Anthropologische Studie der Skelette vom Friedhof am Huetplatz erschienen
Ausgabe Nr. 2480
„Knauserig mit den Grabbeigaben“ lautete der Titel des Berichts von Anna Galon, der in der Ausgabe Nr. 1942 vom 19. August 2005 der Hermannstädter Zeitung zum Thema archäologische Ausgrabungen am Huetplatz, erschienen ist. Im Vorspann heißt es: „Für ihre Toten hoben Hermannstadts erste Siedler Nischen in der Erde aus, in die sie die Körper legten. Sie deckten die Leichname mit Baumrinde ab… Gemauerte Gräber konnten sich nur die Wohlhabenden leisten.“ Neue Erkenntnisse über die Ahnen der heutigen deutschstämmigen Hermannstädter kann man beim Lesen der im Dezember 2015 erschienenen wissenschaftlichen Arbeit „The medieval cemetery from Sibiu (Hermannstadt) Huet Square“ (Der mittelalterliche Friedhof von Hermannstadt/Huetplatz) von Daniela Marcu Istrate, Mihai Constantinescu und Andrei Soficaru gewinnen. Das Buch wurde von der Autorin Dr. Daniela Marcu Istrate und den Archäologen Prof. Dr. Zeno-Karl Pinter von der Lucian Blaga-Universität Hermannstadt und Dr. Adrian Ioniță vom Archäologischen Institut „Vasile Pârvan“ Bukarest am Donnerstagnachmittag (5. Mai) in der Astra-Bibliothek in Hermannstadt vorgestellt.
Da die Restaurierung der Hermannstädter Altstadt vor dem Kulturhauptstadt-Jahr 2007 auch mit umfangreichen Baumaßnahmen (vorwiegend Pflasterungsarbeiten) auf dem Huetplatz bei der evangelischen Stadtpfarrkirche verbunden war, nahm man 2005 die Gelegenheit wahr, u. a. den ehemaligen mittelalterlichen Stadtfriedhof freizulegen. Archäologisch untersucht wurde der rund um die Stadtpfarrkirche angelegte Friedhof, dessen Belegung vom beginnenden 12. Jahrhundert bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts erfolgt war. Die Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen wurden 2007 als Monographie veröffentlicht.
„The medieval cemetery from Sibiu (Hermannstadt) Huet Square“ enthält in englischer Sprache eine kurze Darstellung der archäologischen Forschung, die Analyse des Friedhofs sowie die Ergebnisse einer zweijährigen anthropologischen Studie eines Forschungsteams des Anthropologischen Instituts „Francis Reiner“ der Rumänischen Akademie. Das gesamte Projekt wurde von Dr. Daniela Marcu Istrate koordiniert. Die Finanzierung erfolgte mit Mitteln der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und des Hieronymus-Kulturvereins.
Zur Vorstellung des Buches in der Astra Bibliothek sagte Prof. Dr. Zeno-Karl Pinter: „Es ist verblüffend, wie viele Dinge ein Anthropologe sagen kann, wenn er die Möglichkeit hat, die Gebeine unserer Ahnen zu analysieren. Dieses Buch handelt genau von den Ahnen der heutigen Hermannstädter, die diese mittelalterliche Burg gebaut haben. Es ist ein Meilenstein für die rumänische Archäologie. Es ist mir nicht bekannt, dass eine mittelalterliche Nekropole in der Größe jener aus Hermannstadt jemals einer derart komplexen Untersuchung unterzogen wurde.“ Insgesamt wurden 656 Skelette vom Hermannstädter mittelalterlichen Friedhof analysiert, eine Premiere für Rumänien und eine bahnbrechende „Pionierarbeit“, wie die Projektleiterin und Archäologin Daniela Marcu Istrate unterstrich.
In der Zusammenfassung, die es in dem Buch in deutscher Sprache gibt, werden viele interessante Fakten und Schlussfolgerungen angesprochen: Bestattungssitten, Inventar des Friedhofs, Körpergröße, Krankheiten, Lebenserwartung der Verstorbenen u.v. a. m.
Ein ausschlaggebender Auszug aus der deutschen Zusammenfassung lautet wie folgt: „Die paläodemografischen Indices, die Entwicklung der Körpergröße im Verlauf der Jahrhunderte und die Erkrankungen scheinen eine allgemeine Verschlechterung (des Zustands, Anm. der Redaktion) der gesamten Gruppe in der Zeitspanne vom 13. bis zum 14. Jahrhundert aufzuzeigen. Die Abnahme der Körpergröße und die Zunahme pathologischer Befunde für beide Geschlechter in der Zeit vom 13. bis 15. Jahrhundert kann durch den Stress erklärt werden, dem die Bevölkerung durch die Übersiedlung in das östliche Mitteleuropa ausgesetzt war. Dieser wurde nicht nur durch das neue ökologische Umfeld verstärkt, sondern auch durch die kriegerischen Ereignisse nach dem Tatareneinfall von 1241. Vom 15. bis 16. Jahrhundert verbesserten sich die Lebensbedingungen.“
„The medieval cemetery from Sibiu (Hermannstadt) Huet Square“ ist im Verlag Dr. Faustus, Büchenbach erschienen und kann ebenda bestellt werden.
Cynthia PINTER
Foto 1: Zeno-Karl Pinter, Daniela Marcu Istrate und Adrian Ioniță (v. l. n. r.) bei der Buchvorstellung in der Astra-Bibliothek.
Foto: die Verfasserin
Foto 2: Am 12. August 2009 wurden die Gebeine neu beigesetzt, die während der 2005-2006 auf dem Huetplatz durchgeführten Pflasterungsarbeiten entdeckt und nach Bukarest zur Analyse gebracht worden waren. Unser Bild: Die Andacht gestalteten gemeinsam Prof. Dr. Paul Philippi (2. v. l. neben dem damaligen Kurator der evangelischen Kirchengemeinde A. B. Hermannstadt, Günter Glanz), der griechisch-katholische Pfarrer Gheorghe Popa (3. v. l.) und der evangelische Stadtpfarrer Kilian Dörr.
Foto: Fred NUSS
Daniela Marcu Istrate, Mihai Constantinescu, Andrei Soficaru: The medieval cemetery from Sibiu (Hermannstadt) Huet Square. Mit zahlreichen Illustrationen, Skizzen, Landkarten. Band 6 der Reihe „Tübinger Forschungen zur historischen Archäologie“, Dr. Faustus Verlag, Büchenbach, 2015, 295 S., ISBN: 978-3933474995