Ein Plädoyer für Kunst im öffentlichen Raum / Von Cornelia HEMMANN
Ausgabe Nr. 2572
Rumänien ist ein unruhiges Land, ein Land in Bewegung. Politisch gesehen, aber auch innerhalb seiner kleinsten gesellschaftlichen Zelle: der Familie. Die Menschen in Rumänien sind im wahrsten Sinne des Wortes bewegt. Die Abwanderung aus ländlichen Gebieten in die Großstädte, vor allem aber ins Ausland ist Realität für viele. Der Alltag in kleinen Städten wie Fogarasch ist gezeichnet von Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, von zerrissenen Familien. Man spürt mehr von dem, was einst war, als von dem, was ist oder gar von so etwas wie „Zukunft“. Fragt man junge Menschen, warum sie sich nicht für die Belange ihrer Stadt interessieren oder sich engagieren, so hört man häufig: „Wozu? Ich gehe ja sowieso weg.“
Die Frage nach dem Weggehen, die liegt permanent in der Luft. Sie riecht fad und unentschlossen – und meist doch nicht nach einer Herzensentscheidung.
Noah hat sich auch nicht aus eigenen Stücken entschlossen, eine Arche zu bauen, sie zu bepacken und sich auf den Weg – wohin eigentlich? – zu begeben. Er hatte klare Anweisungen: Was alles mit muss auf die Reise und dass er die Verantwortung dafür tragen soll.
Was würden wir mitnehmen, wenn wir uns heute auf den Weg machen würden?
Stellen wir uns einmal vor: Wir wissen nicht, wohin wir reisen, wie es dort aussieht oder was uns dort erwartet. Wir wissen nur, wir müssen gehen. Vielleicht wird es eine schöne Reise. Vielleicht eine Reise zu unseren Wünschen und Traumzielen.
Hier setzt das Projekt „Unsere Arche“ von Edin Bajrić an: Ein Holzobjekt, das in seiner Form an ein einfaches Papierschiff erinnert, strandet im Hafen von Fogarasch, mitten im Zentrum, wo sonst Schach oder Fußball gespielt wird. Befüllt wird das Schiff mit „Packlisten“: mit Wünschen, Hoffnungen, Gefühlen, aber auch ganz praktischen Gegenständen – von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und älteren Menschen – den „Kindern der Stadt“. Sie kommen vom Dorf, aus der Stadt, sie sind Rumänen, Siebenbürger Sachsen, Ungarn oder Roma, sie leben mit Behinderungen, mit Krankheiten oder ganz unbeschwert.
Und das kann Kunst: Dass all dies keine Rolle mehr spielt. Sie überwindet Grenzen. Sie kommt über Farbe, Zeichnung, Worte miteinander ins Gespräch. Kommunikation braucht keine Sprache mehr. Biografien werden zu ganz persönlichen Geschichten und Menschen werden aus ihren Schubladen herausgehoben. Und so entstand ganz bewusst unsere Arche.
Edin Bajrićs Projekt nähert sich nicht nur der Frage an, was das Wichtigste für jeden Einzelnen im Leben ist – so wichtig, dass es auf der Reise nicht fehlen darf. Sondern es zeigt mir ganz nebenbei sehr eindrücklich, wie Gesellschaft funktioniert. Und dass Utopie auch mal Wirklichkeit werden darf: Jede und jeder einzelne hat eine Stimme. Gemeinsam wird sie laut und gehört. Sie bekommt eine sichtbare Form und damit eine Aussage. Und alle tragen zum Funktionieren unserer Gesellschaft bei: Bei uns im Kleinen all die helfenden Hände unterschiedlichen Alters beim Bau der Arche beispielsweise.
Im Gottesdienst, der in Bezug auf unser Projekt stattfand, hörte ich folgenden Satz: „Noah hat auf seine Reise vor allem eines mitgenommen: Geduld.“ Und möglicherweise ist genau das der Schlüssel zum Verstehen der Wirkung von Kunst, der in ihrer Gestalt meist etwas sehr Flüchtiges anhaftet.
Kunst im öffentlichen Raum kann zwar nicht die grundlegenden Probleme Rumäniens lösen oder gar die Welt verändern. Sie kann auch nicht die sehnlichsten Wünsche der Menschen erfüllen und Familien wieder zusammenzuführen. Aber sie schafft Begegnungen und Diskurs. Und ob als Produzent oder Rezipient: Sie regt zum Nachdenken, zum Nachsinnen, zum Insichgehen an. Und in meiner Utopie sagt sich am Ende doch die eine oder der andere: Hier im Hafen von Fogarasch ist es schön und auch ich kann dazu beitragen, dass er lebenswert ist.
„Unsere Arche“ ist ein kunstpädagogisches Projekt im Herzen von Fogarasch, initiiert vom Jugendzentrum Seligstadt. Zwischen dem 13.-19. März wurde unter Anleitung des in Deutschland lebenden bosnischen Künstlers Edin Bajrić die Arche mit Zeichnungen, Bildern und Gedanken von über 230 kleinen und großen Menschen gefüllt. Die Ausstellung in der Fundația Culturală Negru Vodă kann noch bis 5. April besichtigt werden. Die Arche auf dem Piața Republicii wird noch länger im Hafen von Fogarasch anlegen und weiter befüllt. Ermöglicht wurde das Projekt und die Ausstellung durch die Förderung des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) und der Baden-Württemberg Stiftung.