Claudiu M. Florian las im Erasmus-Büchercafé
Ausgabe Nr. 2602

Claudiu M. Florian und Aurelia Brecht.
Foto: Beatrice UNGAR
„Was ist Heimat?“ Die von dem Demokratischen Forum der Deutschen in Hermannstadt und dem Institut für Auslandsbeziehungen Stuttgart veranstaltete Lesereihe unter diesem Titel wurde am Montag abgeschlossen mit einer Lesung des Autors Claudiu Mihail Florian. Dialoge entstehen über das Thema, Fragen werden gestellt und Antworten gegeben, die Zuhörer sind eingestiegen in das sehr aktuelle Thema.
Im Land seiner Ahnen, im Land seiner Geburt, in Siebenbürgen, in dem Erasmus-Büchercafé im Friedrich-Teutsch-Haus in Hermannstadt, liest uns Claudiu Florian aus seinem Roman „Zweieinhalb Störche” vor. In dem kleinen Städtchen Reps/Rupea unweit von Kronstadt wurde er 1969 geboren, studierte in Bukarest und in Deutschland. In der Rumänischen Botschaft in Berlin arbeitete er als Kultur- und Presseattaché, kam dann an die Rumänische Botschaft nach Bern in die Schweiz. Seit einiger Zeit ist er Direktor des Rumänischen Kulturinstituts in Berlin. Bereits 2008 erschien das Buch im Transit Verlag in Berlin. 2016 erhielt er dafür den European Union Prize for Literature.

Claudiu M. Florian: Zweieinhalb Störche. Roman einer Kindheit in Siebenbürgen. TRANSIT Buchverlag, Berlin, 2008. 235 Seiten. ISBN 978-3-88747-235-1
Aus der Sicht eines Kindes erzählt Florian uns vom Städtchen seiner Kindheit, von der Familie, den auswandernden Nachbarn, den Großeltern an der Donau und anderem, auch das politische Empfinden eines Kindes in der Zeit der Diktatur Ceaușescus hat er aufgefangen und niedergeschrieben.
„Wir sind hier. Aber wir sind nicht alleine – und hier ist nicht der einzige Ort auf der Welt. Tatsächlich endet der Himmel in den Wäldern hinter der Zitadelle, hinter dem Tal und weit weg, zwischen den Hügeln links und rechts, aber alles, was er hier bedeckt, ist selbst nur ein Teil von mehreren möglichen Wegen. Weil es mindestens zwei weitere Orte auf der Welt gibt. Oder vielleicht drei.”
Bereits in Berlin war ich bei Florians Lesung dabei und hörte gespannt seinen Kindheitsgeschichten zu, doch hier in Hermannstadt sind Zuhören und Wahrnehmung anders. Die Hügel, die Zitadelle, die Täler und die Dörfer dahinter ziehen gedanklich vorbei, inmitten des Geschehens bin ich angekommen. Liebevoll wird der Urgroßvater Otata genannt, wie es in siebenbürgischen Familien seit alters her üblich ist.
Multikulturell wächst Claudiu Mihail Florian inmitten der Karpaten auf und lacht schon manches Mal selbst über seinen Akzent, geprägt durch Großmutters Deutsch und Großvaters Rumänisch, die konfessionelle Vielfalt kommt hinzu.
Über Heimat wird gesprochen, doch jeder Mensch empfindet Heimat anders, definiert sie auch anders. Das Wort hat für jeden eine andere Bedeutung, einen anderen Hintergrund, ist eben ein sehr individuelles Empfinden. Florian sagt: „Meine Heimat ist dort, wo ich gerade wohne, wo ich mich gut fühle, mein Geburtsort ist ganz woanders, dort, wo ich nur fünf Jahre meiner Kindheit verbrachte“. ifa-Kulturmanagerin Aurelia Brecht moderiert die Gespräche, wirft selbst Fragen auf und wartet auf Antworten.
„Ein kurzweiliger, beeindruckender Ausflug in eine andere Welt mitten in Europa – und die Entdeckung eines neuen erzählerischen Talents” ist auf der Rückseite des Buchumschlags zu lesen. „Die Welt, in der unser Hof liegt, und in die der Frühling allmählich wieder einkehrt, nennt sich Ort, doch der Großvater, wenn er gerade mal wieder ausgeht, meint häufig, er ginge ‚in die Stadt‘, und die Großmutter nach langem Weg zu Fuß, seufzt, sie käme ‚din capu satului‘, was soviel heißt, wie ‚vom Ende der Dorfes‘, sich jedoch so anhört wie ‚vom Ende der Welt‘.“ Soweit Florian.
Die „Zweieinhalb Störche”, der Roman einer Kindheit in Siebenbürgen, ist bereits zehn Jahre alt, die Zeit läuft weiter, in fünfzig Jahren gehört das Buch zu den Klassikern und ist ein Geschichtsbuch geworden, doch wir lesen es jetzt, fahren nach Reps und ins Tal dahinter und erkennen, was „das Kind” meint.
Christel WOLLMANN-FIEDLER