Beitrag aus dem Agnethler Wochenblatt vom 25. Februar 1922
Ausgabe Nr. 2666
Über Ersuchen hat Herr Dr. Julius Oberth, Direktor des Schäßburger Komitatsspitales dem Großkokler Botenüber obige Frage einen Aufsatz zur Verfügung gestellt, den wir auch in unserm Blatte zum Abdrucke bringen. Er hat folgenden Wortlaut:
Die Älteren unter uns erinnern sich noch deutlich der großen Grippeepidemie von 1889/90 und 91, die, wie das in der Friedenszeit meist der Fall war, aus Russland kommend, ganz Europa durchzog. Ich war damals Operationszögling an der Klinik Billroth. Fast über Nacht erkrankten mehr als die Hälfte der Assistenten und Operationszöglinge an der Klinik, andere folgten nach, so dass der Betrieb der Klinik nur schwer aufrechterhalten werden konnte. Aber jene Epidemie war relativ unschuldig, hatte kaum 0,1-0,8 % Sterblichkeit.
Viel schwerer war der Verlauf der letzten Epidemie, die in der Kriegszeit und Nachkriegszeit im Sommer und Herbst 1918 einsetzte und auch in unserm Lande während des Rückzuges der Armee Mackensen entsetzlich wütete. Sie hat nicht nur ganz Europa, sondern auch weit entlegene Länder, die Vereinigten Staaten Amerikas, Indien furchtbar heimgesucht und mehr Menschen getötet, als der letzte größte aller Kriege. In den besonders von schweren Fällen aufgesuchten Spitälern stieg die Sterblichkeit auf 12-20 % und noch mehr Prozent, bei schwangeren Frauen, bei denen sich die Grippe besonders gern als Lungenentzündung festsetzte, bis 40 %. Ende Dezember sank dank wenigstens in Schäßburg die Erkrankungszahl und Sterbeziffer rasch und stark herab, aber es hatte den Anschein, dass diese Epidemie noch nicht ganz erloschen ist und jetzt wieder auflodert. Nach den Erfahrungen früherer Epidemien des vorigen Jahrhunderts, besonders der 30er und 40er Jahre ist zu hoffen, dass diese Epidemie nicht mehr den mörderischen Charakter des Jahres 1918 annehmen wird.
Im sächsischen Volksmund kommt der große Unterschied in der Gefährlichkeit der Krankheit drastisch zum Ausbruch, indem er die leichten Fälle als „Infaulenza“, die schweren als die „Krepier“ (aus Grippe) bezeichnet.
Der bakterielle Erreger der Krankheit ist noch nicht mit Sicherheit gefunden. Er scheint sich gern mit verschiedenen anderen Bakterien zu vergesellschaften und so verschiedene Krankheitsbilder zu erzeugen.
Die Ansteckung erfolgt von Mensch zu Mensch, wohl am meisten durch Tröpfcheninfektion indem die von den Kranken ausgehusteten oder beim Sprechen, Niesen in die Luft gelangenden Sekrete von Gesunden eingeatmet werden, und sich in deren Nase, Rachen, Lunge festsetzen. Wegen dem starken Verkehr großer Städte untereinander ist es erklärlich, dass die Grippe – etwa von Moskau kommend – früher in Berlin oder Paris auftritt, als inzwischen gelegenen kleineren Orten. Anhäufung von Menschen begünstigt entschieden die Ausbreitung der Krankheit. Ihre Verbreitung wird dadurch begünstigt, dass die Grippe bei vielen Menschen so leicht verläuft, dass viele nicht ins Bett kommen, sondern ihrem Beruf nachgehen und Gesunde infizieren. Vielleicht sind die Rekonvaleszenten auch noch eine Zeitlang ansteckend, in der sie sich schon ganz gesund fühlen. Die Grippe befällt mit Vorliebe das blühendste Lebensalter (20-30Jährige) ohne Unterschied des Geschlechts. Reich und arm werden gleich heimgesucht. Einmaliges Überstehen scheint einen gewissen Schutz zu bieten, indem die etwaige zweite Erkrankung an Grippe milder verläuft.
(…) Ein spezifisches Mittel gegen die Grippe kennen wir nicht. Hauptsache ärztliche Beratung. Krankheit nicht auf den Füßen tragen, sondern Bettruhe, entsprechende Diät. Zu warnen ist vor Magenspülungen. Dass der Alkohol als „Heilmittel“ bei Grippe, wie bei vielen anderen Krankheiten nicht nützt, eher schadet, hat uns auch die Epidemie 1918 deutlich gezeigt.
Der Rekonvaleszent soll erst aufstehen wenn er drei Tage nicht mehr gefiebert hat und das Zimmer erst verlassen, wenn der Husten völlig ausgeblieben ist, da die Krankheit zu Nachschüben neigt.
- Februar 1922