Eginald Schlattner und Walther Gottfried Seidner gewidmete Tagung
Ausgabe Nr. 2600
Zu kurz gekommen seien Lesungen aus dem Werk der beiden Schriftsteller und Pfarrer, denen die Tagung „Zwischen Kanzel und Schreibpult“ gewidmet war, die am 25. und 26. Oktober im Hans Bernd von Haeften-Tagungshaus der Evangelischen Akademie Siebenbürgen stattgefunden hat, meinte eine Teilnehmerin. Zu Recht. Leider lagen objektive Gründe vor. Eginald Schlattner, der am 13. September d. J. seinen 85. Geburtstag gefeiert hatte und am ersten Abend mit einer Lesung eingeplant war, musste sich einer Not-OP unterziehen und konnte dieser Einladung nicht Folge leisten. Der zweite Geehrte, Walther Gottfried Seidner, genannt „Voltaire“ war knapp vier Monate nach seinem 80. Geburtstag am 26. August d. J. seinem schweren Leiden erlegen.
Die Abwesenheit der beiden Autoren tat jedoch der Lebendigkeit der Tagung keinen Abbruch. Die Veranstalter von der Evangelischen Akademie Siebenbürgen und der Lucian Blaga Universität Hermannstadt hatten ein abwechslungsreiches Programm vorbereitet und erfreuten sich auch der finanziellen Förderung seitens des Landes Kärnten.
Einwerfen möchten wir noch, dass Eginald Schlattner bei der 3. Auflage der Gala der Géza Domokos-Preise am 26. Oktober (also am zweiten Tagungstag) in Sankt Georgen mit dem Preis geehrt wurde, dessen Namen auf die Persönlichkeit des früheren Direktors des Kriterion-Verlags zurückgeht, der in diesem Jahr seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte.
Zur Eröffnung der Tagung am Donnerstag der Vorwoche begrüßte der EAS-Vorstandsvorsitzende Dietrich Galter die Anwesenden und würdigte seine früheren Amtskollegen. Von seinem Amtskollegen Walther Seidner wusste er aus seiner eigenen in der gemeinde Jaad bei Bistritz verbrachten Kindheit zu berichten, der damals als junger Pfarrer in Sankt Georgen „am südwestlichen Rande des Nösnerlandes“ amtierende Walther Gottfried Seidner habe es verstanden, die Kinder nicht durch die Geschichten, die er erzählte, in eine Wunderwelt zu entführen: „Nein, mehr noch, er konnte richtig zaubern!“
Bevor aber einige Mitglieder der Seidner-Familie zu Wort kamen und bestätigten, dass „Voltaire“ auch ihre Kindheit regelrecht „verzaubert“ habe, trug die Germanistin und Leiterin des Friedrich Teutsch-Kultur- und Begegnungszentrums, Gerhild Rudolf, ihr Referat zum Thema „Siebenbürgen und die deutsche Sprache in Kirche und Literatur“ vor. Sie bot darin „kulturlinguistische Denkanstöße“ an, wobei sie von vornherein darauf hinwies, dass bei dem Deutsch in Siebenbürgen keinesfalls von einer „Sprachinsel“ die Rede sein könne. Die Siebenbürger Sachsen hätten zum Großteil über eine Dreisprachenkompetenz verfügt, wobei Einflüsse vorprogrammiert waren. Sie bedauerte u. a., dass sehr wenig Predigttexte evangelischer Pfarrer in Sammelbänden vorliegen und wies sodann auf die beiden „belletristisch schreibenden Pfarrer“ hin, denen die Tagung gewidmet war. Eginald Schlattner verwende z. B. ein „facettenreiches Idiom“ und es wäre interessant, die literarische Onomastik in seinen Werken zu untersuchen. Bei Walther Gottfried Seidner seien vor allem die „schmunzelnden Wortschöpfungen“ hervorzuheben. Beide Autoren bewiesen laut Rudolf, „dass es nach der Wüstenwanderung der Diktatur und der Sintflut der Auswanderung noch deutsche Literatur in Siebenbürgen gibt“.
Im Anschluss erinnerten sich Uwe, Britta und Senta Seidner an ihren Vater, ihre Schwester Melitta konnte nicht dabei sein, hatte aber einen kleinen Beitrag über „Das Wirken meines Vaters in den Zwischenräumen“ zugeschickt, der verlesen wurde. Uwe Seidner, der heute Pfarrer in Wolkendorf ist, schätzte es, dass er auf dem Pfarrhof in Stolzenburg gelernt hat: „Ein Pfarrer hat nie 100 Prozent Privatsphäre.“ Senta Seidner erinnerte sich u. a. daran, wie sich ihr Vater bemüht habe, den Religionsunterricht so spannend wie möglich zu gestalten. Die jüngste der vier Geschwister, Britta Seidner, erzählte u. a. von dem „Abenteuer“, ihren Vater in Hermannstadt zum Brotkauf zu begleiten, was manchmal sogar zwei Stunden dauern konnte…
Zum Abschluss des ersten Tagungstages trug eine der Organisatorinnen, die Germanistin Andreea Dumitru-Iacob einige Gedanken zu Eginald Schlattners Text „Ja nicht ja. Walther Gottfried Seidner zum 80.“ vor, der in der dem „siebenbürgischen Voltaire“ gewidmeten Festschrift nachzulesen ist. Diese Festschrift stellte Andreea Dumitru-Iacob dann auch zum Abschluss der Tagung am Freitagmittag dem Publikum vor.
Die Eginald Schlattner zum 85. Geburtstag gewidmete Festschrift, die unter dem Titel „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ von Rudolf Gräf, Gabriella-Nóra Tar und Ioana Florea herausgegeben wurde, hätte man gerne auch einen Text von „Voltaire“ zu seinem Amts- und Schriftstellerkollegen gelesen, lautete ein Kommentar aus dem Publikum. Leider lag diese Festschrift, die als 5. Band der Reihe „Studia Germanica Napocensia“ in dem Verlag der Klausenburger Babeș-Bolyai-Universität erschienen ist, nicht vor.
Ihren Beitrag aus dieser Festschrift – „Die Bedeutung der religiösen Prägung für die Hauptgestalten in Eginald Schlattners Roman Das Klavier im Nebel“ – stellte die Hermannstädter Germanistin Sunhild Galter am Freitag zum Abschluss der Tagung vor. Der Vortrag war eine einzige Einladung an alle Anwesenden, nicht nur den Roman erneut zu lesen sondern auch dessen Verfilmung, die durch den verstorbenen Regisseur Radu Gabrea erfolgte, der auch die beiden anderen Romane Schlattners verfilmt hat.
Ebenfalls in diesem Band erschienen ist auch der „‚Mythische Erinnerungsorte‘ im literarischen Werk des Pfarrers und Schriftstellers Eginald Schlattner“ getitelte Vortrag von Altbischof Christoph Klein, den dieser am zweiten Tagungstag vorlas.
Der „Sprachpraxis zwischen Tradition und Moderne in den Dramen Walther Gottfried Seidners“ ging die Germanistin Anne Türk-König zum Auftakt des zweiten Tagungstages nach und stellte fest: „Seidner holt das siebenbürgisch-sächsische Mundartdrama aus dem Dornröschenschlaf“. Türk-König ging in ihrem Referat näher ein auf Stücke wie „Das Wetttränen/Det Ärwstäck“ oder „Der Sherlock Honnes“ ein, in denen der Autor alte Volksweisheiten auf die Schippe nimmt und den Aberglauben entlarvt, in einem „typisch siebenbürgischen, gut nuancierten und lustigen Sprachzauber“. Als großer Kenner des deutschen Wortschatzes veranstalte Seidner ein „Feuerwerk sprachlicher Besonderheiten“.
In die gleiche Kerbe schlug Gerhard Konnerth mit seinen spannenden „Überlegungen zum Gesamtzusammenhang der Gedichte ‚Haiku im Herbst‘ und ‚Abendsonne‘ von Walther Gottfried Seidner und ‚Das Fräulein stand am Meere‘ von Heinrich Heine.
Ihnen, liebe Leserinnen und Leser soll anhand der unten abgedruckten Texte die Gelegenheit geboten werden, auch selbst einige Überlegungen anzustellen:
Heinrich Heines Gedicht lautet: „Das Fräulein stand am Meere/Und seufzte lang und bang,/Es rührte sie so sehre/Der Sonneuntergang. // Mein Fräulein, sei’n Sie munter,/Das ist ein altes Stück;/Hier vorne geht sie unter/Und kehrt von hinten zurück.“
Die beiden Gedichte Seidners: Haiku im Herbst: „Kastanien schlagen die Wimper hoch und die Augen nieder./Blätter wie Kinderkleider liegen umher./Wo sond die Kinder geblieben? // Und der Wimper entfällt das Auge.“; Abendsonne (Irene deutet die Abendsonne in einem Haiku): „Die Sonne hat ihre Milch ausgetrunken/und die rosa Decke über den Kopf gezogen./Jetzt schläft sie bis morgen früh. // Dann wacht sie auf zum Kakao.“
Beatrice UNGAR