Kunst überstrahlt den Rest

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Ausgabe Nr. 2789

Streiflichter von der Kunstmesse Parallel Vienna in der Semmelweis-Frauenklinik

Die Bildhauerin Sorina von Keyserling…
Fotos: Heinz WEISS

Vor rund drei Jahren ist die Wiener Semmelweis-Frauenklinik im 18. Wiener Gemeindebezirk für immer geschlossen worden, denn sie wurde einem neuen und modernen Krankenhaus im Norden von Wien eingegliedert. Somit stehen in dem riesigen Grünareal Pavillons leer und man überlegt nun, den größtenteils denkmalgeschützen Räumlichkeiten neues Leben einzuhauchen. Doch bis es endgültig soweit ist, konnte in der ehemaligen Frauenklinik eine Niederkunft bzw. ein freudiges Ereignis gefeiert werden: die 10. Auflage der international renommierten Kunstmesse PARALLEL VIENNA wurde vom 6. bis 11. September 2022 ebendort ausgerichtet. Gezeigt wurden auch Werke zeitgenössischer Künstler aus Rumänien. 

Die Messe Parallel Vienna ist eine alternative Messe für zeitgenössische Kunst. Es werden junge und aufstrebende, aber auch etablierte künstlerische Praktiken präsentiert. Ferner bringt die Parallel Vienna nationale und internationale Kunstinitiativen aller Art, darunter Kunstvereine, Galerien, Projekträume, Off Spaces und Artist Spaces unter einem Dach zusammen. Diese Kunstmesse in Wien verbindet damit lokales künstlerisches Schaffen mit internationalen Trends, trägt zum Aufbau von Netzwerken bei und fördert den Austausch zwischen Künstlern, Kuratoren, Sammlern und Ausstellungsbesuchern. Als Mischung aus Kunstmesse, Ausstellungsplattform und Künstleratelier vereint sie Ausstellungen von kommerziellen Galerien (Galerie Statements, jeweils mit einer Einzelpräsentation eines Künstlers), Off-Spaces und Kunstvereinen (Project Statements, eine Einzel- oder Gruppenausstellung) und Einzelpräsentationen ausgewählter Künstler (Artist Statements oder künstlerische Interventionen). Statt der üblichen Stände, wie bei anderen Kunstmessen, nimmt jeder Aussteller einen separaten Raum des Gebäudes ein, in dem die Ausstellung präsentiert wird. Diese ortsspezifischen Kunstwerke und Interventionen sind das Markenzeichen von Parallel Vienna in Wien und machen daher diese namhafte Kunstmesse zu einem einzigartigen und alternativen Ausstellungsformat. 

Die rumänischen Künstlerinnen brachte der Galerist Thomas Emmerling nach Wien und lud für den 7. September zu einem Artist Talk mit der Bukarester Künstlerin Oana Ionel ein. Desgleichen durfte man der Bildhauerin Sorina von Keyserling über die Schulter sehen, wenn sie mit Ton modelliert.

Der Stand B003 liegt ebenerdig und ist ein in die Jahre gekommenes, kahles und ramponiertes Krankenzimmer – ohne Möbel, doch ein alter Waschtisch und der an einer Stange oberhalb befestigte, zerschlissene Plastikvorhang sind noch vorhanden. Sie sind die vergessenen Zeitzeugen der ehemaligen Frauenklinik. Als ich den Raum betrete, rieche ich förmlich das Desinfektionsmittel und bevor noch kunterbunte Erinnerungen an Krankenhausaufenthalte in meinem Kopf aufpoppen, begrüßt mich bereits Thomas Emmerling. Nach einem kurzen Gespräch schweift mein Blick die Wände des Raums entlang und ich entdecke „alte Bekannte“: Werke von Ion Anghel, Oana Ionel, Armin Mühsam und Birgit Reiner haben sich eingefunden und bilden einen krassen Gegensatz zur abgestorbenen Räumlichkeit. Fasziniert betrachte ich die extrem eindrucksvollen Collagen von Ion Anghel, als ich plötzlich Emmerling doppelt sehe: nein, nein! Obwohl es an diesem Abend in Wien sehr schwül ist und wir Gäste zu Beginn ein eiskaltes Schlückchen auf das Wohl des umtriebigen Gastgebers tranken, ist es nicht mein durch Alkohol getrübtes Auge. Ganz im Gegenteil: Sorina von Keyserling hat bereits vor Eintreffen der meisten Kunstbegeisterten ihr „atmendes Gegenüber, aus Ton gemacht“. Wer die Plastiken dieser begnadeten Bildhauerin näher betrachtet, wird auf den ersten Blick gefangen genommen von der scheinbar augentäuschenden Naturnähe. Doch die „Natürlichkeit“, die dem oberflächlichen Erstbetrachter ihrer Werke ins Auge sticht entwickelt sich als Trugschluss. Hier wird nicht der Aha-Effekt des unmittelbar Erkennbaren bedient, sondern die von Keyserling geschaffenen Figuren und Portraits sind das Ergebnis gründlicher und oftmals langwieriger Auseinandersetzungen mit der Formensprache eines Gesichts oder Körpers. Es ist ein Mensch, den sie spannend findet. Und auf Thomas Emmerling trifft dies sicherlich zu.

…und die von ihr modellierte Lehmbüste von Thomas Emmerling.

Die Zeit schreitet fort und ich tausche mich mit der mir persönlich bekannten Bukarester Künstlerin Oana Ionel aus. Unser gemeinsames Thema ist nicht nur die Kunst, sondern die Wechselwirkung von Kunst und Psychologie. Auch sie hat wie ich ein Psychologie-Studium abgeschlossen und es ist für mich sehr interessant zu hören, wie sie zum Beispiel trotz der Pandemie und der daraus notwendigerweise verordneten Abschottung ihre Kreativität bewahren konnte. Oder ergaben sich aufgrund der gesellschaftlichen Einschnitte, die uns alle betroffen haben etwa Modifikationen ihre Malerei betreffend?

In diesem Moment bittet Thomas Emmerling schon Oana Ionel zum Artist Talk und das wartende Auditorium scharrt sich um die sympathische Künstlerin, die sich den Fragen charmant und unprätentiös stellt. Nach einer kurzen Vorstellung, ihrer Ausbildung bzw. den internationalen Stationen ihres künstlerischen Werdegangs beschreibt sie ihre Affinität zur Donau. Voll Enthusiasmus und Empathie veranschaulicht die Künstlerin den größten Fluss Europas als Kulturregion, die Vielfalt ermöglicht und Respekt fordert. Oana Ionel hält fest, dass entlang des Flusses die Grenzen durchlässig, abstrakt und metaphorisch werden. Sie ist ja bekannt für ihre gesellschaftlichen Narrative auf metapolitischer Ebene, sowie für ihre klaren Kompositionen und starken Farben. Immer wieder betont Ionel die Gewichtigkeit der Beziehung eines Künstlers zu den Menschen, die Ausdruckskraft eines Werkes, der sich der Betrachter nicht entziehen kann. Obwohl sie sich am Anfang ihres Schaffens eher dem Konkreten gewidmet hatte, setzt sie später ihren künstlerischen Fokus auf das Abstrakte, das maßgeblich durch Emotionalität geprägt ist. Es wird ferner die Zeit der Pandemie und die Auswirkungen auf die künstlerische Arbeit angesprochen. Obwohl Ionel betont, dass die Kunstszene von der Gesellschaft bestimmt wird, kann sie als Künstlerin dem Lockdown auch viel Positives abgewinnen. Sie betrachtete diese schwierige Zeit als Chance zum Innehalten, um sich wieder neu zu finden bzw. zu erfinden. Das ruhige und intensive Nachdenken über sich und das eigene Tun bündelt die Kreativität und eröffnet dem Künstler ausreichend Raum und Zeit sich etwaig auf unbekanntes Terrain vorzuwagen. 

Nach einem kurzen Ausblick auf Ionels künstlerisch geprägten Herbst im Studio in Bukarest lässt mich persönlich auch ihre Nähe zur Videoarbeit aufhorchen. Nicht nur, dass sie aus Liebe zum klassischen Filmhandwerk immer auf Charakterstudien von Hitchcock und Bunuel zurückgreift, versucht sie als Psychologin die Wesenseigenarten des einzelnen Menschen detaillierter zu beleuchten um seine Handlungsweise zu konkretisieren. Unter dieser Voraussetzung ist auch die Donau für Ionel ein Lebewesen mit diffizilem Charakter, was die Künstlerin in der Bildkomposition ihrer Videoarbeit zum Ausdruck bringt. 

Zusammenfassend kann ich festhalten, dass der Besuch der Parallel Vienna in der ehemaligen Wiener Semmelweis-Klinik und dabei insbesondere der Stand B003 ein Highlight waren. Und wiederum wurde eindrucksvoll bewiesen, dass zeitgenössische und engagierte Künstler, deren Wurzeln untrennbar mit Rumänien verbunden sind die gegenwärtige nationale und internationale Kunstwelt in Staunen basierend auf Respekt und Bewunderung versetzt haben.

Ingrid WEISS

Veröffentlicht in Kunst, Persönlichkeiten.