,,Wir sind frei, Leute, wir sind frei“

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Blick zurück 30 Jahre nach der Revolution im Dezember 1989

Ausgabe Nr. 2654

 

Das Standbild des rumänischen Pädagogen Gheorghe Lazar auf dem Großen Ring diente als Denkmal für die Opfer der Revolution in Hermannstadt (unser Bild zeigt es nach einer Kranzniederlegung im Januar 1990). Das Standbild wurde abgetragen und durch eine Bronzestatue ersetzt. Ein nach einem Entwurf des Architekten Gheorghe Septilici errichtetes Mahnmal für die Opfer der Revolution wurde vor dem Gewerkschaftskulturhaus (heute Ion Besoiu-Kulturzentrum) auf dem Hermannsplatz/Piata Unirii aufgestellt.
Foto: Roland Barwinsky

„Wir sind frei, Leute, wir sind frei“, habe ich am 21. Dezember 1989 aufgeschrieben. Es kam wie eine Eruption aus mir heraus. Dabei wussten wir die ganze Zeit über, dass diese Freiheit viel kosten wird. Denn Freiheit ist immer auch Freiheit für die Anderen. Es fühlte sich wie eine Revolution an. Es war eine Revolution! Alles driftete auseinander. Die Zentrifugalkräfte waren überstark. Wir fragten uns: Was wird aus uns?

Nach dem Mauerfall waren die Leute massenhaft aus dem Osten Deutschlands in den Westen gezogen. „Wenn dies zu uns kommt, sind wir im Februar nur noch zehn Prozent“ sagte ich zu meinem Bruder im November. Aber wir hofften, dass etwas zu machen sei. Für unsere Gemeinschaft. Am 23. Dezember trafen sich einige von uns, um die Lage zu besprechen. Am 24. Dezember kam der Vorschlag: „Demokratisches Forum der Deutschen in Rumänien“. Es wurde dann landesweit gegründet und hat vielen Menschen helfen können, zunächst durch Verteilung von Hilfsgütern, dann mit Reisevisen, mit der Erstellung von Dokumenten für die Unterstützung der Russlanddeportierten, mit der Gründung landwirtschaftlicher Vereine, mit der Sammlung der Bleibenden beim Sachsentreffen, mit der Erhaltung der Schulen und Schulklassen, aber auch der Zeitungen, mit Tanzgruppen für Jugendliche.

Die Freiheit brachte offene Grenzen und die große Migration, fast 60 Prozent in einem Jahr. Aber zehn Prozent von damals sind wir heute noch, vielleicht etwas weniger.

Aber die Gemeinschaft hat sich konsolidiert. So weit das möglich war. Die Arbeit, die auf den Verbleibenden lastete, war immens. Man stelle sich eine Großfamilie von etwa 25 Verwandten vor, in der noch drei Mitglieder bleiben. Es galt, die Menschen in den neuen Verhältnissen zu begleiten. Vieles ist dabei nur sehr notdürftig gelungen. Aber es zeichneten sich auch neue Möglichkeiten ab. Besonders in Hermannstadt: Im Jahr 2000 wurde Klaus Johannis Bürgermeister, im Jahr 2004 bekamen wir mehr als Zweidrittelmehrheit im Stadtrat. Die Mehrheitsbevölkerung sprach uns das Vertrauen aus und forderte uns. Und wir konnten den Erwartungen entsprechen. Was in der Stadt gelang, ging anderwärts nicht so glatt. Wäre auch zu schön gewesen. Aber wir haben Sinn gefunden. So haben sich die Dinge stabilisiert. Dann kam die Präsidentenwahl 2014. Ein Mann aus unserem Kreise in das höchste Amt des Landes. Viele fragten sich: Wird er es schaffen? Geht er uns nicht verloren? Es wurde nicht leicht. Wir erlebten auch Anfeindungen. Einfach weil wir Leuten im Weg standen. Aber das gehört dazu. Vor kurzem die zweite Präsidentenwahl mit dem Kandidaten von uns, mit Klaus Johannis. Es sieht so aus, als wäre nun die Entscheidung für den westeuropäischen Lebensstil für das gesamte Land gefallen. Auch wenn einige Landesteile dem Alten noch nachhängen. Davon hatten wir bereits vor 30 Jahren geträumt. Es wird Realität. Langsam und mit  Rückschlägen. Aber sehr deutlich erkennbar. Im Jahr 2021 wird es das zweite große Sachsentreffen in Hermannstadt geben. Die Gemeinschaft zwischen denen von uns, die in fernen Ländern leben, und uns hier wird sich vertiefen. Auch mit Hilfe der neuen Kommunikationsmittel. Unser Leben ist seit dreißig Jahren nicht mehr grau in grau. Es hat Sinn, zuweilen deutlich erkennbar, zuweilen verdeckt. Wir dürfen dankbar auf die letzten 30 Jahre zurücksehen. Und wir dürfen hoffen. Mehr als früher.

Hans KLEIN

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Geschichte.