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Zu einem Buch über die Malerin und Schriftstellerin Mathilde Roth (1873-1934)

Ausgabe Nr. 2563

Mathilde Roth in Hermannstädter Tracht, März 1924 in Zürich.
Foto: Wilhelm PLEYER

Mathilde Roth gehört zu jenen Siebenbürgerinnen, die es im Zuge der Frauenemanzipation um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gewagt haben, im Ausland bildende Kunst zu studieren, um diesen Beruf danach in der Heimat auszuüben (in ihrem Fall nur zeitweilig). Vor Mathilde Roth waren die Schässburgerin Betty Schuller (1860-1904), die Hermannstädterin Hermine Hufnagel (1864-1897) und die Kronstädterin Lotte Golschmidt (1871-1925) den gleichen Weg gegangen, gefolgt von Anna Dörschlag (1869-1947), der Tochter des bekannten Zeichenlehrers und Malers Carl Dörschlag (1832-1917).

Die 1873 in Hermannstadt geborene Mathilde Roth, die bereits 1910 Siebenbürgen verlassen hatte, war beinahe in Vergessenheit geraten, wurde jedoch 2013, dank der Veröffentlichung einer ihr gewidmeten Monografie, verfasst von der Urnichte Helga Lutsch, aus dem Dornröschenschlaf geweckt.

 

Die spätere Künstlerin wurde anfangs von ihrem Vater, dem gelehrten Pfarrer Dr. Johann Roth unterrichtet, der ein aktives Mitglied des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde und Mitarbeiter des Siebenbürgisch-sächsischen Wörterbuchs war.

Bislang konnte nicht ermittelt werden, wer dem begabten Mädchen den ersten Zeichenunterricht erteilte. Tatsache ist, dass die Eltern ihre Tochter in dem Bestreben Künstlerin zu werden, unterstützten. Mathilde besuchte zunächst – zwei Semester lang – Malkurse, die der Wiener Frauenerwerbsverein veranstaltete, um von 1894 bis 1897 an der Damen-Akademie des Künstlerinnenvereins in München zu studieren. Obgleich ihre Lehrer allen damals im deutschsprachigen Raum gepflegten Kunstrichtungen – Historismus, Naturalismus, Impressionismus, Plein air Malerei und Sezession – angehörten, hat Mathilde Roth zumindest bis 1910, als sie Siebenbürgen verließ, den trockenen Akademismus nicht überwunden. Spätere, nicht datierte Werke aus der Kollektion des Museums Schwab in Biel/Bienne sowie Werke, die vor einigen Jahren vom Auktionshaus Sotheby’s versteigert wurden, weisen sie jedoch als eine sensible Landschaftsmalerin postimpressionistischer Prägung aus.

Mathilde Roth: Birkenwald. Öl auf Leinwand, signiert unten rechts M R, undatiert

1895, als sie noch in München studierte, stellte sie erstmals eine Arbeit im Schaufenster der Hermannstädter Buchhandlung Michaelis aus, Arbeit, die im Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt (Nr. 6633, 6. Oktober 1895, S. 1085) wohlwollend besprochen wurde: „Frl. [Fräulein] Mathilde Roth hat eine Erstlingsarbeit in einer Ölstudie „Die Taufe” bei Michaelis in der Heltauergasse ausgestellt. Die Skizze stellt eine Taufhandlung im Chor einer sächsischen Kirche dar. Gegenstand und Auffassung sind nicht übel, jedoch das Licht noch hart, auch Zeichnung und Perspektive lassen manches zu wünschen übrig, während manche Einzelheiten, so das Mädchen im Vordergrunde, recht nett dargestellt ist. Immerhin verrät die Arbeit künstlerische Auffassung. Das künstlerische Können wird nicht ausbleiben, zumal das Fräulein Roth den richtigen Weg eingeschlagen hat. Wie wir hören, sucht sie in München, der Metropole deutscher Malkunst, schon seit einem Jahre künstlerische Ausbildung und gedenkt, sich zunächst auch für die Folge hinzuwenden“.

Nach ihrer Rückkehr nach Hermannstadt im Jahre 1897 stellte Mathilde drei Porträts und eine kunstgewerbliche Arbeit, ebenfalls bei Michaelis, aus, um sich im Juli 1899 an einer Ausstellung des Münchener Künstlerinnenvereins zu beteiligen und im Herbst des gleichen Jahres mit mehreren Arbeiten im Gewerbeverein präsent zu sein. Seit 1899 erteilte sie auch privaten Kunstunterricht in ihrem in der Reispergasse Nr. 7, 2. Stiege, 2. Stock eingerichteten Atelier. Mit Genugtuung stellte die bedeutende deutschsprachige Tageszeitung, das Siebenbürgisch-Deutsche Tageblatt (Nr. 7847, 7 Oktober 1899, S. 1076), fest, dass: „Nachdem lange Zeit hindurch die Pflege der Kunst in unserem Publikum fast ausschließlich dem Reich der Töne zugewendet gewesen, beginnt seit einigen Jahren die Verallgemeinerung des Kunstsinnes auch in unserem kleinen Völkchen sich geltend zu machen. Wir haben eine Anzahl junger Maler- und Malerinnen aufzuweisen. Zu diesen gehört auch Frl. [Fräulein] Mathilde Roth, die eben jetzt einige ihrer Leistungen in dem Gewerbeverein ausgestellt hat und willens ist, ihre weitere Kunstpflege hier, in ihrer Vaterstadt zu treiben.“ Von 1900 bis zum Erscheinen des Sebastian Hann Vereins für heimische Kunstbestrebungen (November 1904) organisierte Mathilde Roth den sogenannten Weihnachtsbasar nach dem Vorbild der Weihnachtsausstellung des Münchener Künstlerinnenvereins. Diese Kollektivausstellung bot Künstlerinnen und Kunstgewerblerinnen Gelegenheit, mit ihren Erzeugnissen vor die Öffentlichkeit zu treten. Der Basar war sehr beliebt, da Unikate zu günstigen Preisen angeboten wurden.

Die oben genannten Malerinnen waren mit den heimischen Künstlern der sogenannten Gründergeneration – Robert Wellmann (1866-1946), Fritz Schullerus (1866-1898), Octavian Smighelschi (1866-1912), Karl Ziegler (1866-1945), Michael Fleischer (1869-1938), Arthur Coulin (1869-1912) – beinahe gleichaltrig und versuchten, trotz aller Hürden, die ihnen in den Weg gestellt wurden, den Künstlerberuf gründlich zu erlernen und auszuüben. Dieses war ein recht schwieriges Unterfangen, da die Kunstakademien bis Ende des Ersten Weltkrieges keine Frauen aufnahmen, sodass diese mit Kursen an den Frauenerwerbsvereinen oder an Damenakademien vorliebnehmen mussten. Die Ausbildung an diesen Anstalten war im Allgemeinen kürzer und oberflächlicher als die der Männer an staatlichen Akademien, eine Tatsache, die die Erklärung dafür liefert, dass zwischen den Kunstwerken der ersten modernen siebenbürgischen Malerinnen und jenen ihrer männlichen Kollegen ein gewisses Wertgefälle besteht. Da sich die Frauen ihrer Schwächen bewusst waren, haben sie sich zum Teil ins Kunstgewerbliche abdrängen lassen, ein Gebiet auf dem sie keine männliche Konkurrenz befürchten mussten. Der Weihnachtsbasar war – solange ihn Mathilde Roth organisierte – ein Ort, an dem ausschließlich kunstbeflissene Frauen ausstellten.

Die Gründung des Sebastian Hann-Vereins scheint – aus bislang unbekannten Gründen – die Karriere Mathilde Roths als bildende Künstlerin ins Wanken versetzt zu haben. Vermutlich ist dieses auch auf die unvorteilhafte Meinung, die Professor Carl Dörschlag von ihrem Können hatte, zurückzuführen. Tatsache ist, dass Mathilde dem Verein nicht beigetreten ist und sich an dessen erster Ausstellung von Arbeiten Siebenbürgischer Künstler, die anlässlich der Vereinstage (30. Juli–26. August 1905) im Gesellschaftshaus zu sehen war, nicht beteiligte. Auch in den folgenden Jahren ist sie nicht mehr öffentlich aufgetreten. Ob dieses auch auf einen längeren Auslandsaufenthalt im Zeitraum 1904-1908/9 zurückzuführen ist, konnte noch nicht ergründet werden. Erst im November 1909 wurde im Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt (Nr. 10908, 18. November 1909, S. 6.) eine Verkaufsausstellung Mathilde Roths angezeigt, die in der Wohnung der Künstlerin, in der Franziskanergasse Nr. 20, eingerichtet war: „Die ausgestellten Bilder sind zum Verkaufe bestimmt und für Bilderfreunde bietet sich erwünschte Gelegenheit, sich diesen vornehmsten Zimmerschmuck nach eigenem Geschmack zu erwerben. Die Ausstellung enthält ausgeführte Gemälde, Skizzen und Zeichnungen, und besonders zu erwähnen sind einige außerordentlich sorgfältig ausgeführte Landschaften und Studienköpfe, daneben mehrere hübsche Stillleben. Die Bilder stammen zum Teil noch aus der Studienzeit der Künstlerin, die sie in München unter Lenbachs Leitung zugebracht hat, zum Teil sind sie neueren und neuesten Datums.“ Mit dieser Ausstellung verabschiedete sich die Künstlerin von Hermannstadt, da sie im Mai 1910 den Architekten Fritz Berner heiratete und diesem nach Zürich folgte, wo sie ihre Tätigkeit fortsetzte.

Mathilde Roth hat in Siebenbürgen sehr wenig künstlerische Spuren hinterlassen. Das Bruken-
thalmuseum verwahrt lediglich ein Ölbild die „Sakristei der Hermannstädter evangelischen Kirche“ darstellend (datiert 1904), das sie 1923 dem Museum geschenkt hat, und 66 Skizzen und Zeichnungen aus ihrer Münchener Studienzeit.

Mathilde Roth war jedoch auch literarisch begabt. Die ersten Informationen über ihre schriftstellerischen Versuche sind ebenfalls dem Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt (Nr. 10371, 8. Februar 1908, S. 5) zu entnehmen, in dem berichtet wird, dass sie anlässlich eines Frauenabends mit „fein gezeichneten novellistischen Skizzen“ Einblicke in die Licht- und Schattenseiten des Münchener Großstadtlebens gewährte. Das gleiche Periodikum brachte zwischen 1913 und 1926 mehrere Reisebeschreibungen der Autorin, eine interessante, spannende und lehrreiche Lektüre, in der sie besonders auf kulturhistorische und landschaftliche Aspekte eingeht. Auf Reisen hatte sie immer den Zeichenblock dabei, um das Gesehene sogleich zu skizzieren. Die etablierte Landschaftsmalerin, die ständig auf Motivsuche aus war, wusste abgebröckelte alte Mauern und historische Bauten als solche zu schätzen, doch übte das Meer, in seiner Bewegung und wechselnden Färbung, eine noch größere Faszination auf sie aus.

Die Künstlerin ist ihrer angestammten Heimat und den Siebenbürger Sachsen zeit ihres Lebens verbunden geblieben. Während des Ersten Weltkrieges und den schweren Jahren danach hat sie in Zürich Weihnachtsbasare zugunsten des Evangelischen Landeskonsistoriums veranstaltet, auf denen sie Bilder, Grafiken, kunstgewerbliche Erzeugnisse, Kinderkleidung und Spielzeug verkaufte. Den Hermannstädter Frauenverein zum Bau der evangelischen Mädchenschule bedachte sie ebenfalls mit großzügigen Spenden, wie auch die Schule nach deren Eröffnung im Jahre 1927.

Nach längerer schwerer Krankheit starb Mathilde Roth, Pionierin der Frauenemanzipation, am 28.Mai 1934 in Zürich.

Die Bedeutung der Malerin und Schriftstellerin Mathilde Roth liegt nicht unbedingt in der Qualität ihres malerischen und literarischen Schaffens, sondern darin, dass sie es wagte, ihre Begabungen zu einem Zeitpunkt zu pflegen als Frauen noch hart dafür kämpfen mussten, Berufe auszuüben. Entschlossene Frauen wie Mathilde Roth haben der nächsten Generation den Weg geebnet, sich als Künstlerinnen zu etablieren und vom siebenbürgischen Publikum ernst genommen zu werden.

Helga Lutsch: Mathilde Roth 1873-1934. Eine vergessene siebenbürgische Malerin, Verlag Arbeitskreis für siebenbürgische Landeskunde e. V. Heidelberg, 2013, Druck Honterus Verlag Hermannstadt, 161 S., Reproduktionen von Fotos, Briefen, Dokumenten und Kunstwerken, ISBN 978-3-929848-94-6

Mathilde Roth. 1873-1934. Eine vergessene siebenbürgische Malerin“ ist ein lesenswertes Buch, das ich wärmstens empfehle. Der Autorin Helga Lutsch ist es vortrefflich gelungen, die Biografie der Künstlerin auf dem Hintergrund des bewegten Zeitgeschehens darzustellen, Darstellung, die von zahlreichen Fotos, Briefen, Dokumenten, Zeitungsausschnitten usw. begleitet wird. Der Werkbesprechung wird leider relativ wenig Platz eingeräumt (S. 48-53), eine Tatsache, die auf die geringe Zahl bekannter Werke Mathilde Roths zurückzuführen ist. Helga Lutschs Monografie ist auch deshalb sehr wertvoll, weil sie das erste Werk ist, das Leben und Oeuvre einer Repräsentantin der ersten Generation moderner siebenbürgischer Kunst behandelt, im Unterschied zu den bislang veröffentlichten Monografien (Trude Schullerus, Grete Csaki Copony und Margarete Depner), in denen Vertreterinnen der nächsten Generation gewürdigt wurden.

Dr. Gudrun-Liane ITTU

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kunst.