Eine poetische Netzwerkerin

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Ausgabe Nr. 2469
 

Daniela Boltres legt Gedichtband vor und verbindet praktisch Kulturen

 

Geboren ist Daniela Boltres 1971 in Bukarest, aufgewachsen in Zeiden. Daher also die  Affinität zu Siebenbürgen. 1987 emigrierte sie nach Deutschland. Sie hat sich von hieraus auch jahrelang als  Vorsitzende des Berliner Vereins „Corona“ für die Rettung des Ensembles der Kirchenburg Trappold  nahe Schäßburg gekümmert, und gemeinsam mit dem wunderbaren Zimmermann Sebastian Bethge vor Ort ist das auch gelungen. Dass zum Sichkümmern glückliche Umstände hinzukamen – u. a.  EU-Förderung – schmälert das Engagement nicht, sondern zeigt die unerwartete Präsenz von Netzwerken, mit denen niemand rechnet, die aber im kreativen Moment dafür sorgen, daß Mittel nachhaltig eingesetzt werden.

 2008  kam Daniela Boltres nach Rostock, und nun ist sie schon wieder  weg. Ihr Gatte, Professor Andreas  Kubik-Boltres, wechselte 2015 an die Theologische Fakultät  Osnabrück. Das ist der familiäre Grund  für den personellen Verlust an Stadtkultur hierorts.

Als sie an die Ostsee kam, stellte sie sich alsbald in der Bürgerinitiative für eine Solidarische Gesellschaft e. V. Rostock vor. Zufall oder nicht: Das  passte. Aus ihrer damaligen Performance: Sie versuchte,  Menschen  zusammenzubringen, und jetzt fällt mir  dazu gerade wieder ein, dass sie damals Menschen in einem großen Verkaufskonzern bei deren Einsatz für bessere Bedingungen in der Arbeit und im Leben überhaupt  motivierte und beriet.

Wie sollte man ein solches von Einfühlung  und Einsatz  gekennzeichnetes Engagement nennen, ganz unterschiedliche  Personen an verschiedenen Orten bei verschiedenen Filialen unter einer Motivation solidarisch miteinander  effektiv und  menschlich zu verbinden? „Ich bin Netzwerkerin,“ antwortete Daniela Boltres damals auf unsere ahnungslose Neugierde. Das passte wiederum und überhaupt. „Sie arbeitet freiberuflich als Netzwerkerin für öffentliche Institutionen und NGOs im Bereich Internationales,“ heißt es in einer  biografischen Notiz ihres Gedichtbandes (siehe unten).

Seit Mai 2012 arbeitete sie  für das International House der Universität Rostock, war dort zuständig für Konzepte und Strategien – zugewandt  den Studierenden, die von weither kommen und vor der hiesigen Korrektheit Schwellenangst bekommen. Die hat Daniela Boltres ihnen genommen. Ab Frühjahr 2014 setzte sie sich in der Welcome Center Arbeitsgruppe in Rostock, für das ein, was der Name am speziellen Platz besagt: „Das Welcome Center/Global Café unterstützt und berät ausländische Promovierende und GastwissenschaftlerInnen. Sie erhalten hier Informationen zu Themen wie Arbeitserlaubnis, Ausländerrecht und Sprachkursen. Zum Serviceangebot des Welcome Centers gehört auch Hilfe beim Ausfüllen von Formularen und Unterstützung bei der Wohnungssuche.“ So die Uni  auf ihrer entsprechenden Website. Damit  nahm Daniela Boltres mit Kolleginnen und Kollegen im speziellen Arbeitsfeld vorweg, was 2015 (europäisch) nötig wurde und sich überhaupt nicht zufällig im selben Gebäudekomplex wie das Welcome Center etablierte: „Rostock hilft“ – die gar nicht andere Willkommenskultur für zehntausende Ankömmlinge auf unseren Bahnhöfen und an unseren Fährhäfen. In dem allen dann erst recht organisiert sie literarische Schreibwerkstätten für Frau und Mann,  mit denen  sie  zur Poetisierung unserer  eiszeitlichen Endmoränenlandschaft beiträgt.

Die Netzwerkerin kommt eben selber von weither und ist kundig der Herzen derer, die gegangen sind und gekommen und endlich ankommen wollen in der fremden Heimat, auf absehbare Zeit oder auf Dauer.

Über ihre biografischen Hintergründe in den Karpaten werden wir hoffentlich  bald mehr lesen. Angefangen mit dem Erzählen hat sie schon. Bereits im Frühjahr 2010 hat sie ein Kapitel aus ihrem Roman-Vorhaben „Sakuska“ veröffentlicht, worin kulturelle Konstanz und  Transformation als große Mahlzeit zu erfahren sind: „Ich esse, um mich zu erinnern; ich erinnere mich, um kochen zu können; ich koche, um die Erinnerung jedes Mal verändern zu können.“ („Essen" in: Risse. Zeitschrift für Literatur in Mecklenburg und Vorpommern Nr. 24/2010). 

Mittlerweile hat die Autorin immerhin ein kleines und feines Menü aus ihrer transsilvanischen Küche im verlockenden Angebot. Unter dem Titel „Glockenluft" ist 2015 ein Gedichtband von Daniela Boltres im Mückenschwein-Verlag Stralsund erschienen. Auf gut 20 unnummerierten Seiten fliegt die  siebenbürgische  Glockenluft die Leserschaft an, aber von wegen  nostalgisch, einfach  nur authentisch. Und in der Begegnung mit der  hiesig regionalen Kultur in Gestalt von KünstlerInnen hierzulande und europaweit kommt zusätzlich weite Transparenz ins Spiel und Wort. Daniela Boltres lässt Mutter, Vater, Gro-vater als Leben anderer Zeit und anderen Ortes vor uns hintreten, und so wird deren Zeitgenossenschaft für uns Heutige einfühlsam deutlich. In „Deutsche Schule in Zeiden/Siebenbürgen“  pflückt sie „ein paar Erinnerungsreste“ auch an „die Verzweiflung, nicht deutsch genug zu sein“. Zum Lesen  allein für sich im Stillen findet sich  das Klagelied über das tote Kind der Dichterin. Wann musste, durfte ich solche liebevollen Leid-Worte zuletzt lesen! Manche ihrer Texte hat Daniela Boltres selbst aus dem Rumänischen übersetzt, einen hat sie andernorts auf Siebenbürgisch-Sächsisch  publiziert (Risse 23/2009). Wie sehr sind wir befangen  in unseren  regionalen Vorstellungen und wie gemütlich ist es in quasi-archaischen Gesellschaften? Wo wir auch leben, es ist nicht gemütlich, sagt die Poetin, die  in der Welt zu Haus ist: Der heemel broat./De sirenen billen./De gleuken leeden. De oma kreet am guerten.  (Der Himmel brennt./Die  Sirenen bellen./Die Glocken läuten. Die Oma jätet im Garten.)

Jens LANGER

 

Daniela Boltres

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Bücher.