Zu Besuch bei Professor Hansgeorg Roth im Dr. Carl Wolff-Altenheim
Ausgabe Nr. 2517
„Das Lesen ist meine Beschäftigung, so lange ich es kann!” Herr Roth ist etwas spät zum Kaffeetrinken erschienen und sitzt allein am Tisch im Speisesaal. Leicht kommen wir ins Plaudern. Zwei meiner Söhne waren seine Schüler im Deutschunterricht. Was bleibt außer der Erinnerung? Professor Roth ist stolz und wiederholt es wie einen Refrain: die Brukenthalschule, „das Bruk”, hat herausragende junge Menschen geformt. Der Unterricht an dieser Schule hat Freude, viel Freude bereitet. Absolventen kommen vorbei, die jetzt in den USA leben oder in Westeuropa, um ihn zu besuchen. Zuneigung spürt er, Interesse an seinem Wohlergehen im Dr. Carl Wolff-Altenheim.
Auf die Frage, ob er gerne Lehrer in Deutschland gewesen wäre, zuckt er die Achseln. Er weiß nicht, meint er mit einem kleinen Zögern, ihm hat es gefallen, die vielen rumänischen Kinder im Unterricht zu haben. Sie waren leicht zu begeistern, er konnte sie zum Lesen anleiten und mit ihnen diskutieren. Das war ihm wichtig und ist es bis heute: über das Gelesene sprechen zu können, sich auszutauschen. Strenger Unterricht, Diktieren, das war nicht seins. Er hat es bis zum Konflikt mit Eltern kommen lassen, die wenig Vertrauen in solchen Unterricht hatten. Vom Ehrgeiz getrieben, ihren Kindern nur das Beste zu bieten, haben immer wieder Eltern den „zu laxen” Deutschunterricht moniert. Diese distanzlose Beziehung, die Herr Roth zu seinen Schülerinnen und Schülern pflegte, dieses gegenseitige gute Verstehen, waren sie der späteren Karriere ihrer Sprößlinge zuträglich, fragte sich so mancher Vater und so manche Mutter, die andere Vorstellungen vom Deutsch Lernen hatten.
Hansgeorg Roth ist als Fachlehrer mitten in die schwierigen Zeiten hineingeraten. Zunächst unterrichtete er an der 2-er Schule in Hermannstadt und dann am Brukenthal-Lyzeum, wo er ganze Generationen zum Abitur führte. Anfang der Neunziger Jahre sah es schlimm aus: würde die Schule ohne Deutsch-Muttersprachler weiter bestehen? Aber wie faszinierend, findet Professor Roth heute: die vielen rumänisch sprechende Kinder wollten lernen, sie wollten es unbedingt und mit Begeisterung! Dieser Elan, er hat dem Lehrer selbst geholfen. Er hat den jungen Menschen Sturm und Drang nahegebracht und „seine” Maria Stuart hat bestimmt jedem im Unterricht gefallen, meint Herr Roth.
Überhaupt: das Theater, seine Leidenschaft! Dafür musste man aber auch erzogen sein, meint Herr Roth. Da sieht man und hört, ganz anders als bei der Lyrik, die er weniger goutieren kann. Zu viele Neuschöpfungen, zu langes Nachdenken, zu wenig Genuss.
Was liest Hansgeorg Roth heute? Er verweist auf gute Freunde, Philologen wie er, die ihn aus Deutschland mit Büchern versorgen. Kommentare zu Shakespeare zum Beispiel, das Neueste aus der Branche, und Bücher, die Verbindungen schaffen zwischen den Epochen und Stilen. „Nicht dass ich Shakespeare selbst noch einmal lese”, meint er lächelnd. Und mit den Freunden dann noch darüber sprechen, das sind seine schönsten Stunden!
In dieser Art verstand er auch seinen Unterricht: lesen, lesen, lesen und darüber diskutieren, wie mit jungen Freunden. Da kam es zu interessanten Konversationen. Je freier der Lehrer, umso freier die Schüler, das war sein Grundsatz. „Und ich glaube, ich hab´s erreicht!”
Professor Roth spricht gar nicht über Preisträger unter seinen Schülern oder über Philologen, die er „herangezogen” hat. Es mag sie gegeben haben.
Als er sich verabschiedet, sagt er mehr zu sich selbst: „ich bin glücklich, wenn ich lesen kann” und geht auf sein Zimmer. Taucht er wieder ein ins Reich der Literatur, greift er zum nächsten Buch?
Ursula PHILIPPI
Der Deutschlehrer Hansgeorg Roth.
Foto: Fred NUSS