,,…die auserwählte Stadt“

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Nora Iugas Hermannstadt-Roman als Performance

Ausgabe Nr. 2797

Mihai Ignat, Iulia Georgeta Popescu und Nora Iuga (v. l. n. r.) stellten sich nach der Vorstellung den Fragen des Publikums.                                                                                        Foto: Beatrice UNGAR

,,Jede Seite fasziniert“ lautet der Titel der Rezension zu dem Roman ,,Hipodrom“ von Nora Iuga, die unter dem Titel  in der Hermannstädter Zeitung Nr. 2734 vom 13. August 2021 erschienen ist. Angesichts dieser Feststellung ist das Projekt der Bukarest Schauspielerin Iulia Georgeta Popescu als ein Wagnis zu bezeichnen, denn sie hatte sich vorgenommen, diese in mehrfachem Sinn fabelhafte Hommage an die Stadt Hermannstadt als Performance auf die Bühne zu bringen. Die Aufführung im Rahmen des Datfest-Festivals der Studierenden der Schauspielkunst an der Lucian Blaga-Universität in Hermannstadt am 5. November überzeugte alle Anwesenden davon, dass Nora Iugas Werk sozusagen ,,reif für die Bühne“ gemacht werden kann.

Zunächst ist dies dem Kronstädter Schriftsteller Mihai Ignat zu verdanken, der bisher zwei Preise des Rumänischen Theaterverbands (UNITER) für den besten dramatischen Text erhalten hat. Ignat hat es tatsächlich geschafft, die 430 Seiten auf 12 Seiten Bühnentext zu reduzieren, ohne etwas von der Dramatik und der Aussagekraft des Originals zu mindern.

In der Bühnenfassung enthalten sind sowohl die Erlebnisse des Kindes in der Zwischenkriegszeit, das sich den ausgestopften Schimmel  aus dem Schaufenster in der Heltauergasse zum Geburtstag wünscht, und dem dieser Wunsch verwehrt wird – was die heute einundneunzigjährige Nora Iuga noch immer beschäftigt, siehe den Roman ,,Hipodrom“, wo ein Schimmel die Erzählerin auf Schritt und Tritt begleitet -, als auch die weitaus schmerzhafteren der jungen Deutschlehrerin in der Zeit der kommunistischen Diktatur.

Nora Iuga: Hipodrom, Roman,  Polirom Verlag Jassy 2020,  Reihe Fiction Ltd., 260 Seiten, ISBN 978-973-46-8198-3.

Schon allein diese Tatsache hätte das Projekt auf die Liste der von der Verwaltung des Nationalen Kulturfonds (AFCN) geförderten setzten können. Die AFCN hat es auch gefördert und das Stück wurde in der Regie des ebenfalls UNITER-preisgekrönten Horatiu Mihaiu mit Iulia Georgeta Popescu als One-Woman-Show zunächst im Nationalmuseum der Rumänischen Literatur in Bukarest aufgeführt, sodann in Jassy, Neumarkt am Mieresch, in Kronstadt,  und nun auch in Hermannstadt. Die Vorstellungen, so Iulia Georgeta Popescu seien im Vorfeld im Rahmen von Kreativworkshops   von dem Projetteam, zu dem auch die Autorin Nora Iuga gehörte, gemeinsam mit Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten vorbereitet worden.

Auch bei den Vorstellungen selbst war Nora Iuga dabei und stellte sich gemeinsam mit den an dem Projekt Beteiligten den Fragen aus dem Publikum. Das Projekt war schon allein aus diesem Grund ein Erfolg, denn Nora Iuga in Person zu erleben, ist schon ein Ereignis als solches.

So geschah es auch in Hermannstadt, wo die Projektleiterin nach der ausgezeichneten Performance im Virgil Flonda-Saal im Gebäude der Fakultät für Sprachen und Schauspielkunst der Lucian Blaga-Universität, obwohl sie bestimmt erschöpft war, gemeinsam mit Nora Iuga und Mihai Ignat fast länger über den Roman und natürlich auch über Nora Iugas Erfahrungen diskutierte als das Stück selbst gedauert hatte.

Wer von der Verve der als Grande Dame der rumänischen Literatur geltenden Autorin nicht genug hatte, konnte sie im Anschluss bei einer gut besuchten Lesung – in rumänischer und deutscher Sprache – im Erasmus-Büchercafé erleben.

Eine Kostprobe aus dem Roman ,,Hipodrom“ ist übrigens gleich zu Beginn der von Dagmar Dusil betreuten Anthologie ,,Mit Erinnerungen gepflastert“ (Pop-Verlag Ludwigsburg, 2022) zu lesen, in der Übersetzung von Michael Astner. Und so beginnt der Roman: ,,Hermannstadt, die auserwählte Stadt, in der ich gerne sterben würde, sagte ich einst, als ich die Treppen vom Huetplatz hinter der Evangelischen Stadtpfarrkirche zur Unterstadt hinabstieg.“

Beatrice UNGAR

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Theater.