Ausgabe Nr. 2469
Daniela Boltres legt Gedichtband vor und verbindet praktisch Kulturen
Geboren ist Daniela Boltres 1971 in Bukarest, aufgewachsen in Zeiden. Daher also die Affinität zu Siebenbürgen. 1987 emigrierte sie nach Deutschland. Sie hat sich von hieraus auch jahrelang als Vorsitzende des Berliner Vereins „Corona“ für die Rettung des Ensembles der Kirchenburg Trappold nahe Schäßburg gekümmert, und gemeinsam mit dem wunderbaren Zimmermann Sebastian Bethge vor Ort ist das auch gelungen. Dass zum Sichkümmern glückliche Umstände hinzukamen – u. a. EU-Förderung – schmälert das Engagement nicht, sondern zeigt die unerwartete Präsenz von Netzwerken, mit denen niemand rechnet, die aber im kreativen Moment dafür sorgen, daß Mittel nachhaltig eingesetzt werden.
Als sie an die Ostsee kam, stellte sie sich alsbald in der Bürgerinitiative für eine Solidarische Gesellschaft e. V. Rostock vor. Zufall oder nicht: Das passte. Aus ihrer damaligen Performance: Sie versuchte, Menschen zusammenzubringen, und jetzt fällt mir dazu gerade wieder ein, dass sie damals Menschen in einem großen Verkaufskonzern bei deren Einsatz für bessere Bedingungen in der Arbeit und im Leben überhaupt motivierte und beriet.
Wie sollte man ein solches von Einfühlung und Einsatz gekennzeichnetes Engagement nennen, ganz unterschiedliche Personen an verschiedenen Orten bei verschiedenen Filialen unter einer Motivation solidarisch miteinander effektiv und menschlich zu verbinden? „Ich bin Netzwerkerin,“ antwortete Daniela Boltres damals auf unsere ahnungslose Neugierde. Das passte wiederum und überhaupt. „Sie arbeitet freiberuflich als Netzwerkerin für öffentliche Institutionen und NGOs im Bereich Internationales,“ heißt es in einer biografischen Notiz ihres Gedichtbandes (siehe unten).
Seit Mai 2012 arbeitete sie für das International House der Universität Rostock, war dort zuständig für Konzepte und Strategien – zugewandt den Studierenden, die von weither kommen und vor der hiesigen Korrektheit Schwellenangst bekommen. Die hat Daniela Boltres ihnen genommen. Ab Frühjahr 2014 setzte sie sich in der Welcome Center Arbeitsgruppe in Rostock, für das ein, was der Name am speziellen Platz besagt: „Das Welcome Center/Global Café unterstützt und berät ausländische Promovierende und GastwissenschaftlerInnen. Sie erhalten hier Informationen zu Themen wie Arbeitserlaubnis, Ausländerrecht und Sprachkursen. Zum Serviceangebot des Welcome Centers gehört auch Hilfe beim Ausfüllen von Formularen und Unterstützung bei der Wohnungssuche.“ So die Uni auf ihrer entsprechenden Website. Damit nahm Daniela Boltres mit Kolleginnen und Kollegen im speziellen Arbeitsfeld vorweg, was 2015 (europäisch) nötig wurde und sich überhaupt nicht zufällig im selben Gebäudekomplex wie das Welcome Center etablierte: „Rostock hilft“ – die gar nicht andere Willkommenskultur für zehntausende Ankömmlinge auf unseren Bahnhöfen und an unseren Fährhäfen. In dem allen dann erst recht organisiert sie literarische Schreibwerkstätten für Frau und Mann, mit denen sie zur Poetisierung unserer eiszeitlichen Endmoränenlandschaft beiträgt.
Die Netzwerkerin kommt eben selber von weither und ist kundig der Herzen derer, die gegangen sind und gekommen und endlich ankommen wollen in der fremden Heimat, auf absehbare Zeit oder auf Dauer.
Über ihre biografischen Hintergründe in den Karpaten werden wir hoffentlich bald mehr lesen. Angefangen mit dem Erzählen hat sie schon. Bereits im Frühjahr 2010 hat sie ein Kapitel aus ihrem Roman-Vorhaben „Sakuska“ veröffentlicht, worin kulturelle Konstanz und Transformation als große Mahlzeit zu erfahren sind: „Ich esse, um mich zu erinnern; ich erinnere mich, um kochen zu können; ich koche, um die Erinnerung jedes Mal verändern zu können.“ („Essen" in: Risse. Zeitschrift für Literatur in Mecklenburg und Vorpommern Nr. 24/2010).
Mittlerweile hat die Autorin immerhin ein kleines und feines Menü aus ihrer transsilvanischen Küche im verlockenden Angebot. Unter dem Titel „Glockenluft" ist 2015 ein Gedichtband von Daniela Boltres im Mückenschwein-Verlag Stralsund erschienen. Auf gut 20 unnummerierten Seiten fliegt die siebenbürgische Glockenluft die Leserschaft an, aber von wegen nostalgisch, einfach nur authentisch. Und in der Begegnung mit der hiesig regionalen Kultur in Gestalt von KünstlerInnen hierzulande und europaweit kommt zusätzlich weite Transparenz ins Spiel und Wort. Daniela Boltres lässt Mutter, Vater, Gro-vater als Leben anderer Zeit und anderen Ortes vor uns hintreten, und so wird deren Zeitgenossenschaft für uns Heutige einfühlsam deutlich. In „Deutsche Schule in Zeiden/Siebenbürgen“ pflückt sie „ein paar Erinnerungsreste“ auch an „die Verzweiflung, nicht deutsch genug zu sein“. Zum Lesen allein für sich im Stillen findet sich das Klagelied über das tote Kind der Dichterin. Wann musste, durfte ich solche liebevollen Leid-Worte zuletzt lesen! Manche ihrer Texte hat Daniela Boltres selbst aus dem Rumänischen übersetzt, einen hat sie andernorts auf Siebenbürgisch-Sächsisch publiziert (Risse 23/2009). Wie sehr sind wir befangen in unseren regionalen Vorstellungen und wie gemütlich ist es in quasi-archaischen Gesellschaften? Wo wir auch leben, es ist nicht gemütlich, sagt die Poetin, die in der Welt zu Haus ist: Der heemel broat./De sirenen billen./De gleuken leeden. De oma kreet am guerten. (Der Himmel brennt./Die Sirenen bellen./Die Glocken läuten. Die Oma jätet im Garten.)
Jens LANGER
Daniela Boltres