Gespräch mit Rudi Schmückle (1940-2011) am 22. Oktober 2010 in Hermannstadt
Ausgabe Nr. 2572
Sieben Jahre sind es am 5. April, seit der Hermannstädter Künstler Rudi Schmückle einem schweren Leiden erlegen ist. Seine Karikaturen waren schon in den ersten Ausgaben der Hermannstädter Zeitung zu bewundern. Zum Gedenken an einen großen Freund der Stadt veröffentlichen wir im Folgenden ein Gespräch, das die Berliner Autorin und Fotografin Christel Wollmann-Fiedler am 22. Oktober 2010 mit dem Künstler geführt hat, aus Anlass seiner Jubiläumsausstellung – am 10. März 2010 hatte Rudi Schmückle seinen 70. Geburtstag gefeiert.
Vor einem Jahr habe ich in Hermannstadt unzählige schwarz-weiße Postkarten mit schiefen Türmen gekauft und sie in die weite Welt verschickt. Damals wusste ich nicht, von wem sie waren. Gestern habe ich in Ihrer Ausstellung in der Habitus-Buchhandlung gesehen, dass Sie nicht nur „schräge“ Türme gestaltet haben. Außerdem sind Sie ein vorzüglicher Karikaturist. Was sind Sie denn noch alles, als was bezeichnen Sie sich?
Ich war lange Zeit als Kunsterzieher als Lehrer, in Heltau in der Textilschule beschäftigt. Das waren einundzwanzig sehr schöne Jahre. Dort habe ich den Schülern richtiges Zeichnen beigebracht und dekoratives Gestalten, sowie Textildesign für Gymnasiasten, Berufsschüler und Meisterschüler. Mechaniker bzw. Weber wollten diese jungen Menschen werden.
Wie kamen Sie auf das Zeichnen?
Das Zeichnen hat mir immer Spaß gemacht, seit der Kindheit. Wenn man Ruhe vor mir haben wollte, dann hat man mir ein Blatt unter die Nase geschoben, mir Bleistifte und Farbstifte gegeben. Und ich habe mit Begeisterung gezeichnet. In der Schule haben mich die Lehrer zum Zeichnen des didaktischen Materials, bereits in der Grundschule und später im Gymnasium herangezogen. Diese Leidenschaft und Begabung hat sich dann immer weiter entwickelt. Dann nahm ich Kontakt zu Künstlern auf. Mir hat es immer imponiert, etwas Neues zu finden und auszuprobieren. So bekam ich z. B. nach jedem Besuch im Brukenthalmuseum neue Ideen.
Am Anfang habe ich mich selbst ausgebildet, dann kamen Lehrer hinzu. Ich meine nicht Zeichenlehrer, sondern andere Lehrmeister. Ich habe Maschinenbau studiert. Dort hatte ich einen sehr guten Lehrer im Technischen Zeichnen und in der Festigkeitslehre in Mechanik. Das hat mich angespornt. Ich habe schon damals eine sehr gute technische Begabung gehabt, parallel zum Freihandzeichnen. Für mich war das Entwerfen einer Handskizze etwa ganz Einfaches. Das technische Zeichnen hat mich zu dieser Genauigkeit hingeführt. Es wirkte dann wie eine Federzeichnung. Da muss ich meine Hand loben, dass sie nicht zittrig ist für die Schraffuren, die ich in meinen Zeichnungen verwende. Meine sehr gute Ausbildung in Klausenburg war mir weiter behilflich.
War das eine Hochschule in Klausenburg, wo sie studiert haben?
Ja, hier habe ich eine Ausbildung als Diplom-Lehrer für Technisches Zeichnen bekommen und ging dann aber nicht sofort ins Lehramt. Ich habe erst ein Praktikum in einer Buchdruckerei in Hermannstadt gemacht im Jahr 1967/68. Dort habe ich Graphiken, Illustrationen, Vignetten und alles, was man so gebraucht hat, angefertigt. Dann bin ich zur Zeitung. Am 25. Februar 1968 ist die Hermannstädter Zeitung zum ersten Mal erschienen, in der zweiten Ausgabe war ich schon dabei und in der dritten war ich schon dabei mit meinem Titelblatt.
Durften Sie in dieser Zeit auch schon „freie Kunst“ betreiben?
Ja, aber nur für mich alleine und ich war auch schon mitbeteiligt an verschiedenen Kunstausstellungen, die die Filiale Hermannstadt des Rumänischen Künstlerverbands. Da waren immer dieselben Themen: Der Sozialismus, der Kommunismus, die Geschichte der Partei. Ich habe mich da immer „herausgewurschtelt“ und habe nie so etwas gezeichnet. Sehr selten habe ich dann einen Auftrag der Zeitung bekommen, d. h. nur ein oder zwei Titelblätter zum 23. August habe ich gezeichnet mit kommunistischen Symbolen. Ansonsten bin ich nicht linientreu gewesen. Deshalb hatte man mich auf die Seite geschoben. Entweder waren die Rahmen zu bunt, oder es war etwas zu dekorativ, irgend etwas haben sie immer gefunden, irgendeinen Quatsch. Dann habe ich einen Ausflug in die Karikatur unternommen.
Wen haben Sie denn karikiert?
Themen, keine Karikaturen, die die negativen Seiten des Regimes gezeigt haben. Meine Ausstellungen sind immer von Parteibonzen isoliert worden. Es gab ja die Zensur. Ich habe einen großen Braten aus dem Stern ausgeschnitten, der auf einem Teller lag. Anstatt eines Messers habe ich eine Gabel und eine Schere dazugemalt. Das sollte zeigen, dass keine Portionen geschnitten werden können. Dann eine schöne Collage mit einer Flasche Wodka ziemlich groß und ich habe eine Zitze drangezeichnet, anstatt eines Kopfes. Da meinte der Aktivist. „Verspotten Sie die Sowjets?“ Bei der letzten Ausstellung 1987 habe ich 30 Stühle ausgestellt und hier ist eine Rattenfalle. Dann gab es einen Stuhl mit „Kent“. Denn damals konnte man mit „Kent“ überall hin, das war ein Bakschisch.
„Kent“-Zigaretten waren ein Bakschisch?
Ja, wenn mich ein Arzt untersuchen sollte, musste ich ihm eine Stange „Kent“ mitbringen.
Sie haben erzählt vom Stern, eine westdeutsche Illustrierte? In der DDR bekam man solche Zeitschriften nie. Wenn wir am Grenzübergang welche aus dem Westen dabeihatten, wurden sie uns weggenommen. Selbst die Frauenzeitschrift Brigitte, eher harmlos, ertrugen die DDR-Grenzer nicht.
Na, von Freunden habe ich die bekommen. Sie haben sie mitgebracht.
Moment, ich suche etwas. Hier gibt es politische Karikaturen, die ich jetzt mache.
Herr Schmückle, Sie haben alles, was Sie mir gezeigt und erzählt haben, in Siebenbürgen erlebt, gemacht, auch Ausstellungen. Sind Sie Hermannstädter?
Ja, in diesem Haus bin ich geboren worden.
Dann bin ich gerade in Ihrem Elternhaus?
Ja. Mein Vater ist in Wien geboren, meine Großmutter ist eine echte Wienerin gewesen und mein Großvater war ein Deutscher mit schwäbischer Herkunft aus der Gegend von Backnang aus Klein Aspach. Meine Mutter ist eine halbe Italienerin, ihr Vater kam aus Udine nach Rumänien, nach Patina, er war Postbeamter und nahm eine Rumänin zur Frau. Ich bin Deutsch erzogen worden mit einem deutschen, sogar schwäbischen Namen. Ich fühle mich ganz und gar als Deutscher, obwohl ich auch Gene von woandersher habe und hier wohne.
Sie haben die Zeit vor Ceaușescu erlebt, da sie ja 1940 geboren wurden.
Ich habe bis 1947 auch noch den König mitgekriegt, da war ich sieben Jahre alt und in der ersten Klasse. Da hing König Mihail I. noch an der Wand. Im Parlament haben sie immer gestritten, da musste eine feste Hand her und das war dann Karl I. aus dem Hause Sigmaringen. Er hat Ordnung gemacht in der Walachei geschichtlich gesehen. Bessarabien, die Bukowina, das Banat und Siebenbürgen kamen zu Rumänien und Großrumänien entstand.
1947 hatte Rumänien noch einen König, das war mir nicht bewusst, so lange?
Ja, am Ende des Krieges hatten wir noch einen König. Er musste im Dezember 1947 abdanken. Er ist nicht von selbst weg.
Die neue rumänische Regierung, gleich nach dem Umsturz, 1990, ist aufgrund eines Putsches an die Macht gekommen. Es war keine Revolution, es war ein Putsch, um Ceaușescu zu beseitigen. Hätten sie dann den König zurückgebracht, wäre Rumänien anders geworden. Sie hätten auf den Kommunismus verzichten sollen. Der König wurde ja damals nicht vom Volk, sondern von den Kommunisten verjagt.
Wunder gibt es eben nicht. Es müsste eine Menge in diesem Land getan werden. Ihr König hat sich aber nach 1990 aus dem Ausland wieder in Rumänien gemeldet.
Ja, aber Iliescu hat ihn nicht hereingelassen. Zu der Zeit habe ich die Politik ausgelassen und angefangen, Geckcartoons zu zeichnen. Mit denen komme ich auch jetzt zurecht. Ich bin an vielen Ausstellungen beteiligt, auch im Ausland. 37 Ausstellungen habe ich gezählt bis zum heutigen Tag. Ehrungen und Prämien habe ich auch bekommen. Ich habe meine Genugtuung, habe auch viel dafür gearbeitet. Man bekommt das nicht einfach geschenkt.
Sie haben mir erzählt, dass Ihr Vater Uhrmacher war und Sie die Feinmotorik von ihm geerbt hätten?
Nein, die Hand. Bei ihm habe ich oft zugeschaut und gestaunt über die ruhige Hand beim Zapfenbohren usw. Überhaupt stimmte alles zwischen meinem Vater und mir. Er war ein guter Freund und hatte viel Sinn für Humor, den österreichischen Humor von der Mutter. Er hatte einen sehr guten Freund gehabt, Kobler, einen Wiener, einen Halbjuden. Wenn die beiden zusammen saßen, wurden viele Witze erzählt.
Ihnen ging es gut während der kommunistischen Zeit. Sie konnten als Karikaturist arbeiten. Sie haben keine Repressalien als Deutscher erlebt?
Nein, Repressionen gab es keine. Das einzige, was sie getan haben: Sie habe mich auf die Seite geschoben.
Aber irgendwann als sich die Grenzen öffneten, haben Sie sich auf den Weg in den Westen gemacht?
Ja, das kam so. Als ich sah, wie sie die Leute zusammen dreschen in Bukarest, wie 1933 die NSDAP und SA, bin ich sofort zum Passamt zu einem Freund, der dort gearbeitet hat. Schnell wollte ich einen Pass haben, um nach Ungarn zu fahren. Ich bekam ihn ausgestellt und fuhr bis zum Plattensee, wo ich Freunde aus Rumänien getroffen habe, die schon seit längerem in Freiburg im Breisgau wohnten. Sie sind mit mir zur Deutschen Botschaft nach Budapest gefahren, wo ich ein Visum bekam. Ich bin dann im Sommer 1990 weg und habe nach 50 Jahren versucht, ob ich imstande bin, mich selbst durchzuwurschteln. Nur nicht zum Sozialamt, das wäre das letzte gewesen, was ich mir gewünscht hätte. Ich hatte in Baden die Möglichkeit an einer Fachschule ins Lehramt zu kommen im Fach Technisches Zeichnen. Aber mir hat dort die Beziehung Lehrer – Schüler nicht gefallen. Ich wollte lieber einen Schritt zurückgehen und etwas anderes machen, anstatt in Konflikt mit den Schülern zu kommen. Was ich dort gesehen habe, hat sich in mein soziales Empfinden nicht eingefügt. Es war ganz, ganz schwierig, was ich da als Pädagoge gesehen hatte. Die Schüler waren sehr unverschämt! Wir waren in Rumänien weiß Gott keine Kirchensäulen, aber wir wussten, wo die Grenzen lagen.
Das war in Freiburg im Breisgau?
Ja, 15 Jahre war ich in Freiburg, dann in Hamburg und schließlich hatte mein Sohn eine Wohnung in Berlin gefunden und wir sind hin gezogen. Dann bin ich 2005 nach Rumänien zurückgegangen. Ich habe die doppelte Staatsbürgerschaft, habe mich in Hermannstadt wieder registrieren lassen und arbeite als selbstständiger Künstler, damit mit dem Fiskus alles in Ordnung ist. Ich bin Mitglied des Künstlerverbandes Rumäniens und auch Deutschlands, Baden-Württemberg.
Das gibt natürlich kein Geld, das sind nur Mitgliedschaften. Sie müssen von etwas leben, was ja bekanntlich von der Kunst kaum möglich ist?
Ich komme schon zurecht. Natürlich verdiene ich mit der Kunst herzlich wenig. Das ist die Rente, die mich über Wasser hält.
Mein Sohn Miron ist Künstler in Berlin, der hat inzwischen mehr Verbindungen und man hat mehr Verständnis für seine künstlerische Arbeit in Amerika, in den Staaten, als in Deutschland. Die Deutschen sind immer noch sehr konservativ.
Er hat seine künstlerische Ausbildung in Rumänien gemacht?
Nein, in Deutschland. Er ist schon während der Ceaușescuzeit durchgegangen mit gefälschtem Pass. Eine Zeit lang hat er in Ungarn gearbeitet. Der Vater seiner Frau Ulrike kam aus Rheinfelden nach Ungarn und übers Konsulat organisierten sie dann die Ausreise nach Deutschland. Ulrike ist Malerin, inzwischen sind sie geschieden, aber gute Freunde. Zusammen gingen sie nach Kiel an die Hochschule. Mein Sohn war dann auch noch an der Hamburger Hochschule. Anschließend ging er nach Petersburg ins Puschkindorf. Jetzt lebt er in Berlin und war vor kurzem mit Studenten aus Deutschland hier in Freck, 30 km südlich von Hermannstadt an den Karpaten. Dort ist die Sommerresidenz von Brukenthal. Nach Schönbrunner Art ist sie gebaut worden, in sehr schönem Barock. Man hat dort Schindluder getrieben, hat uralte Thuja abgesägt und kaputt gemacht. Es sind Leute, die keine Ahnung haben, nicht fragen und schlimme Dummheiten machen.
Ich habe in letzter Zeit sehr viele Ausstellungen in Rumänien gemacht und sogar im Luxemburghaus, im Jahr 2007, als Luxemburg und Hermannstadt Europäische Kulturhauptstädte waren. Die Siebenbürger Sachsen kommen ja eigentlich aus der Gegend um Luxemburg. Wenn man das Luxemburgische hört, denkt man an das Sächsische. Wenn sie Dialekt sprechen, können sie sich gut verständigen.
Die früheren Bürgermeister haben sich nicht um die Stadt gekümmert, sind spazieren gefahren und haben in die eigene Tasche gesteckt. Jetzt haben wir Klaus Johannis, eine sehr seriöse Person, ich wähle ihn wieder. Die Autobahn wird nun gebaut, doch zwischendurch ist wieder so viel verschlampt und gestohlen worden und es ging nicht weiter, Schotter und vieles andere mussten sie wieder von neuem besorgen. Es wird sehr schlampig gearbeitet. Wenn sie im Ausland arbeiten, sind sie fleißig.
Ja, Sie leben hier in einer zauberhaften Landschaft. Man muss sie erhalten, pflegen, nicht nur Schlösser, Kirchenburgen und Klöster.
Leider muss ich sagen, dass die Leute hier keinen Sinn haben für die Schönheit der Natur. Es wird viel Schindluder getrieben. Meine Tochter ist Lehrerin, betreut aber einen Kindergarten, wo es eine deutsche Abteilung gibt. Sie haben dort einen wunderschönen Hof, der voller Unkraut war. Ich sah in dem Hof eine Sandgrube, in der tote Katzen lagen. Die Kinder durften nicht hinaus, mussten drinnen bleiben, anstatt an die frische Luft zu kommen. Es gibt dort zwei wunderschöne alte Nussbäume. Ich kenne sie noch aus meiner Kindheit, wir haben dort gespielt. Die Direktorin wollte sie einfach absägen lassen, damit man die Nüsse nicht stiehlt. Ich ging zu ihr und sagte ihr klipp und klar: „Wenn hier keine Ordnung geschaffen wird, bin ich mit der Zeitung da“. „Na, ja, was soll ich machen, meinte sie“. „Ganz einfach: Trommel die Eltern zusammen, ich komme auch und Du wirst sehen, wir machen alle Ordnung“. Ich meine, wenn man will, kann man. Das ist alles Faulheit!
Herzlichen Dank für das Gespräch.