Ausgabe Nr. 2578
HZ-Sonderpreis für Kreativität (V)
Bei der Landesphase des Schülerwettbewerbs im Fach Deutsch als Muttersprache hat die Hermannstädter Zeitung für jede Klasse einen Sonderpreis für Kreativität vergeben. Außer einem Jahresabonnement, einer Jubiläumsmedaille, einem T-Shirt und einem Buch gehört zum Preis, dass die prämierten Aufsätze in der HZ veröffentlicht werden.
In der aktuellen Ausgabe lesen Sie den Aufsatz der Schülerin Anna-Katharina Henning (11. Klasse, Brukenthalschule Hermannstadt).
„Guten Abend, mein Name ist Franziska Pazer und ich bin eine ehemalige Klassenkollegin von Viktoria Schilling. Sie ist erst in der sechsten Klasse zu uns gekommen, da sie damals in unsere Kleinstadt gezogen ist, um eine Art „Neuanfang“ zu gestalten, da sich ihre Eltern getrennt hatten. Damals hat sie sich zu mir gesetzt, in der Hoffnung, in mir eine Freundin zu finden. Da hatte sie ein richtiges Gefühl, denn wir haben viel Zeit miteinander verbracht. Sie erzählte mir oft von ihrer Kindheit auf dem Land, von ihrer Freiheit die sie da hatte und die sie hier vermisst. Doch Viktoria gewöhnte sich schnell an die urbane Umgebung und wollte sogar, nach ihrem Abitur, eine Ausbildung zur Sekretärin abschließen. Meiner Meinung nach, war das ein passender Job für sie, denn sie bewies schon in der Schule ihre Pünktlichkeit, ihre Schulbank war stets ordentlich und für die nächste Stunde vorbereitet und dazu kam noch ihre Hilfsbereitschaft die sie im Umgang mit ihren Mitmenschen zeigte.“
Ehemaliger: „Guten Abend. Ich bin Thomas Faber und ich bin ein Mitarbeiter von Viktoria, ich meine natürlich Frau Schilling, Entschuldigung! Ich kenne sie schon seit ihrer Ausbildung in unserem Betrieb. Sie war von Anfang an fleißig, zugegeben, vielleicht sogar fleißiger als so manch anderer Angestellter. Man konnte immer auf sie zählen, Überstunden machte sie auch, wenn es nötig war, doch eines verstand ich nicht: wie kann so jemand immer gut gelaunt sein und einen witzigen Spruch auf Lager haben? Wir verstanden uns echt gut und redeten oft in den Pausen miteinander. Eines Tages bedankte sie sich bei mir, dass ich für sie da wäre und das klang total schnulzig… Das wusste sie auch und rollte mit den Augen. An ihrem Geburtstag lud sie mich zu einem Kaffee ein und ich stimmte natürlich zu, denn es gab Kaffee und ein Plauderchen mit Viktoria. Es war ihr sechsunddreißigster Geburtstag und sie schien nicht wirklich glücklich, als ich mich zu ihr ins Café setzte. Ich fragte sie, was los war und schlürfte an dem Gottestrank namens Kaffee. Viktoria packte also aus. Sie hat realisiert, dass sie jetzt schon achtzehn Jahre lang in dem Betrieb gearbeitet hat und sie findet es erschreckend welch ein monotones, graues Leben sie in den Jahren gehabt hat im Vergleich zu ihren ersten achtzehn Jahren. Ihre Kindheit und ihre Jugend waren so bunt und nuanciert von Höhen und Tiefen in ihrem Leben: erster Schultag, erste Zahnlücke, erste Prüfung, erster Freund, erster Kuss, Scheidung, neue Wohnung, neue Klasse. Sie war plötzlich so mitgenommen von dieser Erkenntnis… Ich kannte sie nicht so. Ich wusste erst nicht was ich sagen soll, doch dann hat sie einen klaren Entschluss gefasst. „Ich kündige!“. Die Worte fehlten mir weiterhin, jedoch war ich mir sicher, dass sie mit dieser Entscheidung glücklicher sein wird, Ich unterstützte Viktoria Schilling also mit dem Ratschlag ein Sabbat-Jahr zu machen. Ein Jahr Pause vom Beruf. Die nötigen finanziellen Mittel hatte sie ja, sie war ledig und hatte keine Kinder, aber Ersparnisse. Unser Chef war nicht so begeistert von ihrer Kündigung, da er eine gute Arbeitskraft verlieren würde, aber er willigte ein, um Frau Schilling eine Freude zu machen.“
„Gut ‘n Abend! Frau Schilling macht jetzt Chilling! Hehehe! Ich bin Nils Lüriher und hab Viki beim Laufen im Park kennengelernt. Die Süße hat mir erzählt, dass sie keinen Bock mehr auf den ganzen Bürokram hatte, Ordner, Schreibtisch, PC, Bleistiftrock, Bluse, hohe Schuhe. Sie hat sich also freigenommen, ein ganzes Jahr. Aber muss ich schon sagen, ist ziemlich nice. Ich selber bin ein freier Mann und gestalte meinen Tagesablauf selbst. Schon zwei Wochen nach ihrer Kündigung hat sie sich ein neues Ziel gesetzt, die Teilnahme am Halbmarathon. Fand ich erstmal interessant und dann scheinbar unmöglich, aber dann war es doch was Nettes, also meldete ich mich gemeinsam mit ihr an. Trotz der Tatsache, dass wir beide keine blumige Vergangenheit in Sachen Sport hatten. Dennoch verabredeten wir uns regelmäßig zum Laufen und ich muss schon sagen, Viki und ich haben schon mächtig Fortschritte gemacht. Ich bin stolz auf uns, aber am stolzesten war ich, als Viki unter den ersten ins Ziel gekommen ist.“
„Ich wünsche Ihnen ebenfalls einen guten Abend. Ich bin Ute Müller, die Mutter von Viktoria Schilling. Schon als Kind war Viktoria eine aufgeweckte Person, sehr zielsicher und ehrgeizig. Nach der Scheidung war sie immer noch selbstbewusst und optimistisch. Viktoria ist eine Person, die auf ihren eigenen Beinen steht. Darum haben sie viele beneidet, unter anderem auch ihr Bruder Paul. In der Schule und im Job war sie immer unter den Ersten. Da habe ich mir schon Sorgen gemacht. Woher kommt dieser Leistungsdruck? Wieso ist sie so? Sie wurde frei erzogen, ohne jeglichen Forderungen. Es war sie selbst und ihr starker Wille. Durch ihre Sturheit hat sie schließlich auch gekündigt. Das hat mir wieder große Sorgen bereitet. Viktoria hatte doch keinen Lebenspartner an ihrer Seite. Umso mehr Sorgen ich mir machte, desto glücklicher war ich, als ich ihr Interview in der Lokalpresse las. Nach dem Marathon befragte sie ein Praktikant und schrieb einen Artikel zu ihrer Geschichte. Dieser Artikel hat uns auf besondere Art und Weise hierher zusammengebracht.“
„Guten Abend! Ich bin Paul Schilling, der Bruder von Viktoria. Ich möchte mit einer Beichte beginnen. Ich war oft neidisch auf Viktoria. Sie war immer so entschlossen und auch so locker, dass ich so sein wollte wie sie. Das sollte aber keiner wollen, denn Vergleiche sind das Gift dieser Gesellschaft. Jeder ist ein Unikat und sollte stolz auf sich sein. Auch Viktoria hat ihre Schwächen und Probleme, mit denen sie zurechtkommen muss. Man sieht sie bloß nicht auf den ersten Blick. So, jetzt war ich genug Moralapostel. Ich wollte eigentlich nur sagen, dass ich dir, liebe Viktoria, alles Gute Wünsche und dir den Erfolg gönne.“
„Guten Abend allerseits! Ich bin Alexander Blitz, der Fotograf, dessen Fotos hier ausgestellt werden. Ich möchte mich zunächst bei allen bedanken, die zu dieser Vernissage gekommen sind und ihren Teil der Vorgeschichte erzählt haben, die zu diesem Bild geführt hat. Ich persönlich habe in der Lokalzeitung von Viktoria erfahren. Ihr Denken hat mich sehr inspiriert und als Fotograph möchte man natürlich auch Menschen inspirieren, sie zum Nachdenken bringen. Ich nahm also Kontakt zu ihr auf und fragte sie, ob sie dazu bereit wäre, selber im Foto zu sehen zu sein, da sie ja nun Zeit hatte und die Quelle dieser ganzen Bewegung war. Sie stimmte zu, doch sie wollte nicht, dass man ihr ins Gesicht sieht, damit sich jeder mit dem Bild identifizieren könne. Die Idee fand ich super. Zum Shooting habe ich noch ein paar Symbole mitgebracht, um die Botschaft von Viktorias Aussage zu unterstreichen. Die Uhr ist dazu da, um zu illustrieren, dass es wichtig ist, die Zeit immer im Auge zu behalten. Zeit ist das größte Geschenk was wir haben, dass wir nicht unterschätzen und nie vergeuden sollten. Die rote Tasche im Hintergrund zeigt, dass Materielles nicht wichtig ist und keinen großen Wert in unserem Leben haben sollte, es hat eben eine Stellung im Hintergrund. Die gelbe Farbe zeigt Frische, Optimismus, den Neuanfang. Das Gelb aus den Turnschuhen steht im Kontrast zu den schwarzen, einfachen hohen Schuhen, die nicht unbedingt schlecht sind, aber ausgedient haben und mit der Zeit langweilig geworden sind. Die Sportschuhe in Gelb symbolisieren die Flexibilität die entsteht, wenn man aus einem Rhythmus flieht. Zum Schluss möchte ich mich noch einmal bei Ihnen bedanken, dass Sie Teil der Verbreitung folgender Aussagen sind: Lebe den Moment! Deine Zeit ist jetzt! Wage den Schritt in ein neues Leben!“
Anna-Katharina HENNING