstellung kann man auf der Seite des Goethe-Institutes sehen (https://www.goethe.de/de/spr/eng/dmi/5xd.html?wt_sc=5xdeutschland) auch mit einer Ausstellungsrallye und meinen Werken sehen, auch auf meiner eigenen Seite  (https://www.joergmuellerfotografie.de/).

Herzlichen Dank.

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kunst.