„Es ist ein großes Fest“

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Reflexionen zum Clara Haskil-Festival 2016
Ausgabe Nr. 2507
 

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Leer erscheint sie, die große Bühne im Thaliasaal. Ein einziger Flügel, wenige Stühle. Der Dirigent fehlt. Nur ein Pianist, drei oder vier Instrumentalisten betreten jeweils das Podium und erzeugen in der Intimität der Aufführungssituation eine einzigartige Atmosphäre, wie es nur die Kammermusik vermag. Kammermusik ist Musik, in der der einzelne Musiker zurückgeworfen ist auf seine Individualität, in der durch kooperatives Zusammenwirken ein lebendiger Zwischenraum entsteht, in der der Rezipient die feinen Klänge vernehmen kann und die Materialität des Instruments noch hörbar wird. Eine Wohltat in einer digitalisierten Musikwelt der perfekten, technisch generierten Klänge. Wie klingt es, wenn der Bogen die Saiten berührt, die Hämmerchen auf die Saiten schlagen oder der Atem das Blasinstrument hörbar macht? Kleine Besetzungen provozieren die sensible Wahrnehmung.

Im Reigen der Hermannstädter Festivals fand heuer zum dritten Mal das Internationale Festival Clara Haskil statt. Als „Referenz“ an Rumänien und die große Pianistin Clara Haskil bezeichnet Alina Azario, künstlerische Leiterin des Festivals, die 2014 ins Leben gerufene Konzertreihe. Die von dem Verein Clara Haskil România veranstaltete und von der Stadt kofinanzierte Veranstaltung fand vom 29. Oktober bis 5. November im Thaliasaal statt, einem geeigneten Raum – für viel und durchaus auch für weniger Publikum. Alina Azario verweist auf den Festival-Impetus einer Hommage an die Pianistin Clara Haskil (geb. 1895 in Bukarest, gest. 1960 in Brüssel) und der damit verbundenen Konzentration in der Programmierung auf Haskils Repertoire, zu dem die Musik von Schumann, Bach und Mozart zählt. Mit dem Bezug auf Haskil bringt das Festival den Hermannstädtern nicht nur eine Pianistin mit rumänischen Wurzeln näher, sondern setzt damit gleichermaßen indirekt (und wie es scheint leider noch unbewusst) einen Akzent auf Frauen in der Musik. Wer weiß schon, dass auch Maria Anna Mozart, stets im Schatten ihres Bruders Wolfgang Amadeus stehend, eine hochbegabte Pianistin war? Wer kennt eine Lili Boulanger und ihr Werk?

Das 1988 gegründete rumänische Streichquartett Ad Libitum eröffnete das Festival. Mag man in der Interpretation von Haydns Streichquartett Nr. 5, op. 3 noch das kecke und spielerische Moment vermisst haben, so kam die Qualität der Musiker spätestens mit Beethovens Streichquartett Nr. 4, op. 18 voll zur Geltung: Beethovens Musiksprache – die implizite Aufregung, Intensität, Unruhe – wurde in allen Facetten hörbar, aber auch sichtbar im Gestus der Musiker. Mit Ravels Streichquartett in F-Dur konnte das Quartett seine volle Stärke entfalten und verzauberte das Publikum mit schwebenden Klängen und kräftigem Insistieren. Das Spiel der vier Musiker ließ sie zu einem „übergreifenden lebendigen Ganzen“ (A. Wellek) werden. Unweigerlich wurde in der Rezensentin der Gedanke an die Figur Rudi Streichquartett aus Gert Jonkes Schauspiel „Chorphantasie“ (2003) geweckt, in der sich letztlich die Idee des Ensembles als ein Organismus personifiziert. Speziell in der Kammermusik wird die Überschneidung von sozialer und klanglicher Dimension deutlich – es fehlt der Dirigent, wie Alfred Schütz es in einem Essay ausdrückt, was die Musiker besonders in ihrer (Spiel-)Bewegung und Wahrnehmung als Parameter für das Generieren einer Beziehung untereinander herausfordert.

Als herausragendes Konzert bleibt der Soloabend mit dem irischen Pianisten Finghin Collins (geb. 1977) in Erinnerung. Oft sind es die weniger populären Konzerte, die wahre Sternstunden darstellen: Wiewohl der Dubliner Collins längst kein Unbekannter mehr ist, wohnten dem Konzert nur eine Hand voll Zuhörer bei – „What a shame for a city like Sibiu“, konstatierte ein Musikkenner aus dem Ausland nach dem Abend. Der Problematik des fehlenden Publikums an weniger attraktiven Terminen (Montag) ist sich auch Alina Azario bewusst: „Ich fand das so schade (…). Aber es war der einzige Tag, an dem er kommen konnte. Ich war ein bisschen enttäuscht. Ich bin in der Mitte (…). Ich habe alles gemacht, damit die Leute kommen.“ Nichtsdestotrotz bereitete Finghin Collins den Zuhörern Gänsehaut mit seiner Interpretation Johann Sebastian Bachs (wenngleich man über die Interpretationsfragen Alter Musik streiten kann), vor allem mit Franz Schuberts Impromptus, (denen trotz allem Glitzern ein unheimlicher, melancholischer Subtext zugrunde liegt) und schließlich mit Alban Bergs einsätziger Klaviersonate op. 1 (die 1911 bei der Uraufführung noch zu stürmischen Protesten geführt hat). Auch Werke von Léos Janacek und Frédéric Chopin standen auf dem Programm. Collins Mut zu leisen Tönen zeigt sich auch im Auskosten der Klänge bis zur scheinbaren Stille, er lässt die Zwischentöne transparent werden. Und er verschmilzt mit dem Instrument. Ja, er „verleibt“ es sich gleichsam „ein“, würde der Philosoph Henri Bergson sagen. Das Klavier wurde zum Teil seines Körpers. Seine Spielbewegungen nehmen viel Raum, sind aber niemals affektiert. Man verließ den Saal wortlos, berührt von der Musik und dem, was sie uns sagen kann.

Weitere Konzerte, die jeweils für sich eine Besonderheit darstellten, waren der Trioabend mit Pierre Genisson, Adrien Boisseau gemeinsam mit Alina Azario und der Soloabend mit dem südkoreanischen Pianisten William Youn, auf den das Konzert des aus Deutschland angereisten Clara Haskil-Trios folgte. Unterbrochen durch die Präsentation des Dokumentarfilms „Celibidaches Garden“ (1998), der sich dem großen rumänischen Dirigenten widmet, setzte das Festival mit dem schweizerisch-italienischen Pianisten Mauro Lo Conte einen Schlusspunkt im gut gefüllten Thalia-Saal. Das Festival wurde mit jedem einzelnen Konzert sowie in seiner Ganzheit zu einem lebendigen Zwischenraum, der Dialoge in Gang setzt – zwischen Musikern, zwischen Mensch und Musik, zwischen Musikern und Publikum. Damit hat es seinen Auftrag erfüllt.

Teresa LEONHARD

Der irische Pianist Finghin Collins

Foto: Tudor PLATON

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Musik.