Aufhören stand nie zur Debatte

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Gespräch mit dem Dokumentarfilmer Björn Reinhardt

Ausgabe Nr. 2623

 

Björn Reinhardt  in seiner Wahlheimat.                                   
Foto: Florentina REINHARDT

Björn Reinhardt ist Dokumentarfilmer aus Deutschland. Er lebt jedoch schon über 15 Jahre mit seiner Ehefrau Florentina in Weintal/Valea Vinului in der Maramuresch, im tiefsten Norden Rumäniens. Der HZ-Praktikant Jan Christian Brewer hat ein Interview mit ihm zu seiner Arbeit, zu dem Land und der Zukunft von Beidem geführt.

 

Du hast doch früher in Berlin Bühnenbildner gelernt, was hast du aus dieser Zeit an Knowhow mitgenommen? Und wie kommt man dann dazu, gerade Dokumentarfilme zu drehen?

Ich habe nicht nur studiert, sondern auch viele Jahre als Bühnen- und Kostümbildner gearbeitet. Übrigens auch ein interessantes viertel Jahr lang am DSTT in Temeswar als Gast-Bühnenbildner für eine Kleist-Inszenierung. Das ist zugegeben schon etwas her, aber wer damals mit dabei gewesen war, wird es bis heute nicht vergessen haben.

Der Weg vom Bühnenbildner zum Dokumentarfilmer muss nicht unbedingt dornenreich verlaufen. Vielleicht ist das etwas irritierend, doch wenn man sich meine Filme näher anschaut, stellt man schon fest, dass darin sogar eine Kontinuität zu erkennen ist. Beide Berufe definieren sich durch künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten, die auf visuellen Erfahrungen beruhen.

Wie kamst du dann gerade darauf in Rumänien zu arbeiten, bzw. wie bist du dort hingekommen? Ich hatte ja glaube ich gelesen, dass du als Kind schon hier warst; hat sich damals so eine Art Liebe zum Land entwickelt oder wie war das?

Sicherlich hat es mit einer Begeisterung oder von mir aus auch Liebe zu Rumänien zu tun. Dabei steht bis heute das Erstaunen über die Andersartigkeit dieses Landes im Vordergrund. Um so mehr, wo doch Rumänien seit vielen Jahren verzweifelt versucht, diese Andersartigkeit abzulegen und trotzdem unverwechselbar bleibt. Per Definition kann sich Andersartigkeit in Form von kultureller, sexueller oder politischer Gesinnung auszeichnen, aber auch in Form von andersartigen Moralvorstellungen, Sprache oder Dialekte, sozialem Status oder Religion. Ich meine, in Rumänien einer schwerer zu definierenden Andersartigkeit zu begegnen. Vielleicht eher in die Richtung gedacht, dass der Grund oder die „Schuld“ dafür gerne beim Anderen gesucht wird. Und was mir bei meiner Art zu Filmen immer wieder auffällt, ist, dass die Andersartigkeit oft auch auf eine isolierte Lebensweise zurückzuführen ist.

Du bist 2002 hierher gezogen, warst aber auch schon früher hier. Wie hast du die Entwicklung des Landes wahrgenommen? Stichwort: Stillstand oder Fortschritt? Oder beides? Und wie bewertest du das?

Bewerten möchte ich es nicht, auch nicht kommentieren. Meine Filme sind diesbezüglich aussagekräftig genug und zeigen durch den langen Zeitraum, in dem sie entstanden sehr anschaulich, was sich verändert hat und was genau nicht. Jeder Fortschritt beinhaltet immer auch einen Rückschritt und umgekehrt. Und Stillstand gibt es schon lange nicht mehr, eher ist zu viel in Bewegung und leider auch außer Kontrolle geraten.

Dein bisher letztes fertiggestelltes Projekt war „100 Jahre Duldsamkeit“. Es hat auch mit Europa zu tun. Wie nehmen die Rumänen „Europa“ als Werte-, Wirtschafts- und Staatengemeinschaft wahr? Und was bedeutet es für dich?

Der letzte Film entstand in Oradea und Umgebung, und das genau zum Zeitpunkt, als in Rumänien das hundertjährige Jubiläum der rumänischen Einheit zelebriert wurde. Es gibt in Rumänien sehr unterschiedliche Sichtweisen oder Blickwinkel auf Europa und jeder versucht, für sich dabei etwas herauszuholen.

Ich habe einmal in meinem Film „Mehr oder weniger“ einen eremitisch lebenden, alten und im gewissen Sinne weisen Mann in etwa diese Frage nach dem, was er sich von Europa erwartet gestellt… und fand seine Antwort ziemlich gut: Warten wir‘s ab, sagte er, für’s Warten muss man nicht bezahlen.

Filme wie „Obcina“ wurden mitunter unter extremen Bedingungen aufgenommen. Vor welche Herausforderungen hat dich das gestellt? Hast du mal überlegt, zwischendrin aufzuhören? Oder es sogar getan?

Aufhören stand nie zur Debatte. Die schwierigen Drehbedingungen standen in keinem Verhältnis zu den harten Lebensbedingungen der ruthenischen Minderheit in diesem verlassenen Bergweiler. Insofern empfand ich meine zu bewältigenden Herausforderungen als sehr geringfügig, kurzzeitig und geradezu nicht der Rede wert. Für mich hat meine Existenz nie auf dem Spiel gestanden, während es für meinen Protagonisten in dieser Zeit buchstäblich um Leben und Tod ging. Und wer die drei Filme der „Ruthenischen Trilogie“ kennt, weiß dass er den Kampf leider verloren hatte.

Wie hast du anfangs gearbeitet und wie arbeitest du heute? Wie groß waren und sind deine Dreh- und Schnittteams, welche Technik benutzt du? Hast du auch mal versucht mit Smartphones zu arbeiten, wie es einige größeren Häuser mittlerweile bisweilen mal tun?

Also, ich arbeite immer alleine. Ich drehe das Material für die Filme selbst, entwickle dann die Geschichte Szene um Szene und der Realität angepasst weiter und schneide sie im Zwiegespräch mit mir selbst. Das war so am Anfang und wird auch so am Ende sein. Nur meinen ersten Film „Hinter sieben Burgen“ habe ich mit einem kleinen Kamera- und Tonteam gedreht.

Mit dem iPhone habe ich vor zwei Jahren in Galizien, also in Lemberg und ein paar weiteren ukrainischen Städten einen Film gedreht, einfach aus Interesse an diesem Medium. Mit einem Handy in der Hand fällt man heutzutage in der Öffentlichkeit am wenigsten auf und findet somit eine Menge neuer Möglichkeiten und Spielräume, um intensiver an bestimmte Vorgänge heranzukommen. Trotzdem werde ich das klassische Filmen mit einer Kamera in der Hand, von der Schulter oder dem Stativ dafür nicht aufgeben. Das Smartphone ist einfach zu klein, das Bild auf dem Monitor nicht gut zu kontrollieren und irgendwie überträgt sich die inflationäre Benutzung dieses Mediums auf die eigene Arbeitsweise.

Man bekommt beim Schauen deiner Filme und betrachten deiner Bilder ein wenig den Eindruck einer Zeitreise. Ist das auch ein Punkt, der dich fasziniert?

Ich denke schon. Was mich daran interessiert ist, dass diese Zeitreise gleich hinter der nächsten Straßenzeile beginnen kann. Jederzeit und in beiden Richtungen. In der Maramureş kann man über Türschwellen treten und gleichzeitig Jahrhunderte vor sich lassen. Diese Menschen dann mit dem Heute in Konfrontation oder Kontakt zu bringen ist sehr lehrreich. Und das in erster Linie für den Betrachter.

Wie kommst du zu deinen Titeln für die Filme, abgesehen von den offensichtlichen? Also etwa „Hinter sieben Burgen“? Oder ist das ein reines Wortspiel?

Die Titel entstehen meist plötzlich, sie sind einfach da. Und wenn so ein anfänglicher Arbeitstitel längere Zeit überlebt, bleibt er es auch, bis ich ihn über den Film schreibe.

Der angesprochene Film gilt als dein bekanntestes Werk. Wie kamst du auf den Protagonisten und darauf, einen Film über ihn zu drehen?

Ich glaube nicht, dass dieser Film der bekannteste ist. Das sind eher Filme wie „Obcina“, „Kinderberg“ oder „Polyphonia“.

Der Film, den du meinst, hat natürlich in Siebenbürgen mehr Interesse hervorgerufen. Johann Hopprich habe ich vor ziemlich langer Zeit zusammen mit dem Architekten Szabolc Guttmann kennengelernt. Wir besichtigten damals gemeinsam alte Orgeln in sächsischen Kirchen und kamen dabei auch nach Neudorf bei Hermannstadt. Und als wir den Kirchenschlüssel von Johann bekamen, und er uns natürlich begleitete, wusste ich sehr schnell, dass ich über ihn einen Film drehen musste. So ähnlich ging es mir auch bei einem Film über Kreta, „Kalami“. Manchmal trifft man einen Menschen oder entdeckt ein fast verlassenes Dorf, und man weiß plötzlich sehr genau, dass man darüber einen Film machen wird.

In dem Film ist mir aufgefallen, dass du das Erzählte mit ganz anderen Bildern überlagert hast – etwa die Kriegsgeschichten mit den Schlachtungsszenen. Hast du dich hier bewusst an ein Prinzip oder Vorbild gehalten? Etwa das an „Kuleschow-Prinzip“?

Zu solchen Mitteln, wie von dir beschrieben, greife ich gerne. Das kann man ganz unterschiedlich akzentuiert einsetzen. Manchmal sogar so versteckt, dass es kaum jemandem auffällt und es trotzdem seine Wirkung entfaltet. Hier liegen die eigentlichen Freuden beim Schneiden eines Films.

In dem Foto-Band von dir, „Maramuresch“, dokumentierst du Menschen in der Region in allen Lebenslagen. Du hast dort ausschließlich mit Schwarz-Weiß-Filtern gearbeitet; warum?

Es sind dort Fotos versammelt, die ich aus einem Archiv von tausenden Fotografien ausgewählt habe. Sie sind sozusagen die Essenz und stehen in gewisser Hinsicht schon jenseits von Gut und Böse. Abgesehen davon, dass eine Fotografie sowieso viel konzentrierter sein kann, hilft schwarz/weiß, das Wesentliche herauszustreichen.

Die Bilder hast du mit Texten kommentiert, die sich deftiger Worte bedienen und stark interpretieren. Es wirkte wie die Thematisierung universeller, philosophischer Fragen nach dem Tod, der Liebe, der Ehe, der Geburt und Trauer. Ist der Eindruck korrekt? Wenn ja, hat dir diese Fotoreihe geholfen, die Fragen ein wenig zu beantworten? Und ist es gerade das, was dich an der Region im Norden Rumäniens fasziniert?

Du beschreibst das Anliegen meines Maramureş-Foto/Geschichtenbuchs sehr gut. Oft verbirgt sich das Komplizierte gerade im Einfachen und lassen sich Antworten – von mir aus auch über den Sinn des Lebens – überraschend bei Menschen finden, denen man es eher nicht zugetraut hätte. Und das ist es, was mich an der Maramureş immer wieder fasziniert: nämlich, dass die Kleinen plötzlich die Großen sein können, und die Dummen auch mal die Klugen.

Welche Projekte planst du für die Zukunft? Bist du bereits dabei, etwas Neues zu produzieren?

Ich möchte einen Film in der Maramureş machen, der zeigt, dass es auch dort schön sein kann zu leben, wo man geboren wurde. Und das soll kein Märchenfilm werden… Es ist nämlich frustrierend mit anzusehen, wie immer noch tausende Menschen von hier fortgehen und im Westen um Arbeit und Lohn betteln, damit sie im eigenen Land nicht ewig auf der Stelle treten müssen. Es gibt auch hier im Norden Rumäniens, wo die Karte am Nagel hängt, noch sehr viel Potential und Entwicklungsmöglichkeiten, die leider oft ungenutzt verloren gehen. Um ein ganz einfaches Beispiel zu nennen: In der Maramureş leben sehr viele gastfreundliche Familien, denen es eine Herzensangelegenheit ist, etwas Persönliches von sich zu geben. Und das nicht nur in materieller Hinsicht. So kommt es auch heutzutage bei spontanen Begegnungen zu ungewöhnlich herzlichen Gesprächen, die wie selbstverständlich am Wegesrand entstehen. Und nicht selten erlebt man staunend, dass diese wunderbaren Menschen dafür ihre Arbeit stehen und liegen lassen, aufrichtig gemeinte Einladungen aussprechen und Adressen austauschen. In Westeuropa habe ich diesbezüglich leider andere Erfahrungen gemacht. Ist hierin nicht ein großer Vorzug in der Wesensart dieser Menschen zu erkennen? Das darf nicht wie anderenorts verloren gehen, oder, was damit einhergeht, ausgenutzt werden. In etwa so, wie – ich nenne sie mal „Bukarester“ – es genießen, in der Maramureş traditionellen „Urlaub auf dem Land“ zu machen und dabei die Bereitschaft der Gastgeber – sagen wir mal – überstrapazieren. Man sollte dieses seltene Potential nicht damit kaputtmachen, indem man es als selbstverständlich voraussetzt und gedankenlos ausnutzt. Die Maramureş hat ein erstaunlich breitgefächertes touristisches Potential, an dem die Menschen meiner Meinung nach den größten Anteil haben. Die wirklich schönen Holzhäuser und Holztore verschwinden immer mehr und wer ihretwegen bis hierher gekommen ist, fragt sich längst, ob er vielleicht betrogen wurde. Die Wassertalbahn Mocănițaist bereits zu einer Massenattraktion umfunktioniert geworden, deren einstige Andersartigkeit der ahnungslose Tourist vergeblich sucht. Wenn jetzt auch noch die Eigentümlichkeiten der Bewohner verloren gehen, wird es keine wirklich interessante Perspektiven geben und es auch hier bald so wie überall aussehen.

Du hast zuletzt auch einige Filme außerhalb Rumäniens, in Albanien etwa gedreht. Welche Gegenden und Länder stehen noch auf der „Liste“?

Eine Filmidee entsteht bei mir oft auch spontan. Doch bei über 50 Filmen, die ich inzwischen verwirklicht habe, überlege ich mir schon sehr genau, ob ich diesen Film dann mache oder eher nicht. Aber zum Glück ist das Leben so vielfältig und überraschend, dass es immer wieder neue Themen gibt.

Ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche viel Erfolg und Glück in der Zukunft!

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Film.