Streiflichter von der XIX. Internationalen Tagung der Kronstädter Germanistik
Ausgabe Nr. 2476
Die XIX. Internationale Tagung der Kronstädter Germanistik fand, leider auch diesmal ohne Medienpräsenz, vom 7. bis 9. April d. J. statt. Die Hauptveranstalterin der Tagungen, Carmen Elisabeth Puchianu, stellt sie immer unter ein außergewöhnliches Motto, das die Teilnehmenden zu thematisch besonders interessanten (und als willkommener Nebeneffekt – einheitlichen) Beiträgen verpflichtet, und zwar lautete es dieses Mal „Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit in der deutschen Kultur, Literatur und Sprache“. Welches Motto wird wohl für die Jubiläumstagung im nächsten Jahr gelten?
Eingeläutet wurde die Tagung am Donnerstag Abend, den 7. April, für die schon Angereisten durch die Buchpräsentation von Carmen Puchianus „Roter Strick und schwarze Folie. Postmoderne Theateradaptionen auf den Leib geschrieben“ in der OKIAN-Buchhandlung. Anschließend gab es im Tagungszentrum ein reichhaltiges Buffet und gute Gespräche.
Das Schöne bei solch alljährlichen Tagungen ist, dass sich mit der Zeit eine gewisse wohltuende Routine einschleicht. Man weiß, wo man wohnt, wen man trifft, wie der Ablauf sein wird… Diesmal war in Kronstadt alles gleich und doch ganz anders. Ja, die gut dreißig Teilnehmer tagten im selben Gebäude wie immer, doch wurde es inzwischen von einem geschickten Innendesigner mit Hilfe einer z. T. neuen Einrichtung und vieler effektvoller Details vollkommen umgewandelt. Auch bei den Teilnehmenden gab es Überraschungen. Während manche etablierte Germanisten, mit denen man fest gerechnet hatte, aus diversen Gründen fehlten, waren diesmal viele Nachwuchsgermanisten dabei, was eine große Bereicherung für alle Beteiligten bedeutete. Auch konnte man einige ausländische Referenten begrüßen, die man beim vorjährigen Kongress der Germanisten kennengelernt hatte. Natürlich gab es auch eine Theateraufführung in der Regie von Carmen Puchianu, doch diesmal war es eine besondere, die Jubiläumsveranstaltung zum zehnjährigen Bestehen des Studentenensembles „Die Gruppe“, die mit einer Projektion von Ausschnitten aus den bisherigen Aufführungen begann und mit der Darstellung „Orpheus und Euridike tanzen in der Unterwelt. Das Finale“ furios beschlossen wurde.
Die langlebigste wissenschaftliche Tagung der Kronstädter Philologischen Fakultät, so Carmen Puchianu in ihrem Grußwort an die Anwesenden, wurde am Freitag Morgen von den den Teilnehmenden ebenfalls schon bekannten Musikern Elena Cristian (Violine) und Paul Cristian (Klavier) mit Werken von Debussy und Schumann stimmungsvoll eröffnet. Es folgten am Vormittag Vorträge im Plenum, am Nachmittag und am darauffolgenden Samstag Vormittag wurde jeweils in 2 Sektionen zu literatur- und kulturwissenschaftlichen bzw. zu sprachwissenschaftlichen Themen referiert. Den ersten Plenarvortrag hielt Christel Baltes-Löhr aus Trier (Deutschland) allgemein zu Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit in der deutschen Kultur, Literatur und Sprache. Leider forderte auch die Technik einen gewissen Zeitaufwand, so dass der zweite Vortrag, jener von Markus Fischer über romantische Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit, belegt anhand der Romane „Florentin“ bzw. „Lucinde“ des Ehepaars Dorothea und Friedrich Schlegel, leider nur in einer Zusammenfassung zu Gehör gebracht wurde. Die beiden letzten Vorträge im Plenum beschäftigten sich beide mit Herta Müller, und zwar sprach Yüksel Gürsoy aus der Türkei über Sexualität in Müllers Werken, während sich Grazziella Predoiu (Temeswar) ausführlich auf die Weiblichkeitsdarstellungen ebenda bezog.
Im zweiten Vortragsblock referierte Roxana Nubert (Temeswar) über die weiblichen Figuren in den Romanen Richard Wagners, Veronica Buciuman aus Großwardein untersuchte die sozialen, kulturellen, und politischen Aspekte der Weiblichkeitskonstruktionen in Eginald Schlattners „Der geköpfte Hahn“, Sunhild Galter skizzierte das Porträt der darwinistisch geprägten Lehrerin in Judith Schalanskys „Der Hals der Giraffe“. Carmen Puchianu rundete das Plenum mit ihrer Besprechung des Androgynen im postmodernen Theater ab, was auch eindrücklich mit Hilfe mehrerer Filmaufnahmen belegt wurde.
Nach dem wohlverdienten Mittagessen, auf ein ebenso wohlverdientes Mittagsschläfchen verzichtend, wurde anschließend in Sektionen getagt. Die Literatursektion bot so vielschichtige Perspektiven auf das Thema wie „Weiblichkeitsentwürfe in Freuds Bruchstück einer Hysterie-Analyse“ (Cezara Huma), „Frauengestalten in der Kurzprosa Gabriele Wohmanns“ (Alexandra Nicolaescu), „Textproduktive Männerfantasien als Objekt literatur- und kulturgeschichtlicher Überlegungen“ (Carmen Iliescu), aber auch Beiträge, die zwar keinen direkten Bezug zum vorgegebenen Thema aufwiesen, jedoch äußerst interessante, neue Aspekte anderer Themen darboten, wie Delia Eșians Beitrag „Ignoranz als Staatsschutz? Max Frischs letztes Werk“ oder Magdalena Zehetgrubers (Österreich) Untersuchung, ob „Vincent will meer“ als Road Movie zu betrachten sei.
Am Samstag Vormittag wurde statt der Sektion Literaturwissenschaft eine Sektion mit Beiträgen zu Didaktik, Landeskunde und übersetzungswissenschaftlichen Aspekten angeboten. Dabei wurde das bis dahin Gesagte durch die Darstellung der Frauenbilder in DaF-Lehrwerken von 1955 bis heute (Delia Cotârlea), die schockierenden Ergebnisse einer im Landeskundeunterricht unter rumänischen Studenten durchgeführten Befragung (Laura Manea) und der Analyse der Schwierigkeiten beim Übersetzen sprechender rumänischer Märchennamen (Daniela Vladu, Klausenburg) oder durch die Erörterung des Einsatzes von Fußnoten in literarischen Übersetzungen (Ioana Diaconu) abgerundet.
In der Sektion Sprachwissenschaft veranschaulichte zum Einstieg Sigrid Haldenwang (Hermannstadt) am Beispiel von Mundartbelegen (Körpergestalt, Tugendkatalog, Aufgabenbereiche von Frau/Mann) geschlechtsspezifische Idealvorstellungen und Rollenbilder im Siebenbürgisch-Sächsischen. Anschließend warf Doris Sava (Hermannstadt) einen lexikografischen Blick auf das Mauerblümchen und referierte, unter Einbezug der gängigen rumänischen bilingualen Wörterbuchpraxis mit Deutsch, über Anforderungen an die phraseografische Beschreibungspraxis exemplarisch am Beispiel der Erfassung der Geschlechtsrestringiertheit – eine von der rumänischen Lexikografie vernachlässigte Aufgabe. Es folgten Beiträge, die aufzeigten, wie das Frauenbild in der Sprachnorm schwankt (Mihaela Parpalea), oder dass es geschlechterspezifische Unterschiede in der Wortwahl und Syntax gibt, und zwar am Beispiel der Lifestyle Magazine Brigitte und Men´s Health (Veronica Câmpian, Klausenburg).
Maria Muscan aus Konstanza betonte in ihrem Beitrag das große Potenzial, das Sprachkurse für Senioren („Generation 60+”) für Lehrende in Rumänien bieten. Ausgehend von der Darstellung der Spracherwerbsprozesse und der Unterrichtsprinzipien, die für die Wahl der Lernmaterialien wichtig sind, wurden Forderungen der Fremdsprachen-Geragogik erfasst. Ionela Duduţă (Konstanza) fokussierte ihren Vortrag auf die Unterschiede im Gesprächsverhalten zwischen Frauen und Männern, wobei Strategien der Imagewahrung aufgezeigt wurden und der Frage nach verschiedenen Höflichkeitsformen nachgegangen wurde. Die Autorin stellt die Ergebnisse einer Umfrage vor, die Mechanismen der sprachlichen (Un-)Höflichkeit und der (möglichen) Bedrohung des Images verdeutlichen soll. Die Auswertung der Umfrage zeigt, dass Frauen sprachlich höflicher als Männer agieren.
Bogdana Crivăţ (Craiova) untersuchte die Genuszuweisung von substantivischen Anglizismen im aktuellen Deutsch, während Hermine Fierbinţeanu (Bukarest) die nominalen (vokativischen) Anredeformen im gesprochenen Rumänisch untersuchte. Die Beiträge von Nicoleta Gheorghe, Ioana Cusin, Ana Dovgan (alle aus Bukarest) und Sofia Chiriacescu zu nicht mottogebundenen Themen bildeten den Abschluss in dieser Sektion.
Nach einem kurzen abschließenden Plenum setzten sich noch die FilialleiterInnen der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens (GGR) zur Jahressitzung zusammen, um wichtige Anliegen zu besprechen.
Sunhild GALTER
Gruppenbild mit FilialleiterInnen und Carmen Puchianu.
Foto: Privat