Streiflichter von der diesjährigen Germanistiktagung an der Lucian-Blaga-Universität
Ausgabe Nr. 2795
Auch in diesem Jahr wurde die Reihe der Germanistiktagungen zum Thema „Deutsches literarisches und kulturelles Erbe im südosteuropäischen Raum“ an der Lucian-Blaga-Universität (ULBS) in Hermannstadt fortgesetzt, und zwar fand die Tagung am 4. und 5. November d. J. statt. Die Tagungsgäste aus Berlin, Bukarest, Temeswar, Kronstadt, Klausenburg, Hermannstadt und aus Nevșehir in der Türkei fanden sich zur Eröffnung im Begegnungszentrum der Universität ein, wo sie unter der Moderation von Dr. Maria Sass von Frau Eva-Nicoleta Burdușel, Prodekanin der Fakultät für Philologie und Bühnenkünste und Herrn Ovidiu Matiu, Leiter des Departements für anglo-amerikanische und germanistische Studien begrüßt wurden. Der im Programm angekündigte Prorektor Andrei Terian und Dekan Dragoș Varga waren wegen eines zeitgleich stattfindenden Arbeitstreffens von Vertretern mehrerer Universitäten an der Teilnahme verhindert.
Nach der Begrüßung ging es wie gewohnt in zwei Sektionen, Literaturwissenschaft und Sprachwissenschaft, mit Vorträgen weiter. Die Bandbreite war, wie immer, groß. Es ging in der Literatursektion um „die Anfänge der deutschsprachigen Literatur im Banat“, genauer um die Zeitspanne 1718 bis 1850, um den neuen Forschungszweig der literarischen Topografien („Budapester Topografien in der deutschsprachigen Literatur Banater Autoren“), um die „Darstellung der Banater Provinz in dem Roman „Drei Kilometer“ (2019) von Nadine Schneider“, wie auch um die erzählerischen Innovationen des siebenbürgischen Schriftstellers Georg Scherg und die Denkfigur des Würfelspiels in Paul Celans Dichtung. Der Hermannstädter Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Joachim Wittstock stellte die siebenbürgische Erzählung „Die Kosakenbraut“ aus dem Nachlass von O. F. Jickeli vor.
Die Sprachwissenschaftler wurden von Dr. Sigrid Haldenwang mit interessanten Details aus der Arbeit am Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuch vertraut gemacht, aus dem Bereich der Erforschung alter Urkunden gab es Beiträge zur „sächsischen Gemeinde der walachischen Stadt Câmpulung Muscel/Langenaus am Beispiel einer Urkunde aus dem 16. Jahrhundert“, bzw. zur „Lexik der Siebenbürger Gesetzestexte der Frühen Neuzeit“. Der neueren Zeit galten die Forschungsarbeiten vom Nachmittag zu den „Verlockungen des Kommunismus im Neuer Weg“ bezogen auf das Jahr 1950 und zur „Heilkraft des Nichts in Alltagserzählungen auf Social-Media-Plattformen“. Dazu kamen in dieser Sektion Beiträge aus dem didaktischen Bereich. Es ging um „Die sozial-emotionalen Voraussetzungen im Fremdsprachenerwerb“, um die „Bildungssprache Deutsch an rumänischen Schulen“ oder den Umgang mit einem Drama im Literaturunterricht.
Nach dem wohlverdienten Mittagessen, das dankenswerterweise wie auch die Übernachtung der auswärtigen Gäste vom Departement für interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Rumänischen Regierung gesponsert wurde, ging es gleich mit Vorträgen weiter, denn am Abend wartete eine Überraschung auf die Tagungsteilnehmer. Es wurde gezeigt, wie siebenbürgisch-sächsisches Kulturgut in den Kinderbüchern von Anne Junesch, dargestellt an einem der Bücher, vermittelt werden kann, auch wie geschickt Yvonne Hergane ihren Roman „Die Chamäleondamen“ als Generationenroman aufgebaut hat.
Zwei Beiträge zu der „Übersetzung deutscher Romane in Rumänien zwischen 1900 und 1999“ und zum „Übersetzen von transkultureller Erinnerung“ rundeten die Vortragsreihe ab.
Am Abend führte als Überraschung die Kronstädter Autorin und Germanistin Carmen E. Puchianu im Gong-Theater ihr Ein-Personen-Stück „Entsorgt. Theater des Ichs“ auf, musikalisch untermalt von Elena Cristian mit der Violine und Paul Cristian am Klavier. Eine Zusammenarbeit, durch die sich das Kronstädter Ensemble „Kabarett Kaktus“ einen Namen gemacht hat. Wie der Titel besagt, geht es darum, das eigene Ich unverbrämt zu erforschen. Dafür verlässt die Protagonistin ihre doppelgesichtige Hülle und wendet sich in mehreren Monologen an eine Schneiderpuppe, auf die sie ihre Erinnerungen projiziert. In Aglaja Veteranyis poetischer Vorstellung konzentriert sich im Tod alles, was jemand erlebt, gefühlt, erfahren hat, in einem letzten Atemzug. Bei Puchianu soll alles, was ihr Leben ausmacht, ganz sachlich in einem ominösen Dossier zusammengefasst werden, das abgegeben werden muss. Der Tod, Puchianus Leitmotiv in allen Werken, wird den Schlusspunkt setzen. „Jetzt, wo alles abgeschlossen und in einem Dossier zusammengefasst und aufgeräumt werden muss, denke ich, kann ja auch die Sorge ad acta gelegt werden… sozusagen alles wird ent-sorgt!…“
Der Samstag gehörte den Nachwuchswissenschaftlerinnen, Doktorandinnen von mehreren Universitäten, aber auch zwei Masterstudentinnen einer türkischen Universität. Auch hier war die thematische Bandbreite groß, vom „Frauenbild in der Literatur des Wassertales“, über „Heimatverlust in der Fluchtliteratur für Kinder und Jugendliche“, den Migrationsdiskurs bezogen auf Aglaja Veteranyis Werk, Aspekte der Imagologie, „Archaisches Wortgut in der rumäniendeutschen Pressesprache“, bis hin zum neuen Konzept der Sprachlandschaft am Beispiel Mühlbachs und „Übersetzungsstrategien und -prozesse“ auf die Übersetzung von Grimm-Märchen ins Türkische bezogen.
Trotz des gedrängten Programms war das Zuhören kurzweilig, die anschließenden Diskussionen ausführlich. Kurzum, ein Gewinn für alle Beteiligten. Und die Vielzahl an unterschiedlichen Beiträgen zeigt einmal mehr, dass die rumänische Germanistik einiges zu bieten hat und auch in näherer Zukunft zu bieten haben wird.
Sunhild GALTER