Keine interpretatorischen Spielräume

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„Hermannstädter Gespräche“ über Schulgeschichtsbücher und das Jahr 1918

Ausgabe Nr. 2584

Die eingeladenen Gäste der Hermannstädter Gespräche: (v. l. n. r.) Dr. Răzvan Părăianu, Dr. Manuela Marin, Winfried Ziegler, Raul Rognean, Prof. Dr. Hans-Christian Maner und Aurelia Brecht.       
Foto: Cynthia PINTER

„Autobiographien der Nation: Schulgeschichtsbücher in Rumänien und das Jahr 1918“, war das Thema der „Hermannstädter Gespräche“, die am Montag im Spiegelsaal des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt stattfand. Die Veranstaltung moderierte Aurelia Brecht (Institut für Auslandsbeziehungen).

 

Einen Einstieg in das Thema gab der aus Siebenbürgen stammende Historiker und Osteuropa-Experte Prof. Dr. Hans-Christian Maner, Professor im Historischen Seminar an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er präsentierte ein Referat zum Thema Schulgeschichtsbücher in Rumänien, wobei er sich besonders darauf bezog, wie das Jahr 1918 und die Entstehung eines neuen Staates Rumänien für Schülerinnen und Schüler erzählt wurde. Präsentiert wurden verschiedene rumänische Schulgeschichtsbücher für unterschiedliche Klassen.

Die Schulgeschichtsbücher der Zwischenkriegszeit seien laut Prof. Maner gekennzeichnet durch die Nähe zu den Ereignissen des Jahres 1918 und dadurch, dass die Autoren selber Zeitzeugen gewesen sind. Als erstes stellte Prof. Maner das aus dem Jahr 1931 stammende Schulbuch „Geschichte der Rumänen“ für die dritte Gymnasial- und vierte Lyzealklasse, das von Nicolae Iorga verfasst wurde, vor. Über die Ereignisse des Jahres 1918 gibt es darin ein Kapitel mit dem Titel „Der Krieg für die nationale Einheit“. Das Kapitel beginnt mit den Ereignissen in Bessarabien, Iorga verkündet irrtümlicherweise am 24. Januar 1918 die Vereinigung Bessarabiens mit Rumänien. Richtig gewesen wäre die Unabhängigkeit der Republik Moldau. Zwei Seiten später erfährt dann der Leser, dass am 28. November 1918 ein in Czernowitz versammelter Nationalrat die bedingungslose Wiedervereinigung der Bukowina mit Rumänien vorgenommen hat. Im nächsten Satz steht die Vereinigung von Siebenbürgen, dem Kreischgebiet, der Maramuresch und des Banats. Diese legte Iorga auf den 2. Dezember 1918 fest. Die Versammlung tags zuvor und den 1. Dezember 1918 hält Iorga nicht für relevant, um es für Schülerinnen und Schüler aufzuschreiben.

Weiter ging Prof. Maner auf die Geschichtsbücher ein aus den Jahren 1942 (aus der Zeit des Regimes Ion Antonescu und während des Zweiten Weltkrieges, von Petre P. Panaitescu), 1947 (das erste Schulbuch nach dem Zweiten Weltkrieg und dem gesellschaftspolitischen Umbruch, von Mihail Roller), 1960 (aus der Ära Gheorghe Gheorghiu-Dej, verfasst von Dumitru Almaş). In den Lehrbücher der 1970-er und 1980-er Jahren trete, neben einer Synthese des Marxismus-Leninismus, der Nationalismus gänzlich in den Vordergrund. Für die Schulgeschichtsbücher, die ab den 1990-er Jahren erschienen, stelle die Zeit ab dem Ersten Weltkrieg einen deutlichen Schwerpunkt dar.

Abschließend und schlussfolgernd sagte Prof. Dr. Hans-Christian Maner: „Mit den Ausführungen über die Zeit um 1918 erhalten die Schülerinnen und Schüler in den Schulgeschichtsbüchern über weite Strecken ein festgefügtes kanonisches Wissen, das keine interpretatorischen Spielräume zulässt. Hierbei geht es lediglich darum, sich dieses Wissen anzueignen und nicht dieses zu beurteilen oder zu reflektieren bzw. historisch denken zu lernen. Hinderlich ist für ein ausgewogenes historisches Lernen auch die häufig stark wertende Sprache, der überwältigende Ton mit den vielen Anpreisungen und Lobeshymnen. Zudem fehlt eine deutliche Trennung zwischen Darstellung, Analyse und Wertung. Eine sachliche und ausgewogene Darstellung kann sich erst sehr spät durch die Möglichkeit der alternativen Schulgeschichtsbücher den Weg bahnen.”

Im Anschluss des Vortrags kamen die eigeladenen Gäste Dr. Răzvan Părăianu, von der Petru-Maior-Universität Klausenburg, Dr. Manuela Marin, von der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg, Winfried Ziegler, Geschäftsführer des Siebenbürgenforums und Raul Rognean, Geschäftsführer des Hermannstädter Forums zu Wort. Abschließend äußerte sich Friedrich Philippi, Geographie-Lehrer in Rente, zum Thema. Er hatte im Hinblick auf die Veranstaltung diverse Schulgeschichtsbücher mitgebracht, aus denen er Passagen vorlas, die dem Jahr 1918 gewidmet waren.

Cynthia PINTER

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Geschichte.